Eldorado KaDeWe - Jetzt ist unsere Zeit
27.12.2021 • 20:15 - 21:05 Uhr
Serie, Historienserie
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Produktionsland
D, H
Produktionsdatum
2021
Serie, Historienserie

Gewagte History-Serie: Wie sich die alten und neuen 20er-Jahre ähneln

Von Maximilian Haase

Zwischen Glamour und Armut, Emanzipation und drohender Barbarei: Mit der ARD-Miniserie "Eldorado KaDeWe" nähert sich ein weiteres Format den 20er-Jahren in Berlin. Im Fokus stehen das berühmte Kaufhaus, junge Liebe in Krisenzeiten – und eine mutige Verquickung mit unserer Gegenwart.

Seit Beginn der aktuellen 20er-Jahre wird man nicht müde zu betonen, wie groß die Parallelen zu den "echten" 20-ern, also jenen vor 100 Jahren, doch seien. Krisen, autoritäre Gelüste und der "Tanz auf dem Vulkan" werden gern ins Feld geführt. Nicht ganz zu Unrecht fragt man sich, ob derzeit weltweit ein antiliberaler Backlash droht, ob die Spaltung der Gesellschaft demokratische Prinzipien untergräbt, und ob das Leben nach der Corona-Pandemie nicht völlig neu aufblühen wird. Während "Babylon Berlin" derlei Gegenwartsverknüpfung implizit mitlieferte, lässt die neue Miniserie "Eldorado KaDeWe" keine Missverständnisse aufkommen: Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz erzählt anhand des berühmten Berliner Kaufhauses vom Jungsein in Krisenzeiten, von Diskriminierung, Armut, Glamour und dem Aufstieg der Nazis – und wagt dabei eine mutige Verquickung mit unserer Gegenwart.

Denn anders als von den beliebten 20er-Hochglanzproduktionen gewohnt, verschränkt die sechsteilige Mini-Serie die Ästhetik der "Goldenen Zwanziger" mit Aufnahmen aus dem zeitgenössischen Berlin: Von Fahrzeugen bis zur Skyline ist das 21. Jahrhundert dauerpräsent; historisch gekleidete Fräuleins unterhalten sich vor HipHop-Graffiti, hut- und barttragende Gentlemen überqueren den Ku'damm unserer Tage, die Epochen verschwimmen ineinander, selbst in den Dialogen scheint unsere Gegenwart hindurch.

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Was History- und Kostüm-Puristen als Ärgernis gelten dürfte, funktioniert nach kurzer Gewöhnung erstaunlich gut: Passé die angeblich historisch korrekte Kulisse, in der ja doch nur vor allem unser Blick auf ein oft mystifiziertes Jahrzehnt durchscheint. Passé die erzwungene Authentizität, die umso verkünstelter wirkt. Gewonnen ist mit der Gegenwartsebene hingegen viel: Die Inszenierung wird offen thematisiert, die Aktualität des Stoffes gewinnt an Relevanz.

Schließlich geht es um den Glanz und Schmutz einer heute wie damals kosmopolitischen Metropole, um Exzesse und Politik, aber auch um Klassengegensätze und nicht zuletzt die Gefahr von Rechts. Ihren Fixpunkt findet diese Melange aus Persönlichem und Gesellschaftlichem im Kaufhaus des Westens, gegründet 1907, und seither Sehnsuchtsort, bisweilen auch Hassobjekt. Angelehnt an wahre Begebenheiten erzählt "Eldorado KaDeWe" von vier fiktiven jungen Menschen im Umkreis des Einkaufstempels: Joel Basman spielt Harry, den im Ersten Weltkrieg traumatisierten Sohn des jüdischen KaDeWe-Besitzers Adolf Jandorf (Jörg Pose). Als wagemutiger Juniorchef des Hauses bildet er einen Gegenpol zum vorsichtigen Buchhalter Georg (Damian Thüne). Seine Schwester Fritzi (Lia von Blarer), der in der Dynastie keine Rolle bleibt, trifft bei einem Überfall auf das KaDeWe erstmals auf die aus proletarischen Verhältnissen stammende Textilverkäuferin Hedi (herausragend: Valerie Stoll).

