In seinem zweiten Münchener "Polizeiruf" nach dem Grimme-Preis gekrönten "Der Tod macht Engel aus euch allen" (2013) zeigt Filmemacher Jan Bonny, wie rechte Gewalt das Deutschland der Gegenwart verändert.
Vier Jugendliche schlagen so brutal auf einen jungen Mann syrischer Herkunft ein, dass er im Krankenhaus seinen Verletzungen erliegt. Zuvor soll er ein junges Mädchen (Ricarda Seifried) vergewaltigt haben, das Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) in dessen vorletzten "Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit" die Tat berichtet. Wenig später lässt sich der mörderische Clan widerstandslos festnehmen. Die sich überlegen aufführenden Jungmänner geben sich provokant, sie verhöhnen die Justiz. Farim Kuban (Jasper Engelhardt), ein Jugendlicher mit persischen Wurzeln, scheint der einzige der Gruppe zu sein, an dem die Gewalttat nicht völlig abprallt. Sowohl von Meuffels als auch Verfassungsschützer Peter Röhl (Joachim Król) versuchen, ihn für ihre Ziele einzuspannen.
Jan Bonny ist der zurzeit wohl radikalste Regisseur, den man in der deutschen Primetime Geschichten erzählen lässt. Dass dies nur unter dem "Deckmantel" großer Krimisiegel wie "Tatort" und "Polizeiruf" passieren darf, versteht sich von selbst. Bonnys Bilder menschlicher Gewaltexzesse sind schmerzhaft, die angedeuteten Ursachen für das Medium ungewöhnlich komplex aufgefächert. Der Zuschauer wird auf unterschiedliche Art maximal gefordert. Im Kieler "Tatort: Borowski und das Fest des Nordens" (2017) schickte Bonny seinen Hauptdarsteller Misel Maticevic auf einen scheinbar unmotivierten Gewaltfeldzug, den nur hartgesottene Zuschauer aushielten. Auch den Münchener Kommissar von Meuffels inszenierte der 1979 in Düsseldorf geborene Regisseur bereits: in der mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Folge "Der Tod macht Engel aus euch allen" (2013), Lars Eidinger gab darin einen tieftraurigen Transsexuellen.
Auch das Thema seines neuen Krimis, den Bonny nach einer Idee von Georg Schütter inszenierte, ist die Verrohung der Gesellschaft. Sichtbar in ihrer exzessiven, immer enthemmter wirkenden Gewalt. Abzulesen aber auch an einer immer schwammiger werdenden Moral. "Erfinde was", schreit der von Joachim Król gekonnt doppelbödig gespielte Verfassungsschützer seinem Informanten in einer Szene entgegen. In Bonnys und Schütters dystopischem Krimi will jeder nur noch die eigene Haut retten. Für "höhere Werte" hat diese Gesellschaft keine Kraft. Die Figuren wirken wie Ertrinkende, die sich über ihren Job, ihre Institution, ihre Clique einfach nur über Wasser halten wollen. Egal mit welchen Mitteln.
Natürlich mit einer Ausnahme: Hanns von Meuffels. Deutschlands leise-trauriger Ausnahme-Kommissar, der sich im kommenden Winter selbstgewählt mit einer letzten, von Christian Petzold inszenierten Folge von seinem Publikum verabschieden wird, man vermisst ihn jetzt schon – er gibt den letzten Aufrechten. Dass von Meuffels die böse Welt seines bayerischen Polizeirufs nicht mehr verändern wird, ist schon lange klar. Dem Publikum und ihm selbst ohnehin. Dieser jetzt schon legendäre Ermittler deutscher Krimigeschichte wirkt nicht nur aus der Zeit gefallen, weil er immer noch Zigaretten raucht und stets Anzüge trägt. Auch sein moralischer Kompass scheint in der wankenden Demokratie 2.0-Gesellschaft nicht mehr in jene Richtung zu zeigen, in der die breite Masse für das Richtige kämpft.
"Das Gespenst der Freiheit" ist jedoch nicht nur wegen Bonnys radikaler, fordernder Inszenierung und Thesen ein frühes Highlight der neuen ARD-Sonntagskrimi-Saison. Gesellschaftliche Ängste, Fremdenhass sowie die Salonfähigkeit rechter Ideen verhandelt der Krimi in einer Komplexität und dialektischen Offenheit, dass sich die meisten Polit-Talks und Leitartikel gedruckter Qualitätsmedien ein Beispiel daran nehmen dürfen. Dass es der Film hier und da mit Gewalt und Exzess-Schilderungen übertreibt, diesen Vorwurf wird es mit Sicherheit geben. Wer "saubere" Krimis mit Mord, Aufklärung und gerechter Strafe für den Täter sehen mag, ist hier sicherlich fehl am Platze. Doch während derlei TV-Wirklichkeit immer weniger mit dem Leben draußen zu tun zu haben scheint, robbt sich die Brutalität von Extremfilmern wie Bonny immer dichter an die Realität heran. Es kann einem angst und bange werden.