Im Dresdner "Tatort: Wer jetzt allein ist" stoßen die Ermittlerinnen auf die düsteren Seiten des Online-Datings – und begeben sich im letzten Fall von Alwara Höfels als Lockvögel selbst in Gefahr.
So manch digitales "Neuland" der letzten Jahre birgt hohe Risiken. Und ist somit gefundenes Fressen für begierige "Tatort"-Drehbuchschreiber, die immerzu nach zeitgemäßen Mordgeschichten samt moralischer Botschaft lechzen. Online-Dating ist so eine Entwicklung, die ihre offensichtlichen Gefahren und ihr kriminelles Potenzial auf dem Silbertablett serviert. So wundert es wenig, dass sich schon vor einigen Jahren der Kölner "Tatort: Wahre Liebe" mit dem Phänomen befasste. Nach Schenk und Ballauf ermitteln nun auch die beiden Dresdner Kommissarinnen in der Welt der Internet-Liebesportale: Im spannenden, wenn auch etwas arg konstruierten "Tatort: Wer jetzt allein ist" stoßen Sieland und Gorniak auf die blutigen Seiten des Online-Datings. Im leider letzten Fall von Alwara Höfels begeben sie sich in einer sehr persönlichen Geschichte als Lockvögel selbst in Gefahr.
"Da hat jemand richtig geackert": Angesichts der brutal erwürgten Frauenleiche wirkt die Umschreibung des Kriminaltechnikers am Tatort ein wenig pietätlos. Überhaupt: Um den heißen Brei redet kaum jemand herum im sechsten Fall der Dresdner Kommissarinnen Henni Sieland und Karin Gorniak, deren Darstellerinnen Alwara Höfels und Karin Hanczewski sich als erstes weibliches "Tatort"-Duo einen respektablen Ruf erarbeitet haben. Schade eigentlich, dass Höfels nach dieser Folge als Kommissarin hinschmeißt. Unstimmigkeiten über die "ernstere" Ausrichtung des "Tatorts" hatten sie – ebenso wie den Drehbuchautor Ralf Husmann – zu diesem Schritt bewogen.
Das ist auch insofern bedauerlich, dass die beiden hart-herzlichen Damen bereits tief in ihr bisweilen recht zerrüttetes Privatleben blicken ließen. Im "Tatort: Wer jetzt allein ist" geschieht dies umso mehr. Der aus dem berühmten Rilke-Gedicht "Herbsttag" entlehnte Titel prädestiniert für vielfältige Lesarten: So muss die schwangere und verlassene Sieland entscheiden, ob sie das Kind dennoch bekommen soll. Und die bereits alleinerziehende Gorniak muss sich mit ihrem aufmüpfigen Teenie-Sohn herumschlagen, für den sie lieber einen "Kerkermeister" als einen Babysitter sucht.
Zwei Frauen, zwei Klischee-Probleme? Was im Kontrast zu manch männlichen "Tatort"-Kollegen aufgesetzt wirkt, spiegelt doch verdichtet die realen Probleme berufstätiger Frauen heute. Um einiges konstruierter präsentiert sich indes der Mordfall, in dem die Dresdnerinnen ermitteln: Das Opfer ist Doro Meissner (Svenja Jung), eine 22-jährige Studentin, die augenscheinlich aus Rache umgebracht wurde. Angeblich soll sie auf einem Dating-Portal unter dem Namen "Birdy" mehrere Männer mit Liebe gelockt und um Geld betrogen haben. Um sich zu rächen, gründeten die Betroffenen die Gruppe "Vogeljäger", die in martialischen Videos zur Jagd auf Doro aufrief.
Allein: Doro war schon länger vom Portal abgemeldet, wie die Kommissarinnen bald erfahren. Als wahrer Betrüger entpuppt sich der Gründer der Online-Dating-Seite "Love Tender", der mit Doros Profil seine Kunden ausnahm. Warum sie das Geld überwiesen haben, fragen die Ermittlerinnen die Verdächtigen: "Ja, weil ich ein Idiot bin!", antwortet einer. "Wer jetzt allein ist, wird es lange sein" – die Einsamkeit und Sehnsucht nach Liebe bleibt als dramatisch inszeniertes Hauptmotiv des "Tatorts" bestehen.
Einen abermals konstruierten, aber dennoch hübschen Dreh erfährt der Fall, als sich Sieland und Gorniak, einsam und risikofreudig wie sie sind, selbst Online-Dates auf dem zwielichtigen Portal verschaffen: Weil die Beweislage dünn ist, pirschen sie sich auf diese Art mit weiblichen Reizen an die beiden Hauptverdächtigen heran – auch wenn das laut ihrem Chef Schnabel (erneut als einziger echter Dresdner toll: Martin Brambach) natürlich vor Gericht nicht verwendbar ist.
Egal: Die Undercover-Dates mit dem Sonderling Petrick Wenzel (Aleksandar Jovanovic) und dem wohlhabenden Unternehmer Andreas Koch ("Sankt Maik"-Star Daniel Donskoy) bescheren dem "Tatort" sehenswerte Szenen und Dialoge – sowie ein dramatisches Finish, in dem sich die Ermittlerinnen erwartungsgemäß selbst in Gefahr begeben.
Wenn sich Kommissarin Gorniak in den attraktiven Verdächtigen verknallt und nackt (!) in dessen Pool badet, ist das ebenso aufreibend wie die Situation von Ermittlerin Sieland, die "ihr Date" nach einem Beinahe-Übergriff in bester "MeToo"-Manier zurechtweist: "Nein heißt Nein, merken Sie sich das!" Auflockernd gibt Kommissariats-Leiter Schnabel erst unfreiwillig ("Es hat sich ausgeschnabelt") schließlich den "Kerkermeister" für den pubertierenden Sohn seiner Kommissarin, den er nett slapstickhaft mit Handschellen zu den Mathehausaufgaben zwingt.
Die Mischung macht den aktuellen Dresdner "Tatort" spannend. Zwischen hochdramatischen Gewalttaten mysogyner Männer und albernen Vorurteilen über Dating-Portale, zwischen banalem Allerweltsgequatsche ("Peter Alexander entspannt mich") und ernsthafter Thematisierung des privat-beruflichen Balanceakts für Frauen, machen der Dresdner "Tatort" und seine sympathischen Hauptdarstellerinnen wieder vieles richtig.
Umso tragischer also, welch kurzes und beinahe schmerzloses Ende sich die Autoren für Alwara Höfels Kommissarin ausgedacht haben. Bei aller Trauer darüber: Immerhin wird mit Cornelia Gröschel eine weitere echte Dresdnerin ihre Nachfolgerin.