Konflikte und Krisen

Die beiden Frauen könnten eigentlich nicht unterschiedlicher sein, doch entwickelt sich zwischen ihnen eine in Bild und Ton behutsam (bisweilen aber ziemlich explizit) inszenierte Liebe, die sie gegen Widerstände aus den Familien und der Gesellschaft ausleben. Auf diese Emanzipationsversuche in einer jungen Republik, jenseits der Normen der alten kaiserlichen Gesellschaft, hebt auch der zweite Teil des Titels ab, der einen weiteren zentralen Handlungsort markiert: "Eldorado" hieß der bekannteste Nachtclub der queeren Szene im Berlin der 20er-Jahre – hier eröffneten sich für Schwule, Lesben, Transpersonen und andere seinerzeit Ausgestoßene ungeahnte Freiräume, die die Miniserie natürlich in exzessiven (und seit "Babylon Berlin" wohlbekannten) Partyszenen samt Glitzer, Sex und Co. zelebriert. Diversity, wie man heute sagen würde, gab es auch vor 100 Jahren – dies auszubuchstabieren, hat sich Julia von Heinz' sehenswertes Format auf die Fahnen geschrieben.

Doch geht es "Eldorado KaDeWe" nicht nur darum, junge Menschen beim Experimentieren mit Lebensentwürfen vor schicker 20er-Kulisse zu zeigen. Dafür ist das von Constantin und UFA Fiction mit ARD Degeto und RBB koproduzierte Format zu politisch: Nicht nur missbilligt Fritzis großbürgerliche Mutter (Victoria Trauttmansdorff) die lesbische Liebe ihrer Tochter, nicht nur stößt Hedi mit ihrer Klassenherkunft aus einer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Arbeiterfamilie an Grenzen, weil sie ihre Schwester Mücke (Neele Buchholz) versorgen muss. Am Horizont zeichnet sich vor allem die drohende Barbarei schon ab: Die Nationalsozialisten erhalten immer mehr Zulauf, zu ihren Anhängern gehört auch Hedis Ehemann in spe.

Die Gegensätze, und da wären wie wieder bei der Gegenwart, werden immer größer: Wachsende antisemitische Ressentiments bedrohen die jüdische Kaufhaus-Familie – so sehr sie sich die deutsche Großbürgerlichkeit auch zum Vorbild nimmt. Der zunehmende Chauvinismus steht einer ebenso wachsenden freien Subkultur entgegen, Feminismus und neue Frauenbilder werden ebenso abgelehnt wie Homosexualität.

Serienschöpferin Julia von Heinz sagt, sie habe sich gefragt, "warum ich, bei aller Krisenhaftigkeit unserer Gegenwart überhaupt in die Vergangenheit schaue und dort nach einem Stoff suche". Sie habe – und hier scheint der Grund für das mutige hybride Zeitkonzept auf – "kein Interesse" daran gehabt, die 1920er-Jahre genau zu reproduzieren. Vielmehr hätten sie jene Jahre "dahingehend interessiert, was sie mit den 2020er-Jahren gemeinsam haben: Antisemitismus, LGBTQIA- und Frauenrechte, Obdachlosigkeit und eine fragile Demokratie beschäftigen uns auch heute".

Bei aller Kritik, die man an so mancher Klischee-Szene und -Figur äußern kann, und trotz aller Erwartbarkeiten, die der Topos "junge Freunde halten in schweren Zeiten fest zusammen und schreien von Dächern" bedient: "Eldorado KaDeWe" beleuchtet – anders als andere deutsche "Event"-History-Formate – die Konflikte und Krisen der Weimarer Republik aus frischer Perspektive – wenig belehrend, nur ein bisschen melancholisch und überaus unterhaltsam.

Die ARD strahlt alle sechs Episoden der Miniserie am Stück aus, beginnend 20.15 Uhr, die finale Folge 6 läuft um 00.15 Uhr. Mitten in der Nacht, ab 01.10 Uhr, zeigt das Erste dann die Doku "Mythos KaDeWe" von Dagmar Wittmers, die sich der Geschichte des Kaufhaus des Westens widmet.

Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit – Mo. 27.12. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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