Eine kanadische Dokumentation arbeitet ebenso spannend wie präzise den Weinstein-Skandal auf. Sie zeigt: Hinter Missbrauch im großen Stil steht immer ein System, nicht nur ein diabolischer Einzeltäter.
Es ist ein Fall, der die Welt erschütterte. Nicht nur aufgrund seines Umfangs und der damit verbundenen Dreistigkeiten, auch wegen der vielen prominenten Schauspielerinnen, die betroffen sind. Film-Mogul Harvey Weinstein wurde im März 2020 wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu 23 Jahren Haft verurteilt. Gegen das Urteil läuft eine Berufung. "The Reckoning: Hollywood's Worst Kept Secret" heißt dieser knapp einstündige kanadische Dokumentarfilm über den Weinstein-Skandal im Original. Er entstand bereits 2018, vor der Urteilsverkündung, und erzählt präzise die unglaubliche Geschichte eines Mannes, der sexsüchtig in einer brutalen Parallelwelt ungezügelt ausgelebter Macht agierte.
Die sehenswerte Dokumentation denkt jedoch über die eigentlichen Fälle hinaus, indem sie ein System beleuchtet, das Weinsteins Verhalten quasi in Kauf nahm. Das "Worst Kept Secret" ging so weit, dass sogar Schauspielagenturen wussten, was junge attraktive Frauen bei einem der mächtigsten Produzenten Hollywoods erwartete, wenn dieser um eine persönliche Besprechung bat. Dabei war das System sexueller und psychischer Gewalt Weinsteins gegen seine Opfer so perfide, dass in der Regel Assistentinnen des Moguls die Mädchen anriefen, sie zu den Treffen baten und begleiteten. Solange, bis sich die Tür schloss und Weinstein mit seinen Opfern alleine blieb. Nach dem Motto: Wenn eine Frau in den "Termin" involviert ist, dann kann es ja nicht so schlimm werden.
2017 gingen mehrere namhafte Schauspielerinnen wie Ashley Judd oder Rose McGowan an die Öffentlichkeit und beschuldigen den fünffachen Vater Weinstein des psychischen und sexuellen Missbrauchs. Die Dokumentation enthüllt schonungslos, was in der Filmbranche Hollywoods hinter verschlossenen Türen vor sich geht. Auch auf andere Fälle und die im Rahmen der Weinstein-Causa nachfolgenden #MeToo-Bewegung geht der Film ein.
Zum Beispiel auf jenen des Fox News Channel-Stars Bill O'Reilly, der Schweigegeld in Höhe von 13 Milllionen Dollar an fünf Frauen gezahlt haben soll, die ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. Dessen Show wurde vom Sender genommen, als namhafte Werbekunden – zuerst der deutsche Daimler-Konzern – seine Spots und damit Geld vom Format abzogen. Wahr ist jedoch auch, dass der Sender O'Reilly zuvor gewähren ließ. Der Mann brachte schließlich 400 Millionen Dollar an Werbeeinnahmen pro Jahr. Was der Film von Barry Avrich mit zahlreichen Interviews mit betroffenen Frauen sowie anderen Menschen aus Hollywood und der amerikanischen Medienszene zeigt, ist die Erkenntnis: Missbrauch im großen Stil ist nur möglich, wenn im Umfeld der Täter ein System stillschweigend "mitarbeitet".
Der Weinstein-Skandal: Hollywood bricht sein Schweigen – Mo. 18.10. – ProSieben: 22.15 Uhr