Wie starb der frühere Verteidigungsminister Karl Lütgendorf? Dem Wiener "Tatort" fällt zur ollen Verschwörungskamelle nicht viel Neues ein.
Beim ORF hat einer gründlich nachgerechnet. Gleich drei Jubiläen verbinden sich mit "Wahre Lügen", dem neuen "Tatort" aus Wien. Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren löste Harald Krassnitzer seinen ersten Fall als – damals noch – Chefinspektor Moritz Eisner. Für Eisners Partnerin Bibi Fellner ist es der 20. Einsatz als Mordermittlerin, und schließlich vollendet deren Darstellerin, die unvergleichliche Adele Neuhauser, vier Tage nach der Ausstrahlung das 60. Lebensjahr. Geballte Krimi-Historie. Dazu passt, dass der zugehörige Jubiläumsfilm hüfttief in der österreichischen Zeitgeschichte gräbt. Es geht nach Motiven einer wahren Begebenheit um den Tod des früheren Verteidigungsministers Karl Lütgendorf.
Was den Deutschen der Fall Barschel, ist den Österreichern der Fall Lütgendorf. 1977 reichte das parteilose Kabinettsmitglied wegen des Verdachts, in illegale Waffengeschäfte verstrickt zu sein, seinen Rücktritt ein. Vier Jahre später, am 9. Oktober 1981, nahm sich Lütgendorf nach Feststellung des zuständigen Gemeindearztes bei einem Jagdausflug in Niederösterreich das Leben. Die Tatwaffe fand man in seiner linken Hand, wiewohl Lütgendorf Rechtshänder war. Der tödliche Schuss ging durch den geschlossenen Mund, ein Abschiedsschreiben wurde zumindest offiziell nicht sichergestellt. So halten sich bis heute hartnäckig Gerüchte, der dubios vernetzte Ex-Minister sei einem Mordkomplott zum Opfer gefallen.
Knapp 40 Jahre später jagt im "Tatort" eine aus Hamburg angereiste Investigativ-Reporterin derselben Hypothese nach und gerät dabei ihrerseits ins Fadenkreuz. Vom Grund des Wolfgangsees, der langjährigen Lieblingsbadewanne des deutschen Einheitskanzlers, wird sie ermordet in ihrem versenkten Autowrack geborgen. Anlass genug für die Wiener Sondermittler Eisner und Fellner, knapp 300 Kilometer Pendelstrecke (kürzeste Route laut Google Maps) ins Salzkammergut auf sich zu nehmen. Was in dieser "Tatort"-Folge an Benzin verfahren wird, spottet jeder Ökobilanz.
Auch sonst ist es ein wenig dünn, was dem Autor und Regisseur Thomas Roth zur Verschwörungskamelle aus den 80er-Jahren Neues eingefallen ist. Vieles dreht sich um die rachlüsterne Lebensgefährtin der ermordeten Journalistin. Sybille Wildering (Emily Cox), so ihr Name, heftet sich an die Fersen eines windigen Unternehmers (Robert Hunger-Bühler), über den die tote Freundin zuletzt recherchiert hatte. Derweil werden Eisner und Fellner daheim in Wien von zwei aalglatten Beamten der Inneren Sicherheit ermahnt, Lütgendorfs Selbstmord nicht infrage zu stellen. So viel Klischee musste wohl sein.
Wäre im Grunde auch verzeihlich. Aber so herrlich verkauzt wie zuletzt im Strizzi-Kracher "Her mit der Marie!" gestaltet sich das diesmal alles nicht. Bibi schaut durch manchen Flaschenhals in die Abgründe ihrer kaum gebändigten Sucht. Und in Eisners Augen spiegelt sich mehr Müdigkeit als Wiener Melancholie. Der kongeniale Tollpatschassistent Manfred "Fredo" Schimpf (Thomas Stipsits) – wo steckt er nur? – wird schmerzlich vermisst.
Sollte dieses Dreifachjubiläum Feierlaune verbreitet haben, dann ausschließlich hinter den Kulissen. Später im Jahr wird man die Wiener Sonderermittler übrigens noch im Gewerbe der holzverarbeitenden Industrie antreffen. Arbeitstitel: "Baum fällt". Bestimmt können die beiden dann auch wieder besser zeigen, aus was sie geschnitzt sind.