Auf dünnem Eis
20.09.2021 • 20:15 - 21:45 Uhr
Fernsehfilm, Gesellschaftsdrama
Lesermeinung
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Originaltitel
Auf dünnem Eis
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2021
Fernsehfilm, Gesellschaftsdrama

"Die Ursachen für Obdachlosigkeit können jeden treffen"

Von Maximilian Haase

Eine gestresste Köchin fährt einen Obdachlosen an – und lässt ihn in der Folge immer mehr in ihr Leben. Bis dieses zu entgleiten droht. Das ZDF-Drama "Auf dünnem Eis" stellt die Frage, wie nah das brüchige bürgerliche Dasein eigentlich vom sozialen Abgrund entfernt ist.

Es gibt Themen, die im deutschen Fernsehen aus traurigen Gründen Konjunktur haben. Weil sie auf gesellschaftliche Missstände verweisen, die fast in Stein gemeißelt scheinen. Eine dieser angeblichen Unabänderlichkeiten lautet: Menschen ohne Dach über dem Kopf wird es immer und überall geben. Umkreiste im Frühjahr etwa der Kölner "Tatort: Wie alle anderen auch" (2021) die vielschichtigen Gründe und widersprüchlichen Dimensionen der Obdachlosigkeit, nimmt sich im Zweiten nun auch der sehenswerte Film "Auf dünnem Eis" des Themas an. Wenn auch auf ganz andere Weise: Das stressige Leben einer alleinerziehenden Köchin erfährt in dem gefühligen "Gesellschaftsdrama" (ZDF) nach einer Begegnung mit einem Obdachlosen ziemliche Veränderungen. Die bürgerliche Schicht aus sozialer Sicherheit ist dünn, so die Aussage.

Nach einem Drehbuch von Silke Zertz lässt Regisseurin Sabine Bernardi die Hauptfigur im winterlichen Berlin beinahe verzweifeln: Köchin Ira (Julia Koschitz) ist von den Arbeitsbedingungen und -zeiten ihres Jobs in einem Hotelrestaurant überfordert, zudem lebt sie nach der Trennung von ihrem Mann alleine mit ihrem neunjährigen Sohn Lukas (Bruno Grüner). Als wäre das nicht Stress genug, fährt sie – übermüdet wie immer – eines Abends auf dem Parkplatz ihrer Wohnung den Wohnungslosen Konrad (Carlo Ljubek) an, der dort mit seinem Hund übernachten wollte. Er verletzt sich, Ira bringt ihn ins Krankenhaus. Doch die Geschichte der beiden beginnt hier erst: Konrad taucht wieder und wieder auf.

PRISMA EMPFIEHLT
Täglich das Beste aus der Unterhaltungswelt bequem in Ihr Mail-Postfach? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter "PRISMA EMPFIEHLT" und erhalten ab sofort die TV-Tipps des Tages sowie ausgewählte Streaming- und Kino-Highlights.

Zunächst überwiegt bei Ira die Ablehnung, sie schickt Konrad davon – "Der hat ein dickes Fell", rechtfertigt sie sich vor ihrem Sohn. Doch draußen herrschen Minusgrade (Radioeinspieler verweisen immer wieder darauf), und bald setzt sich Empathie durch. Immer weiter lässt Ira den fremden Mann in seinen schmutzigen Klamotten in ihr Leben, bietet ihm einen Schlafplatz, warme Mahlzeiten und hilft ihm bei der Wohnungs- und Jobsuche. Und während Iras Sohn am meisten Mitgefühl zeigt, stört sich Ex Bernhard (Markus Gertken) – der wieder Annäherung sucht – an dem "Eindringling". "Auf dünnem Eis" pendelt hier zwischen emotionalisierten Klischees und mitreißendem Sozialdrama. Beinahe dramedyhafte Elemente treffen auf wichtige Kritik an den Verhältnissen.

"Ich fühle mich auf der Straße ganz wohl"

Die fiktive Handlung hat derweil – neben der Tatsache, dass in Deutschland über 670.000 Menschen keinen festen Wohnsitz haben – einen traurigen realen Hintergrund. Produzentin Beatrice Kramm fasste die Initiative zum Film auf Basis einer persönlichen Erfahrung: Vor ihrer Haustür erfror ein Obdachloser, der zuvor die Hilfsangebote der Hausbewohner, etwa Kleidung, Schlafsäcke und Essen, abgelehnt hatte. "Er wollte in Ruhe gelassen werden", so Kramm. Auch Konrad will – bevor er sich dann doch öffnet – keine Hilfe in Anspruch nehmen. "Ich fühle mich auf der Straße ganz wohl", sagt er an einer Stelle zu einem Hilfsteam. "Wir können niemanden gegen seinen Willen mitnehmen", kommentiert einer der Helfer.

