Polizeiruf 110
30.05.2021 • 20:15 - 21:45 Uhr
Serie, Krimireihe
Lesermeinung
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Vergrößern
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2021
Altersfreigabe
12+
Serie, Krimireihe

So viel DDR war schon lange nicht mehr

Von Eric Leimann

Kann man das 50-Jahre-Jubiläum des "Polizeiruf 110" mit etwas feiern, das es zuvor nicht gab? Man kann: Das Erste installiert ein neues Team in Halle. Peter Kurth und Peter Schneider spielen in der melancholischen DDR-Reminiszenz zwei Bullen, die großartig im Nebel der Unwissenheit stochern.

Ganze zwei Fernsehformate der verblichenen DDR haben bis heute überlebt. Neben dem "Sandmännchen", das Kleinkinder vor dem Schlafengehen beruhigen soll, ist es der "Polizeiruf 110". Der war einst dazu bestimmt, "großen Kindern" Zerstreuung im Arbeiter- und Bauernstaat zu bereiten, auch als Antwort auf den in der BRD kurz zuvor installierten "Tatort". Nun feiert das Format sein 50-jähriges Bestehen.

Als erster Film der Reihe lief "Der Fall Lisa Murnau" im DFF1 am 27. Juni 1971. Dass das Erste die Ost-Vergangenheit des "Polizeiruf 110" mit der Jubiläumsfilm "An der Saale hellem Strande verleugnen" würde, wird niemand behaupten können. Im Gegenteil! Mehr DDR als hier geht kaum. Das liegt neben den charismatischen Ossi-Schauspielern Peter Kurth und Peter Schneider als Ermittler auch an den Machern des in dieser Besetzung frisch aus der Taufe gehobenen Standorts: Das Leipziger Kreativduo aus Regisseur Thomas Stuber und Autor Clemens Meyer ("In den Gängen", "Kruso") arbeitet schon seit Jahren an einer künstlerisch wertigen Aufarbeitung des deutschen Ost-Erbes zwischen 1949 und den frühen 90-ern. Mit ihrem neuen Krimi aus Halle ist ihnen ein überaus poetischer Krimi-Volltreffer geglückt.

Kriminalhauptkommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Kriminalkommissar Michael Lehmann (Peter Schneider) wissen nicht mehr weiter: Vor drei Monaten wurde Uwe Baude im Eingang seines Hauses durch Stiche in Unterleib und Lunge getötet. Es gibt keine Anzeichen auf ein Motiv, der Täter verschwand spurlos, niemand hat etwas gesehen oder gehört. Als letzte Spur verfolgen die Hallenser Ermittler eine groß angelegte Funkzellenauswertung. Personen, die in der Mordnacht in der Umgebung des Tatorts telefoniert haben, werden vorgeladen. Dabei treffen der Einzelgänger und Trinker Koitzsch sowie Familienmensch und Polizeiquereinsteiger Lehmann auf seltsame Nachtgestalten: den vorbestraften Maik Gerster (Till Wonka), den desorientierten alten Eisenbahner Günter Born (Hermann Beyer) und das sprunghafte Irrlicht Katrin Sommer (Cordelia Wege).

Gebrochene Erinnerung an ein altes Lebensgefühl

Auch wenn die DDR seit mehr als drei Jahrzehnten Geschichte ist, in dieser kunstvollen Krimiballade ist sie dauerpräsent. Das beginnt mit dem reaktivierten Standort Halle, wo 17 Jahre lang die Kommissare Herbert Schmücke, gespielt von Jaecki Schwarz, und Herbert Schneider, gespielt von Wolfgang Winkler, ermittelten. Zwar waren sie von 1996 bis 2013 aktiv, also nach der Wende, doch gerade dieser – zuweilen etwas biedere Krimi – roch doch noch immer sehr nach DDR. Auch das Minimalistische in "An der Saale hellem Strande" – die kleine schmutzige Tat ohne großen Überbau im Zentrum der Erzählung – ist gute, alte "Polizeiruf"-Schule. So ging es in den alten DDR-Krimis Filmen selten um Kapitalverbrechen. Häufiger als Mord kamen Diebstahl und Betrugsdelikte vor die Kamera, Alkoholmissbrauch, Sexualdelikte und Jugendkriminalität. Doch diese Einschränkung machte auch die Stärke des Formats aus.

