In seinem fünften Fall lässt das Dresdner Ermittlertrio die zuletzt verbogene Humorschiene in der Gerätetasche. "Déjà-vu" ist ein ernsthafter, emotional bewegender Kriminalfilm über die Morde eines Pädophilen.
Der neunjährige Rico Krüger ist verschwunden. Bald schlägt die Panik der Eltern (Jörg Malchow, Franziska Hartmann) in grenzenlose Wut und Trauer um, als das Kind tot aus einem Koffer in der Elbe geborgen wird. In seinem Mund finden sich Spermaspuren. Die Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) beginnen angefasst mit den Ermittlungen. Ihren Chef Schnabel (Martin Brambach) droht der Fall vollends aus seinem fragilen Gleichgewicht zu bringen. Einige Jahre zuvor erlebte Dresden einen ähnlichen Fall, den der nervöse Ermittler nicht aufklären konnte. Unter intensiver Begleitung der Medien gerät im Krimi namens "Tatort: Déjà-vu" bald der Schwimmtrainer des Jungen unter Verdacht, dem eine pädophile Vergangenheit nachgesagt wird. Eine vorschnelle Hexenjagd?
Das Drehbuch der renommierten Filmregisseure und "Teilzeitautoren" Mark Monheim ("About A Girl") und Stephan Wagner ("Die Akte General") lässt den Zuschauer mehr wissen als die anfangs im Dunkel tappenden Ermittler. So erzählt eine Parallelhandlung von der Beziehung Jennifer Wolfs (Alice Dwyer) mit dem etwas jüngeren René Zernitz (Benjamin Lillie). Der hübsche, aber gequält wirkende Mittzwanziger scheint etwas vor seiner mütterlichen Liebhaberin zu verbergen – während in der Haupthandlung die emotionale Wucht einer öffentlich begleiteten Ermittlung in einer Kindstötung seriös und mitreißend erzählt wird. Autor Stephan Wagner inszenierte 2012 das vielfach preisgekrönte Drama "Der Fall Jakob von Metzler", mit dem er bereits große Sensibilität im Umgang mit einem vergleichbaren Plot bewies.
Auch die Bildsprache des 31-jährigen Nachwuchsregisseurs Dustin Loose ("Erledigung einer Sache"), für seine frühen Studentenwerke bereits vielfach ausgezeichnet, gefällt. Ruhig beobachtet die Kamera (Clemens Baumeister, "Der Nachtmahr") ihre Protagonisten, die in diesem nah an den Personen erzählenden, sensibel inszenierten Krimi Gelegenheit bekommen, Charaktere auch mal abseits von Krimiworthülsen zu zeichnen und etablieren – was für den Zuschauer sehr angenehm ist.
Ohnehin findet beim Dresdner "Tatort" derzeit ein Umorientierungsprozess statt. Nach dem ersten, tatsächlich brillanten Fall "Schlag auf Schlag", der im Schlagermilieu spielte, schien dem verantwortlichen Autor Ralf Husmann ein neuer, komisch-bitterer Geniestreich im "Tatort"-Format gelungen zu sein. Leider konnte selbst Husmann, sicher einer der humorbegabtesten und dabei sicher nicht flachwitzigen deutschen Autoren, es nicht verhindern, dass in weiteren Folgen unter seiner Beteiligung eher mittelmäßige "Tatorte" entstanden. Zuletzt konnte Husmann selbst dem vierten Film der Reihe, "Auge um Auge" – der wie sein Meisterstück "Stromberg" in der Versicherungsbranche spielte – nicht die nötige Würzte verleihen.
Mittlerweile haben sich sowohl Husmann wie auch Hauptdarstellerin Alwara Höfels aus Dresden verabschiedet. Letzter Fall der burschikosen Ermittlerin Henni Sieland wird der nächste Sachsen-"Tatort: Wer jetzt allein ist" sein, der vor Weihnachten abgedreht wurde. Höfels' Abschied spielt in der Welt des Online-Datings und kommt ebenfalls ohne Ralf Husmann aus. Das Buch schrieb Erol Yesilkaya, der für finster-brillante "Tatorte" wie Joachim Króls Abschiedsvorstellung "Das Haus am Ende der Straße" verantwortlich war, Regie führte Theresa von Eltz ("Vier Könige"). Offenbar scheint Dresden das Humorfach vorerst zugunsten einer neuen Ernsthaftigkeit aufgegeben zu haben. Bewertet man diese Entscheidung am neuen Fall "Déjà-vu", einem gradlinigen, aber dennoch stark erzählten und inszenierten Krimi, war sie richtig.