Bei "Maischberger"

Karl Lauterbach bezeichnet aktuelle Versorgungslage als "medizinische Katastrophe"

15.02.2024, 10.18 Uhr
von Doris Neubauer

In der Talkrunde von Sandra Maischberger waren sich am Mittwochabend die Gäste einig: Die Krankenhäuser haben dringend eine Reform nötig. Darüber diskutierten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Chefarzt Professor Uwe Janssens.

"Er will einen Kahlschlag. Danach würden etliche Kliniken nicht überleben", hatte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder am politischen Aschermittwoch seinen Widerstand gegen die geplante Krankenhaus-Reform bekräftigt. "Wenn er nicht aufpasst, Herr Lauterbach, dann verbrennen Sie sich die Finger", stellte er eine Klage "gegen den Eingriff in die Landesplanung" in Aussicht.

Mediziner spricht von "kalter Abschaltung"

Dem trat der Bremer Intensivmediziner und Chefarzt Professor Uwe Janssens am Mittwochabend in der Sendung "Maischberger" klar entgegen: Bayern hätte daran arbeiten sollen, Krankenhäuser zu sinnvollen Einheiten zusammenzufassen, "da hat er sehr überspitzt, der Herr Söder", meinte der Mann aus der Praxis. Schon jetzt gingen "Krankenhäuser vom Netz, ohne dass sich jemand die Finger schmutzig macht", sprach er von "kalter Abschaltung" und verglich diese mit dem "unkontrollierten Runterfahren eines Reaktors".

Die Krankenhaus-Reform wäre notwendig ("dass etwas passieren muss, da sind wir alle einer Meinung") – "wiewohl wir (...) weit entfernt sind, dass wir in die Umsetzung kommen", betonte der Mediziner und fügte hinzu: "Da bin ich gespannt, was der Bundesgesundheitsminister dazu erwidert."

Lauterbach warnt vor Krankenhaus-Sterben

Anders als auf die Replik des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder musste Janssens auf die Antwort von Karl Lauterbach nicht lange warten. Letzterer saß nämlich bei Moderatorin Sandra Maischberger im Studio: "Wenn die Reform jetzt nicht käme, dann käme ein großes, spektakuläres, ungeordnetes Krankenhaus-Sterben", sah er sich nicht nur von Janssens, sondern von "fast allen Fachgesellschaften, von den Uni-Kliniken, von den meisten Wissenschaftern" in seinen Bemühungen unterstützt. "Die Reform muss kommen", schlussfolgerte Lauterbach. "Die Frage ist nur, kommt sie noch rechtzeitig?"

Um Insolvenzen von Krankenhäusern aufzuhalten, soll am 22. März im Bundesrat ein Gesetz "für diese schnelle Rettung" beschlossen werden. Sechs Milliarden Euro würden "in der Übergangsphase, bis die große Reform wirkt," zur Verfügung gestellt. Einerseits sollen diese für "Pflegemittel, die die Krankenhäuser schon verdient, aber noch nicht bekommen haben" ausgeschüttet werden, andererseits will Lauterbach die "Landesbasisfallwerte, das sind die Werte, die sagen, wie viele von den Lohnsteigerungen die Krankenhäuser von den Kassen erstattet bekommen", anpassen. "Somit wären diese 130 bestehenden Insolvenzverfahren noch regelbar", schloß er "ein großes Krankenhaus-Sterben für 2024 aus". Vorausgesetzt, die Reform würde am 22. März verabschiedet.

Zu viele Kliniken in Deutschland?

Als lebenserhaltend beschrieb der Bundesgesundheitsminister seine große Krankenhaus-Reform. "60 Prozent des Budgets fließen als Vorhaltepauschale" zu den kleinen Häusern, selbst dann, wenn dort weniger Patienten versorgt oder auf große Eingriffe verzichtet werden würde. Letzteres wäre "richtig", fände doch ein Drittel der Krebsbehandlungen in Krankenhäusern statt, die dafür nicht geeignet wären, sprach Lauterbach von einer "medizinischen Katastrophe". Die Vorhaltepauschale würde die Kliniken finanziell absichern. Zusätzlich gäbe es sogenannte Sicherungszuschläge, "nur damit das kleine Haus auf dem Land bestehen bleiben kann."

Vom Tisch ist das Aus für Krankenhäuser allerdings nicht: "Wo wir einsparen, ist bei den Häusern, die wir nicht benötigen", meinte Lauterbach. Wie die Politik das bewerten wollte, darüber gäbe es laut Janssens bei "funktionierenden Krankenhäuser sehr, sehr viele Fragezeichen."

Entsprechend hakte Sandra Maischberger nach, denn dass Deutschland zu viele Krankenhäuser hätte, für die es "weder den medizinischen Bedarf noch das Personal, noch das Geld" gäbe, hatte der Bundesgesundheitsminister bereits eingangs erwähnt.