Der "Polizeiruf" konstruierte keine reißerischen, raffinierten Fälle, konnte nicht mit abgründigen, schillernden Helden der Unterwelt punkten. Aber – es sah genau hin, zeigte ungeschönt den Alltag einer unvollkommenen Gesellschaft und war damit oft kritischer als viele deutlicher als Systemkritik zu verstehende Filme, die oft Mühe hatten, es an der staatlichen Zensur vorbeizuschaffen.

Ziemlich viel Ostalgie – das ist okay

Schließlich ist es die neuste "Polizeiruf"-Erzählung selbst – und auch ihr Look, der ein bisschen an ranzige Polizei- und Gesellschaftkrimis der 70-er erinnert – die mit lediglich anerzählten und teilweise wunderbar in einer geheimen Schwebe gehaltenen DDR-Biografien punktet.

Ja, der neue "Polizeiruf" aus Halle beinhaltet ziemlich viel Ostalgie – was für ein Jubiläum absolut okay ist. Die starke, sehr besondere Atmosphäre des "Polizeiruf 110" Halle würde den neuen Standort aber auch in Zukunft emotional tragen. Was hier verhandelt wird, ist nämlich kein Aufräumen oder Abfeiern des Alten, sondern eine gebrochene Riese-Erinnerung an ein altes Lebensgefühl, das 1990 etwa 16 Millionen Deutsche zurückgelassen haben.

Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande – So. 30.05. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das beste aus dem magazin

Dr. David Kubosch
Gesundheit

Wenn Atmen, Bücken oder Drehen zum Problem werden

Rundrücken durch ständiges Sitzen? Wie sich der Rücken auf den ganzen Körper auswirkt und welche Maßnahmen helfen, erklärt ein Experte für Rückengesundheit.
Die Vulkaninsel La Réunion.
Reise

Sehnsuchtsorte im Jahr 2026

prisma stellt mögliche Reiseziele fürs nächste Jahr vor und verrät, an welchen Orten besondere Erlebnisse auf Urlauber warten.
Johannes B. Kerner steht auf einer Treppe.
HALLO!

Johannes B. Kerner über das Weihnachtsfest: "Familie geht über alles"

Johannes B. Kerner moderiert rund um Weihnachten drei Sendungen. Mit prisma hat er über deren Besonderheiten gesprochen und erklärt, warum ihm die Jahreszeit so gut gefällt.
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser ist Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie am Sana-Klinikum Remscheid und bekannt als "Doc Esser" in TV und Hörfunk sowie als Buchautor.
Gesundheit

Adventszeit: Genießen mit gesunder Gelassenheit

Die Weihnachtszeit muss nicht ungesund sein. Mit ein paar einfachen Tipps kann man die Adventszeit genießen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Entscheidend ist, was man das ganze Jahr über macht.
Oliver Mommsen vor einem Weihnachtsbaum.
HALLO!

Oliver Mommsen über seine Rolle in "Eine fast perfekte Bescherung"

Im Weihnachtsfilm „Eine fast perfekte Bescherung“ müssen die Anwohner eines Berliner Viertels an Weihnachten ihre Wohnungen verlassen, weil eine Weltkriegsbombe entschärft wird. In einer Turnhalle findet sich eine bunt gemischte Truppe zusammen, die nun mit dieser Situation umgehen muss. Oliver Mommsen spielt Pfarrer Klaus Meier. Mit prisma hat er über den Film und über Weihnachten gesprochen
Carsten Henn lehnt an einer Wand.
HALLO!

Carsten Henn: „Wein ist ein bodenständiges Produkt“

Bestsellerautor Carsten Henn ist thematisch breit aufgestellt. Neben seinen Bestsellern wie „Der Buchspazierer“ und „Sonnenaufgang Nr. 5“ hat er sich einen Namen als Verfasser kulinarischer Kriminalromane gemacht. Da blitzte seine Liebe für den Wein schon hier und da auf. In seinem neuen Weinbuch schenkt der renommierte Weinjournalist und Weinbauer sein fundiertes fachliches Know-how nun einzigartig praktisch und unterhaltsam ein: Mit 66 wohldosierten und klug ausgewählten Fragen nimmt er seine Leser in „Simply Wine“, erschienen bei ZS, mit in die Welt des Weins. prisma hat mit ihm über sein neues Buch gesprochen.