Sandra Norak: Wie eine ehemalige Zwangsprostituierte das System verändern will

07.03.2022, 14.24 Uhr
von Franziska Wenzlick

Früher arbeitete Sandra Norak als Prostituierte und erfuhr dabei unfassbares Leid. Mittlerweile hat sie ein abgeschlossenes Jura-Studium und setzt sich für Gerechtigkeit ein. Eine ARD-Doku hat sie begleitet.

"Ich habe Frauen getroffen, die teilweise eine Stunde lang unter der Dusche standen und versucht haben, es abzuwaschen", erinnert sich Sandra Norak in der ARD-Dokumentation "Echtes Leben: Vom Bordell ins Jurastudium" (zu sehen am Dienstag, 8. März, 23.40 Uhr, im Ersten). Auch sie selbst, sagt sie, kennt dieses Gefühl: alles von sich "reinwaschen" zu wollen, "die eigene Würde wiederherzustellen".

Sechs Jahre ihres Lebens verbrachte Sandra Norak im Rotlichtmilieu, bis es ihr 2014 gelang, aus der Prostitution auszusteigen. Es ist beeindruckend, mit wie viel Willenskraft sich die junge Frau seitdem gegen ein System stellt, das Täter schützt und Opfer nur selten ernst nimmt. Als Aktivistin besucht Sandra Norak Schulen, um dort über Prostitution und Menschenhandel zu sprechen. "Teenager werden permanent mit dem Thema konfrontiert, haben aber eigentlich keine Ansprechpartner", erklärt die 32-Jährige.

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Sie selbst brach kurz vor dem Abitur die Schule ab, nachdem sie ein älterer Mann durch die sogenannte Loverboy-Masche dazu gebracht hatte, in einem Bordell zu arbeiten. Heute will Norak Jugendliche vor einem solchen Schicksal schützen. "Es macht keinen Sinn, das Problem totzuschweigen", betont sie. In den Medien sei Prostitution allgegenwärtig – im Lehrplan deutscher Schulen hingegen werde kaum oder gar nicht über die Thematik aufgeklärt.

Doch auch bei Erwachsenen fehle häufig das Bewusstsein für das Leid, das viele Frauen in Deutschland und auf der ganzen Welt erfahren, wie Sandra Norak im Interview unterstreicht. "Es fängt schon im Freundes- und Bekanntenkreis an", so die Diplom-Juristin. Dabei könne jeder helfen, auf die Missstände aufmerksam zu machen: "Es hilft schon, bei einem blöden Witz mal nicht mitzulachen, sondern das Thema noch einmal ernsthaft anzusprechen."

Vermeintliche "Vorzeige-Bordellbetreiber" tingelten von Talkshow zu Talkshow

Die Verharmlosung der Gewalt, der Prostituierte kontinuierlich ausgesetzt sind, sei laut Norak ein gesamtgesellschaftliches Problem: Als beispielsweise die Bordelle wegen der Corona-Pandemie schließen mussten, seien immer wieder Bordellbetreiber in Dokumentationen und Talkshows zu Wort gekommen, Prostituierte selbst hingegen kaum. "Das hat mich sehr geärgert", klagt Norak – und erinnert an prominente Fälle, in denen vermeintliche "Vorzeige-Bordellbetreiber" über Jahre hinweg von einer Talkshow in die nächste tingelten und später unter anderem wegen Verbrechen wie Beihilfe zum Menschenhandel verurteilt wurden.

"Nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Frauen, die sich prostituieren, tut dies wirklich ausschließlich freiwillig", berichtet Sandra Norak. Bereits seit Jahren setzt sie sich für die Einführung des "Nordischen Modells" ein, bei dem der Freier kriminalisiert wird, nicht jedoch die Person, die die sexuelle "Dienstleistung" erbringt. In Ländern wie Schweden, Norwegen und Island trat ein derartiges Gesetz schon vor Jahren in verschiedenen Varianten in Kraft, mittlerweile gilt unter anderem auch in Frankreich und Israel ein Sexkaufverbot.

In Deutschland hingegen hat das Nordische Modell viele prominente Gegner: darunter die Deutsche Aidshilfe, die Diakonie Deutschland, den Deutschen Frauenrat, Amnesty International sowie nahezu alle großen Parteien. Es ist kein leichter Weg, den Norak mit ihrem Aktivismus gewählt hat. Immer wieder wird sie angefeindet – aufgeben will sie trotzdem nicht. "Schweigen bedeutet zusehen", schreibt Norak auch auf ihrem Blog (www.sandranorak.com). "Und zusehen bedeutet mitverantworten, wie tagtäglich tausende von Menschen in der Prostitution ihrem Selbstwert und ihrer Würde beraubt werden."

Weil sie ebendies nicht tun will – schweigen, tatenlos zusehen -, richtet sich Sandra Norak nun bereits seit Jahren an die Öffentlichkeit. Erzählt immer wieder von den schrecklichen, traumatischen Erlebnissen, die ihr selbst widerfahren sind, auch wenn ihr dies sichtlich nicht leicht fällt. Auch in Max Kronawitters einfühlsamem ARD-Porträt lässt sie ihre eigene Geschichte ungeschönt Revue passieren, mitsamt all dem Leid, das ihr im Rotlichtmilieu bereits in so jungen Jahren zugefügt wurde. "Es ist eine Welt, die Außenstehende nicht verstehen können", erklärt sie. Wie grausam diese fremde Welt ist, verdeutlicht auch ein Tattoo, welches Norak auf dem Rücken trägt: Ein Drache, den ihr Zuhälter ihr als "Eigentumsstempel" aufgezwungen hat. Viele schmerzhafte Laser-Sitzungen wird es dauern, bis das Brandzeichen vollständig verschwunden ist – doch für Sandra Norak steht fest: Sie ist niemandes Eigentum.

Sie befreite sich selbst aus der Prostitution

Der Film (Dienstag, 8. März, 23.40 Uhr, im Ersten) zeigt eindrücklich, wie stark die gebürtige Niederbayerin ist: Ihr gelang es aus eigener Kraft, sich aus der Prostitution zu befreien, das Abitur nachzuholen und Jura zu studieren. Ihr erstes Staatsexamen hat sie erfolgreich bestanden – und darf sich somit seit letztem Jahr offiziell Diplom-Juristin nennen. Von Beginn ihres Studiums an war ihr erklärtes Ziel, Menschenhändler und Zuhälter vor Gericht zu bringen. Ermittlungen gegen Zuhälter und Menschenhändler erweisen sich in Deutschland allerdings oft als schwierig. Auch das Verfahren gegen Noraks einstigen Peiniger wurde mittlerweile eingestellt.

Stolz auf sich selbst ist die frischgebackene Rechtswissenschaftlerin trotzdem, wie sie gegen Ende der knapp 30-minütigen Dokumentation erzählt: "Für mich ist es letztlich ein Gewinn: Ich habe mich getraut, das zu machen. Ich bin diesen Schritt gegangen und habe meinem Zuhälter gegenüber ein Zeichen gesetzt." Mit ihrer neuen Organisation, "Ge-STAC" ("Deutscher Rat von Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung"), will Norak nun auch anderen dabei helfen, sich zu vernetzen. Ihr Ziel: "Aufklärung, Veränderung, Hilfe, Empowerment, zusammen wachsen und etwas schaffen."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH
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