Verweis auf das dänische Modell

Aufgrund der Versorgungsdichte "in den großen Städten, in den alten Bundesländern" hätte Deutschland die höchste Krankenhaus-Bettendichte Europas, "und wir haben auch die meisten stationären Aufenthalte pro Kopf in Europa", holte der Bundesgesundheitsminister bei der Frage aus.

In einigen Krankenhäusern bliebe die Versorgung hinter den spezialisierten Kliniken zurück. "Wir können nicht zulassen, dass wir weiter Patientinnen und Patienten in Krankenhäuser schicken, wo wir uns als Ärzte niemals behandeln lassen", erklärte er. "Schön, das hätte ich gerne mal als Index: In dieses Haus würde kein Arzt gehen", konnte sich Maischberger einen Kommentar nicht verkneifen und erntete Applaus dafür.

Zustimmung erhielt auch Uwe Janssens Plädoyer, die Bevölkerung mehr über gesundheitspolitische Herausforderungen zu informieren und mitzunehmen. "Da muss offen und ehrlich mit den Leuten gesprochen werden, schau mal, dein Krankenhaus wird wahrscheinlich geschlossen. Du kriegst aber dafür die gleiche Leistung 30 bis 40 Kilometer weiter", verwies er darauf, dass so ein Modell etwa in Dänemark "ganz exzellent" funktioniere.

"Wir werden Abstriche machen müssen. Gewaltige."

Aufgrund der Kosten einer überalternden Gesellschaft müsste man hierzulande den Menschen bewusst machen: "Wir werden Abstriche machen müssen. Gewaltige", nahm er sich selbst dabei nicht aus. Denn laut Daten des Statistischen Bundesamts 2034 würden – "wenn wir Pech haben" – 200.000 Pflegekräfte fehlen. Dann ginge es darum: "Wer wird uns – mich – versorgen? Und Herr Lauterbach, wer wird Sie versorgen?" Man müsse jetzt beginnen, Grenzen aufzuzeigen, denn "die enorme Überversorgung bei den Alten" könne sich Deutschland langfristig nicht leisten.

"Solange wir zahlreiche Eingriffe machen, die wir nicht machen sollen – zu viele Knie-OPs, zu viele Hüft-OPs -, solange wir Geld verschwenden, das wir besser einsetzen könnten, bin ich nicht bereit, über eine Rationierung bei alten Menschen zu sprechen", war Lauterbach anderer Meinung. Dass die ethische Debatte über die Sinnhaftigkeit von Eingriffen im hohen Alter offener geführt werden müsste, darin stimmte er mit Janssens überein, "aber ich würde die nicht mit der Geldfrage und Rationierung vermischen, weil da kommt der falsche Zungenschlag herein."

Beides wäre miteinander verknüpft, wollte das der Chefarzt nicht so stehen lassen. Die inflationären Operationen wären ein "Ergebnis unseres Gesundheitssystems, das es zugelassen hat, dass in vielen Städten Krankenhäuser an private Krankenhaus-Gesellschaften verkauft worden sind, die aus den gesetzlichen Krankenkassen Gelder erwirtschaften, um es danach an Aktionäre auszuschütten", kritisierte er. "Da muss die Politik endlich mal wieder ran (...), dass wir wieder eine Gesundheitsdaseinvorsorge haben. Sie nehmen ja auch nicht die Feuerwehr und Polizei und verkaufen die an irgendwelche Drittanbieter ..."

Die weiteren Themen der Talk-Runde

"Ich brauche diese zwei Jahre auf jeden Fall", hatte Lauterbach zu Beginn des Gesprächs auf Maischbergers Frage geantwortet, ob die Ampel die gesamte Regierungszeit durchhalten würde. Ob er diese große Reform einem Mann vom Fach eher zutraue, wollte Maischberger abschließend von Janssens wissen.

Etwas von der Sache zu verstehen, wäre in der Gesundheitspolitik sicher von Vorteil, aber: "Lauterbach ist nicht alleine, er hat viele andere an seiner Seite. Er ist kein Arzt mehr", forderte der Chefarzt seinen Medizinerkollegen auf: "Herr Lauterbach, Sie sind jetzt Politiker! Und als Politiker muss man anders handeln. Deshalb bin ich ganz froh, dass ich nicht in Ihrer Lage bin", fügte er versöhnlich hinzu, "ich würde das wahrscheinlich nicht so können".

Weitere Themen bei Maischberger waren der Krieg in der Ukraine und das Putin-Interview, die mit CNN-Kriegsreporter Frederik Pleitgen und dem ehemaligen russischen UN-Diplomaten Boris Bondarew diskutiert wurden. Es kommentierten der Kabarettist Urban Priol, die Journalistin Helene Bubrowski und ihr Kollege Nikolaus Blome.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren