Wenig Halt im Strudel der Zoten und Dichter-Zitate. Der Weimar-"Tatort" feiert den heiligen Unernst. Das ist konkurrenzlos charmant, aber auch ziemlich verwirrend.
Ich glaub', mein Hering hupt! Schon wieder die aus Weimar? Haben die nicht erst am zweiten Weihnachtstag ihre Sprüche-Salven aufs ARD-Publikum abgefeuert? Auch egal. Haben ja nicht so viele zugeguckt. Nur 5,92 Millionen. Schlechteste "Tatort"-Quote seit über sieben Jahren. Das wird jetzt an einem "regulären" Sonntagabend sicher besser laufen. Zumal eigentlich alles geboten ist, was der mehrheitlich konservative Krimifan goutiert. Keine Experimente! Es gibt zwei Leichen, dann noch eine, und die Kommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner) befragen ausdauernd einen kleinen Kreis an Verdächtigen. Wenn nur dieser kindliche Unernst nicht wäre! Der ist dem unorthodoxen Kommissars- und Ehepaar nicht auszutreiben. Hoffentlich.
Nun aber, zack zack, Hackepeter, worum geht's? Endlich mal um Goethe! Im weiteren Sinne ... Die thüringische Kulturmetropole plant den Bau eines "Geomuseums" zu Ehren des Dichterfürsten. Zwei Parteien haben sich mit Standorten für den Bau beworben. Ein Dritter, der Mäzen und Milliardär Alonzo Sassen, droht mit einer großzügigen Grundstücks-Schenkung an die Stadt dazwischenzugrätschen, da wird er des Nachts von einem finnischen Auftragskiller liquidiert. Wollte sich einer der anderen Bewerber das Geschäft nicht verderben lassen?
Als Lessing und Dorn in der Villa eintreffen, finden sie nicht nur den Milliardär erschossen vor, sondern auch den komischen Killer, den Sassens junge Gattin mit dem Revolver überraschen konnte. Erstaunlich, wie die schöne Lollo (Ruby O. Fee) das hinbekommen hat, wo sie doch am Versuch, den Kommissaren Kaffee zu kochen, krachend scheitert. Weil Lollo einen ungünstigen Ehevertrag unterschrieben hat, spricht die junge Witwe schon bald bei ihrem alten Arbeitgeber vor, und auf diese Weise kommt der Titelheld dieses Schwank Noir ins Spiel: "Der kalte Fritte", ein Bordellbetreiber, der eigentlich Fritjof Schröder (Andreas Döhler) heißt und einen verfeindeten Bruder (Sascha Alexander Gersak) hat, der einen Steinbruch betreibt.
Das mit dem Bruder und dem Steinbruch wird noch wichtig, weil auf diesem Tableau schräger Figuren alles mit allem und natürlich mit dem Goethe-Geomuseum zusammenhängt. Noch verworrener wird es, als der Architektur-Professor Ilja Bock (Niels Bormann) in einer tänzerisch ansprechenden Sequenz erschlagen wird – er ist der Vorsitzende der Jury, die über den Standort des Museums-Neubaus entscheiden soll. Seine Geliebte (Elisabeth Baulitz) ist die Frau vom Bruder vom Bordell-Fritte, und viel mehr sollte man gar nicht ausführen, denn man will ja bei niemandem einen Gehirnschluckauf auslösen. Den bekommt man beim Zuschauen allerdings ungefragt.
Vielleicht schießt der Weimar-"Tatort" hier auch deshalb etwas ins Kraut, weil der Gag-Experte Murmel Clausen erstmals ohne den kongenialen Struktur-Experten Andreas Pflüger das Drehbuch geschrieben hat. So gibt es zwar haufenweise merk-würdige Sinnsprüche und Nora Tschirner mit Strapsen an der Poledance-Stange, aber auch wenig Halt im Strudel der Zoten und Dichter-Zitate. Mit löblicher Ausnahme der beiden in sich ruhenden Kommissare.
Christian Ulmen und Nora Tschirner führen sich noch immer auf, als wären ein Germanistikdozent und eine Café-Bedienung ohne erkennbaren Grund im Körper zweier Kriminalbeamter erwacht. Ihre Kommissarsfragen nach dem Wann, Wo und Wie, jubiliert der Regisseur Titus Selge treffend, "kullern ihnen so trocken aus dem Ärmel, als wären sie eben zum ersten Mal gestellt worden". Sieht man von dem etwas unnötig pathetischen Western-Showdown im Steinbruch ab, ergibt sich ein wirklich wasserdichtes Konzept: Den Weimarern ist nichts und niemand heilig. Sie nehmen nicht mal ihre eigenen Pointen ernst.