ARTE meets Asia. In "Tibet – China – Das stille Verschwinden" geht es um 20.15 Uhr um die Nachfolge des Dalai Lama, des geistlichen Oberhauptes der Tibeter, den China allein bestimmen will. In "Flucht aus Nordkorea" (21.40 Uhr) fliehen Menschen aus der rigorosesten Diktatur der Welt.
Die ARTE-Doku "Flucht aus Nordkorea" erzählt von ergreifenden Schicksalen. Soyeon ist einst aus Nordkorea geflohen und versucht nun verzweifelt, ihren auf der Flucht zurückgelassenen Sohn unter Lebensgefahr nachzuholen. Eine fünfköpfige Familie, darunter drei kleine Kinder und eine betagte Großmutter, will ebenso über die Grenze nach China entkommen. Eine gefährliche Flucht, bei der schwerste Strafen, womöglich die Hinrichtung drohen. Ein Pastor will diesen Menschen helfen, als Profi hat er alles penibel und detailliert vorbereitet. Er kennt die Bewegung der feindlichen Grenzposten, die Strömung des Grenzflusses nach China, die Pfade des chinesischen Gebirges, über das die Flüchtenden aus der härtesten Diktatur dieser Welt entkommen wollen. Es wird über China, Vietnam und Laos nach Thailang gehen.
Die amerikanische Filmemacherin Madeleine Gavin stellt sich in ihrem sehenswerten Film die Frage: "Wie weit sind Menschen bereit zu gehen, um ihre Freiheit zu erlangen?" Dazu studierte sie Nordkorea und seine Menschen monatelang im Voraus und erkannte dabei, dass es kaum informatives Material über Nordkorea im Westen gibt. Sie traf daraufhin Flüchtlinge aus Norkorea – und vor allem Seungeun Kim, den Pastor, der bereits tausenden von Nordkoreanern zur Flucht verholfen hat. Er selbst verlor vor zehn Jahren seinen Sohn auf der Flucht. Er und seine Frau sagten sich: "Wir haben dich verloren, also werden wir uns der Rettung anderer widmen."
Kim wurde zu Gavins charismatischem Helden, ohne ihn hätte sie den Film nicht machen können, wie sie sagt. Der vom nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong-un verfolgte Pastor begleitet "seine" Flüchtlinge selbst unter Lebensgefahr und wurde dabei auch angeschossen. Sein humanes Netzwerk reicht von bloßen Geldverdienern bis zu Idealisten, die unter anderem Kameras ins Innere Nordkoreas schmuggeln.
Man könnte entsetzt sein über die Machart des Films, der – wie auch – kein gutes Haar an Nordkorea lässt. Die Hunderttausend-Menschen-Aufführungen Jugendlicher werden mitunter dazwischen geschnitten, ebenso wie die Erfahrungsberichte Betroffener und die jüngste Geschichte des Landes. Und wer weiß, ob der Pastor nicht doch ein Schauspieler ist, der sich selber spielt? Selbst in den schlimmsten Momenten, wo er die von ihm betreute Familie vor Tod und Teufel warnt, hat er ein unwirkliches, unbegreifliches Lächeln drauf. Aber es gibt eben auch den Humor, der aus den größten Foltererzählungen eine menschliche Komödie macht. Die ewig frische Großmutter mit ihrem fabelhaften Kartoffelgesicht, die ihren ach so jungen und gescheiten Diktator von Utopia lobt, hat sowieso den Oscar für die beste Nebenrolle verdient. Kurosawa dürfte vor Neid erblassen.
Soyeon bekommt übrigens ihren Sohn nicht zurück, sie erhält immer nur Nachricht über ihn von anderen gegen Geld. Er lebt, aber sie haben ihm die Zähne und die Knochen gebrochen. Die Familie aber wird gerettet, der Pastor hat genaue Anweisung gegeben, wie sie sich im schmalen Schelch über den Mekong ins freie Thailand verhalten soll. Es sind bewegende Nachtaufnahmen, die die Kamera zuletzt festhält. Und sie entschädigen für mancherlei gut gemeintes Propaganda-Patchwork im Dienst der humanen Sache.
Beim amerikanischen Sundance-Festival 2023 wurde "Beyond Utopia", so der Originaltitel, im Beisein von Soyeon Lee, des Pfarrers Kim und der von ihm betreuten Flüchtlingsfamilie gezeigt. Da brachen sie alle in Tränen aus.
Flucht aus Nordkorea – Di. 05.03. – ARTE: 21.40 Uhr