Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto
Spielfilm, Dokudrama • 22.01.2019 • 22:45 - 00:15
Lesermeinung
Produktionsland
USA
Produktionsdatum
2018
Spielfilm, Dokudrama

Die Wurstküche des Historikers Emanuel Ringelblum

Von Wilfried Geldner

1940 gründete der jüdische Historiker Emanuel Ringelblum im Warschauer Ghetto ein geheimes Archiv, die Betreuung wurde als Suppenküche getarnt.

Auf den ersten Blick sieht das, was übriggeblieben ist, geradezu lächerlich aus: ein paar Kartons und zwei ramponierte Versorgungsmilchkannen. In ihnen wurden all die Dokumente bewahrt, öffentliche und private, die Zeugnis geben vom Leben im Warschauer Ghetto nach der Besetzung durch die Deutschen, von der Abriegelung des Ghettos bis zur großen Deportation Hunderttausender: Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Zeitungsausschnitte und Plakate. Ursprünglich sollte der Film der amerikanischen Dokumentaristin Roberta Grossman "Who will write our history?" heißen, den NDR und ARTE koproduzierten. Es ist diese Frage, die sich der jüdische Historiker Emanuel Ringelblum und seine Mitarbeiter im besetzten Ghetto von Warschau 1940 stellten. Ihre eigene Geschichte wollten sie nicht der Propaganda der Deutschen überlassen.

Der hochspannende Dokumentarfilm, der jetzt auf Deutsch etwas sperrig "Das Geheimarchiv im Warschauer Getto" heißt, erzählt Ringelblums Geschichte aus der Perspektive der Journalistin und Kritikerin Rachel Auerbach, einer von drei Mitgliedern des von Ringelblum gegründeten Archivs "Oneg Shabbat" ("Freude am Sabbat"), die Ghetto und Deportation überlebte (sie starb 1976). "Ich schreibe, damit nicht vergessen wird", sagt sie zu Beginn, in einem Zug sitzend, der den Zügen ins Verderben gleicht. Auerbach erinnert sich an die Zeit vor dem Krieg, als sie Warschau und dessen jüdische Bevölkerung zum ersten Mal sah – geistliche Juden und junge, lebensfrohe Menschen. Hundert jüdische Schulen habe es damals in Warschau gegeben, sechs jiddische Tageszeitungen, zwei auf Deutsch.

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Nach der Besetzung wurden jüdische Bürger erniedrigt, aus Ämtern und arischen Firmen entlassen. Fortan galten Juden in der deutschen Propaganda als Bedrohung. Man müsse mit der Abriegelung des inzwischen durch jüdische Flüchtlinge überfüllten Viertels die Deutschen schützen, so hieß es. Emanuel Ringelblum, der Historiker, organisierte dann eine Suppenküche, die gegen den enormen Hunger half, aber auch als Tarnung für die etwa 60 Mitarbeiter des Archivs diente. Man traf sich immer am Samstag heimlich – daher der Name der geheimgehaltenen Organisation. Als die massenhafte Ermordung von Juden in den Vernichtungslagern rund um Warschau ruchbar wurde und immer mehr Hilferufe im Ghetto eintrafen, sandte Ringelblum Hilferufe nach London. Die BBC berichtete, doch helfen wollte oder konnte niemand.

Schon das Sammeln der Fotos, Postkarten, Briefe und Tagebuchseiten war gefährlich. Wurde man entdeckt, bedeutete das den Tod. Auch Ringelblum und seine Familie überlebten Warschau nicht, obwohl sie ein mutiger polnischer Gärtner spät noch in einem Bunker unter einem Gewächshaus außerhalb des Ghettos versteckte.

Doch die Sorge, tausende Aufzeichnungen könnten mit ihm verloren sein, bewahrheitete sich glücklicherweise nicht: Im September 1946 wurde nach aufwendigen Recherchen durch Hersh Wasser, einen der drei Überlebenden und Ringelblums Sekretär, ein Großteil des Geheimen Archivs wiederentdeckt – all die aufgeschriebenen schrecklichen Ängste und Sorgen, aber auch die konkreten Hinweise auf die Vernichtungslager, die Ringelblum früh erreichten.

Das alles wird im Film ohne falsches Pathos erzählt, nur an wenigen Stellen greifen Historiker kommentierend aus dem Heute ein. Als die später gerettete Rachel Auerbach – sie emigrierte später nach Israel und nahm als Zeugin auch am Eichmann-Prozess teil – im Ghetto die verlassenen Gegenstände der Verschleppten betrachtet, hört sie das "lautlose Weinen" der Dinge. Gut, dass es im Film auch die vielen propagandistischen Filmdokumente der Nazis gibt. Zwischen allen erklärenden Off-Kommentaren sind sie, sich selbst decouvrierend, noch immer beeindruckend in ihrer dokumentarischen Schärfe.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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