Wenn auch an manchen Stellen etwas aufgesetzt, verhandelt das ZDF-Drama die wichtigen Fragen, die sich eine Gesellschaft im Umgang mit Obdachlosigkeit stellen muss: Geht es mich als Einzelnen etwas an? Was ist strukturell zu tun? Und wie gerät man in diese Lage? Denn auch Ira stellt im Laufe der Handlung fest, dass der Abgrund – trotz bürgerlicher Existenz – gar nicht so weit entfernt ist. Als sie ihren Job verliert, scheint sie auch die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. So setzt der Film den Gegensatz zwischen Arm und Reich ins Verhältnis einer Welt, in der viele prekär und nur an der Oberfläche sorgenfrei leben.

"Irgendwie gibt es immer noch das Denken, dass das nur bestimmten Menschen passieren kann", stellt Hauptdarstellerin Julia Koschitz fest. Sie halte das "für ein schweres Missverständnis". "Die Ursachen für Obdachlosigkeit können jeden treffen", so die Schauspielerin, "ob Arbeitslosigkeit oder Altersarmut, Schulden, zerrüttete Familienverhältnisse, Suchtprobleme, eine Lebenskrise, die einen komplett aus der Bahn wirft, die vielleicht zu psychischen Problemen führt". Denn: "Wenn man keine Familie oder Freunde hat, die einen auffangen würden, ist der Weg auf die Straße kürzer, als man denkt." Dies aufzuzeigen, gelingt dem bereits auf Filmfestivals gezeigten Drama trotz einiger Schwächen durchaus.

Auf dünnem Eis – Mo. 20.09. – ZDF: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Darsteller

Julia Koschitz, geboren in Brüssel, ist eine österreichische Film- und Theaterschauspielerin.
Julia Koschitz
Lesermeinung

Top stars

Das beste aus dem magazin

Ian Hill von Judas Priest!
Star-News

Ian Hill: "Kein Wunder, dass damals so ziemlich jeder übergeschnappt ist"

Ian Hill ist der Bassist der Heavy-Metal-Band Judas Priest. Im Interview spricht der Engländer über die wilden 80er, wie ihre Musik geprägt hat und über vieles mehr.
Professor Dr. Sven Ostermeier
ist Facharzt für Orthopädie und 
Unfallchirurgie, Sportmedizin, 
Chirotherapie und spezielle 
orthopädische Chirurgie. Der 
Schulter- und Knie-Experte arbeitet als leitender Orthopäde 
der Gelenk-Klinik Gundelfingen. 
Außerdem ist er Instruktor der  Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA).
Weitere Themen aus dem Magazin

Sportlich fit bis ins hohe Alter – so geht´s

Welche Sportarten Best Ager ab 55 Jahren starten können und welche besser nicht, hat prisma Sportmediziner Dr. Sven Ostermeier im zweiten Teil der Serie „Sport im Alter“ gefragt.
Dr. Melanie Ahaus 
ist niedergelassene Kinder- und Jugendärztin in Leipzig und Sprecherin 
des Berufsverbandes der Kinder- und 
Jugendärzt*innen 
in Sachsen.
Weitere Themen aus dem Magazin

Dellwarzen – lästiges Mitbringsel aus dem Schwimmbad

Dellwarzen sind ein lästiges Mitbringsel aus dem Schwimmbad. Dr. Melanie Ahaus erklärt in der prisma Arzt-Kolumne, was am besten dagegen hilft.
Katharina Wackernagel spielt in „Mord mit Aussicht“ Marie Babler.
Weitere Themen aus dem Magazin

Katharina Wackernagel: „An die Stelle von Skepsis ist Vorfreude getreten“

Fans des fiktiven Eifel-Örtchens Hengasch können sich freuen: Ab Dienstag, 16. April, läuft die fünfte Staffel der Erfolgsserie "Mord mit Aussicht" immer dienstags um 20.15 Uhr in der ARD. prisma hat mit Hauptdarstellerin Katharina Wackernagel anlässlich dieses Starts gesprochen.
"Reisen Reisen" ist Deutschlands beliebtester Reise-Podcast.
Reise

Reise-Tipp fürs Wochenende: Utrecht

Wer auf der Suche nach Inspiration rund ums Verreisen ist, kommt an Deutschlands beliebtestem Reise-Podcast „Reisen Reisen“ nicht vorbei. Jochen Schliemann und Michael Dietz nehmen Euch mit zu Zielen, die „um die Ecke“ oder am Ende der Welt liegen. Einer ihrer Lieblinge in den Niederlanden: Utrecht!
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie, Buchautor und bekannt als „Doc Esser“ in TV und Hörfunk.
Gesundheit

In wenigen Tagen den Darm auf Trab bringen

Rund 20% aller Menschen in Deutschland leiden unter Verstopfung. Doc Esser verrät, was wirklich hilft.