Neuland an der Saar: In seinem vorletzten Auftritt als Kommissar Stellbrink ermittelt Devid Striesow in digitalen Welten. Gestorben wird dennoch klassisch offline.
Das klingt schon mal nach einem Rohrkrepierer: "Ein Thema, das auch die saarländische Industrie zurzeit beschäftigt" behandle der "Tatort", heißt es vonseiten des SR. Gähn. Spätestens aber, wenn nach einigen Minuten ein Herr namens Sebastian Feuerbach (Nikolai Kinski) in seinem Auto spektakulär zu Tode kommt, darf man erleichtert festhalten: "Mord Ex Machina", der neueste Fall aus Saarbrücken (Regie: Christian Theede), ist alles andere als ein Werbefilm für den Industriestandort Saarland.
Feuerbach war mit Vollgas und ohne zu bremsen eine Böschung hinabgestürzt. Totalschaden, sofort tot. Zuvor hatte man ihn im Streit das Büro von Victor Rousseau (Steve Windolf), dessen Anwalt er ist, verlassen sehen. Der Mann mit dem Philosophennamen ist Chef von Conpact, einem Start-up, das Datenkrake spielt und so sehr viel Geld verdient. Feuerbach steigt also, zornesrot, in seinem Wagen, einen Prototyp, der vollgestopft ist mit Technik. Er habe einen erhöhten Herzschlag und etwas Alkohol im Blut, ermahnt in der Bordcomputer. "Wünschen Sie pilotiertes Fahren?" Wünscht er nicht, und so rast Feuerbach in den Tod.
Einen Selbstmord kann der am nächsten Morgen herbeieilende Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) schnell ausschließen. Ganz klar: Das Auto war's! Beziehungsweise jemand, der das Fahrzeug so manipuliert hat, dass es auf Selbstmordmission ging. Ein Mitarbeiter von Conpact vielleicht? Albtraum Auto, mal anders. Willkommen in der Zukunft.
Nur ist es ja meist so: Wenn "Tatort"-Kommissare im Cyberspace ermitteln – und nirgends anders geht es hin in diesem Fall -, kommt einem schnell das Merkel'sche "Neuland" in den Sinn. Auch Stellbrink entfährt irgendwann ein "Scheiß Computer!", hat der Mittvierziger doch bald die Schnauze voll von all den Digital Natives, die da um ihn herumschwirren, bei Conpact etwa. Warum ausgerechnet im Sonntagskrimi immer wieder (man denke etwa an den grandios gescheiterten Bremer "Tatort: Echolot") Offline-Menschen in digitale Gefilde geschickt werden, bleibt wohl ein ewiges Rätsel. Schön aber dennoch, diese Idee, "Mord Ex Machina" in einer ziemlich nahen technischen Zukunft spielen zu lassen. Science-Fiction ist hier nichts, das macht das Szenario umso bedrohlicher.
Geübte "Tatort"-Schauer wissen zwar schon nach weniger als einer halben Stunde, wer der Mörder ist, Stellbrink aber stapft noch gute 60 Minuten weiter durch die Offline-Welt und überlässt das Digitale derweil den (jüngeren) Experten. Das Ermitteln in realen Gefilden führt ihn in die Arme von Natascha (Julia Koschitz). Die Computerexpertin sollte im Auftrag von Rousseau dessen Systeme hacken, als Übung für den Ernstfall quasi. Gut möglich, dass sie das Todesauto manipulierte. Um etwa aus der klugen Dame herauszukitzeln, lässt sich Stellbrink auf ein Spiel mit ihr ein: Sie verspricht, auf digitalen Wegen mehr über ihn herauszufinden als er, der klassische Ermittler, über sie in Erfahrung bringen kann. Tatsächlich bringt sie den Kommissar bald reichlich in Bedrängnis und findet Kompromittierendes, das ihn die Karriere kosten könnte.
Zwischenmenschlich ist sowieso viel los in diesem Film. Es wird geflirtet und betrogen, und Stellbrink, der Single, tummelt sich gar auf einer Partnerbörse (er nennt sich "Johnny Guitar"). So viel Persönliches erfährt man selten über einen "Tatort"-Kommissar in nur 90 Minuten. Schade, dass Stellbrink bald Geschichte ist: "Mord Ex Machina" ist der vorletzte Film aus Saarbrücken mit Devid Striesow. 2019 folgt "Der Pakt", das war's dann. Elisabeth Brück übrigens, eigentlich Striesows Kommissars-Partnerin an der Saar, geht in diesem Film völlig unter. Einmal darf sie abschätzig etwas vom Strukturwandel im Saarland erzählen, und das war's dann auch schon an Geistesblitzen, die ihr das Drehbuch von Hendrik Hölzemann und David Ungureit zugestehen.
Dafür bietet "Mord Ex Machina" anderweitig reichlich Gesprächsstoff für anschließende Talkrunden. "Die Menschen mögen es nun mal bequem", rechtfertigt etwa Technik-Philosoph Victor Rousseau sein Geschäftsmodell, Daten zu sammeln und auszuwerten, um etwa selbstfahrende Autos auf die Straßen schicken zu können. Ob's das wert ist, fragt man sich irgendwann. Dass am Ende ausgerechnet die Technik den Täter überführt, ist ein schön ironischer Zug in diesem sepiafarbenen Film. Wenn dann in der letzten Szene aber Stellbrink sein Smartphone vom Balkon wirft und Google Maps gegen den Faltplan eintauscht, hat sich der "Tatort" doch wieder etwas plakativ im Neuland verirrt.