"Am Puls mit Dunja Hayali: Wütend, laut, radikal – die neue Protestkultur?": Wenn alle auf die Straße gehen


Von Klimaprotesten über AfD-Demos bis hin zu Versammlungen gegen den Nahostkonflikt: In ihrer neuen 'Am Puls'-Doku geht Dunja Hayali der Frage nach, was die Menschen in Deutschland wieder vermehrt auf die Straße treibt und welche Auswirkungen diese neue Protestkultur auf die Gesellschaft hat.
Krisen überall
Migration und Rassismus, Klima- und Wirtschaftskrise, dazu die Kriege in Gaza und der Ukraine: In Deutschland brodelt es. Selten wurden Debatten so erbittert geführt, selten standen sich die Lager so verfeindet gegenüber. Doch neben den verhärteten Fronten in den sozialen Medien gibt es eine neue Entwicklung zu beobachten: Die Menschen gehen wieder auf die Straße und protestieren. Zehntausende sind es, von Klimaktivisten und Bauern bis zu AfD-Anhängern und propalästinensischen Demonstranten. Meist sind sie friedlich, oft sehr laut – bisweilen aber auch extremistisch eingestellt. Wie verändert diese recht ungewohnte Bewegung unser Land? Wie radikal sind Teile der Gruppen, die da demonstrieren? Und tragen die vielfältigen Proteste eher zur Spaltung oder zur Demokratisierung bei? ZDF-Journalistin Dunja Hayali sucht in ihrer neuen "Am Puls"-Doku unter der Überschrift "Wütend, laut, radikal – die neue Protestkultur?" nach Antworten auf schwierige Fragen.
"Ich wollte verstehen, was die Menschen antreibt, warum sie sich plötzlich verstärkt bewegen und ob sie damit auch das Land beziehungsweise die politische Landschaft bewegen können", erklärt die Journalistin vor der Ausstrahlung im Gespräch mit der Nachrichtenagentur teleschau. Um das Phänomen besser zu verstehen, machte Hayali das, was sie in den vergangenen Jahren schon regelmäßig tat: Sie ging mitten rein in die Demonstrationen und sprach mit den Menschen. Seien es die Klimaaktivisten der "Letzten Generation", pro-palästinensische Gruppen, Rechtsextreme bei Montagsdemos und deren Gegner.
Es sei ihr darum gegangen, zu schauen, "ob die ganzen Demos eher ein Ausdruck und Zeichen von gelebter Demokratie sind oder doch vermehrt der Ausdruck von Frust und Wut gegen 'die da oben' und die eigene Überforderung", sagt Hayali. Berührungsängste hat die Journalistin dabei bekanntermaßen kaum – und das, obwohl sie regelmäßig selbst zur Zielscheibe von Hass und Extremismus wird. Dass die Gewaltbereitschaft insgesamt zunimmt, illustrieren in diesem Wahljahr die Angriffe auf verschiedene Wahlhelfer, aber auch Fälle wie jener des SPD-Politikers Michael Müller, den Hayali für ihre Dokumentation getroffen hat. Nachdem er in Thüringen Demos gegen Rechts organisiert hatte, war ein Brandanschlag auf sein Haus verübt worden. Welche Folgen hat es für die Demokratie, wenn Menschen attackiert werden?
Zwischen Meinungsfreiheit und Tabu
Ob und wie sich die Grenzen in der Protestkultur verschoben haben, will Hayali auch auf den Demonstrationen herausfinden, die sich mit dem Krieg im Nahen Osten auseinandersetzen. Ist die Versammlungsfreiheit in Gefahr, wenn Pro-Palästina-Demos regelmäßig verboten und aufgelöst werden? Und wie viele anti-israelische Parolen lässt die Meinungsfreiheit zu, bevor die Schwelle zum Antisemitismus erreicht ist? Wird wieder sagbar, was jahrelang tabu schien?
"Die Menschen begegnen sich sehr misstrauisch und unversöhnlich", stellt Hayali fest. "Man will oder kann die andere Seite nicht verstehen, sehen – geschweige denn fühlen." Für ihre Recherchen wagte sie sich sogar ins Umfeld jener, die die Demokratie offen ablehnen und die Errichtung eines Kalifats fordern. Ob eine Republik derlei Forderungen nach ihrer Abschaffung hinnehmen muss, zählt in Deutschland auch aus historischen Gründen zu den brennendsten Fragen.
Für ihre "Am Puls"-Dokumentation sprach Hayali auch mit den Vertretern der Bauernproteste, die in diesem Jahr für medialen Wirbel und echte politische Konsequenzen sorgten. Ihre Methoden – das Blockieren von Straßen – hatte zuvor schon die Klimabewegung angewandt, dafür aber wesentlich mehr Kritik einstecken müssen. Warum das so ist, erklärt eine Protestforscherin im Film.
Zu Wort kommt auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die den Schlüssel für den Erfolg der Bewegungen in deren Veränderung sieht. "Gleichzeitig macht sich in aktivistischen Kreisen auch der Eindruck breit, dass Protest nicht mehr zählt. Dass, wenn man nicht mitten auf der Straße steht oder klebt oder hungert oder sonst was macht, auch überhaupt nicht mehr gehört wird", so die 28-Jährige. Auch Hayali weiß: "Obwohl wir so viele Möglichkeiten der Kommunikation und Veröffentlichung haben, ist es zeitgleich schwierig geworden, mit dem eigenen Anliegen durchzudringen."
"Inhalt und Erkenntnis statt Empörung, das war mein Ziel", sagt die ZDF-Journalistin über ihre Dokumentation: "Wer also auf Konfrontation und eskalierende Szenen hofft, wird enttäuscht." Hayali, die für ihr soziales Engagement erst kürzlich wieder ausgezeichnet wurde, setzt wie immer – und trotz aller Medienskepsis und Feindseligkeiten – auf Dialog.
Am Puls mit Dunja Hayali: Wütend, laut, radikal – die neue Protestkultur? – Do. 22.08. – ZDF: 22.30 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH