Tatort
23.02.2020 • 20:15 - 21:45 Uhr
Serie, Krimireihe
Lesermeinung
Franziska Tobler und Friedemann Berg ermitteln im Karneval.
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Motiv aus dem Vorspann.
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Produktionsland
D
Produktionsdatum
2020
Serie, Krimireihe

Der Mega-Skandalkrimi aus dem Schwarzwald

Von Eric Leimann

Radikal-Regisseur Jan Bonny hievt den wohl skandalträchtigsten "Tatort" der letzten 20 Jahre in die Sonntags-Primetime. Der neue Schwarzwald-Fall strotzt nur so vor quälend langen Sex- und Gewaltszenen intensivster Art. Auch die Kommissare machen mit ...

Der 41 Jahre alte Filmemacher Jan Bonny hat schon bemerkenswerte Spuren im Sonntagskrimi der ARD hinterlassen. Sein Fall "Borowski und das Fest des Nordens" (2017) mit Mišel Matičević als taumelnder Brutalinski während der Kieler Woche war ebenso ein Brett wie zwei Münchner "Polizeiruf"-Krimis mit Matthias Brandt: einer mit Lars Eidinger als Transvestiten ("Der Tod macht Engel aus uns allen", 2013) und ein weiterer über die Verbindung zwischen rechten Gewalttätern und Behörden ("Das Gespenst der Freiheit", 2018). Bonnys neuer Film mit den Schwarzwald-Kommissaren Tobler (Eva Löbau) und Berg (Hans-Jochen Wagner) toppt die gern mal etwas reißerische bemühte Kategorie "Skandaltatort" jedoch um mehrere Eskalationsstufen: nackte Kommissare, expliziter Sex mit Gewalt, alles in quälend langen Einstellungen. Dass dieser "Tatort" um 20.15 Uhr laufen darf, ist schon eine kleine Überraschung.

Doch worum geht es überhaupt? In einem von diversen Kliniken am Leben gehaltenen Schwarzwald-Kaff feiert man gerade Schwäbisch-Alemannische Fastnacht. Überall sind Menschen mit kunstvollen Holzmasken unterwegs – die andere verfolgen und auf sie eindreschen. Nur zum Spaß natürlich. Wobei in diesem "Tatort" die Grenze zwischen Spaß und dem Umkippen des Selbigen in Gewalt sehr dünn gezogen ist. Eine Ahnung davon erhält man bereits in der Eröffnungsszene. Da gerät eine Kleinfamilie mit sechsjährigem Sohn in einen solchen Narrenüberfall. Das Kind gerät in Panik, als die Mutter geschlagen wird – und ihr Mann sie nur halbherzig verteidigt.

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Das "Opfer" ist die Krankenschwester Romy Schindler (Darja Mahotkin), die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Arzt David Hans (Andrei Viorel Tacu) in einer Klinik arbeitet. Hans ist nicht der Vater des Jungen, erfährt man bald. Auch dass Romy, die auf harte Männer und ungewöhnliche Sexpraktiken steht, ihren Freund ob dessen sanft-bürgerlicher Art ein wenig verachtet.

Gewalt und Sex, der niemandem Spaß macht

Ganz anders ist der Karlsruher Richter Philipp Kiehl (Andreas Döhler), der seiner Frau (Bibiana Beglau) eine Schönheits-OP in Hans' und Romys Klinik spendiert. Nach dem Vorgespräch zum Eingriff drängt Philipp Romy ein Gespräch auf, weil er sie von früher zu kennen glaubt. Als der vergnügungsorientierte Jurist Romy anbietet, ihn in der Nacht nach der OP seiner Frau in seinem Hotel aufzusuchen, gerät diese ins Grübeln, ob sie sich dem Abenteuer stellen soll. Derweil feiern auch die Kommissare Tobler und Berg Fastnacht – mit sehr viel Alkohol. Volltrunken kommt es zum gemeinsamen Total-Absturz ...

Regisseur Jan Bonny, der diese neue Krimi-Grenzerfahrung mit dem noch recht unbeschlagenen Autor Jan Eichberg zu Drehbuch-Papier brachte, ist bekannt für seine radikalen Gewaltschilderungen. Diese haben so gar nichts von cooler Tarantino-Ästhetik oder ähnlich cinematophil Verdaulichem. Bonnys Gewaltszenen – wobei gerade in diesem Film Sex und Gewalt oft eine verstörende Einheit bilden – sind schwer auszuhalten, weil sie so realistisch sind. Bis jemand tot oder wehrunfähig ist, das kann bei diesem Regisseur schon mal dauern. In der Zwischenzeit sieht man geschundene Körperflächen, man hört Seufzen, Jammern und Stöhnen. Gewalt ist hier nicht schnell erledigt, und sie macht auch niemandem Spaß. Sie ist einfach nur schockierend.

Jemanden zu töten, kann lange dauern ...

Der polnische Regisseur Krzysztof Kieślowski drehte im Jahr 1988 das damals auch im Kino gezeigte Meisterwerk "Ein kurzer Film über das Töten". Eigentlich war der Film aber Teil der Fernsehserie "Dekalog", einer Neuinterpretation der zehn Gebote als zehnteilige Fernsehserie. Da sieht man einem armen jungen Schlucker, der Hauptfigur des Films, minutenlang dabei zu, wie er einen Taxifahrer erdrosselt. Jemanden zu töten, kann lange dauern, erfuhr man damals. Etwa im Geiste solcher Erkenntnisse und menschlicher Verwerfungen funktionieren auch die Filme Jan Bonnys. Einerseits wird dieser "Tatort" en masse abschaltende Stammzuschauer des Formats generieren. Es sollte nicht wundern, wenn sie die Millionengrenze locker überspringen. Andererseits ist "Ich hab im Traum geweinet", der früher einmal – durchaus passend – "Masken" heißen sollte, nicht nur aufgrund seines Skandalpotenzials ein sehr bemerkenswerter neuer Schwarzwald-"Tatort".

Hinter den drastischen Bildern offenbart sich mehr und mehr eine verzweifelte Suche nach Liebe aller Protagonisten. Sozusagen ein Liebesfilm, vergraben in einem Sauf- und Maskenspiel. Die unverbrauchten Hauptdarsteller Darja Mahotkin und Andrei Viorel Tacu spielen die filmische Tour de Force überragend, auch Nebendarsteller wie der starke Andreas Döhler oder Bibiana Beglau liefern denkwürdige Vorstellungen ab.

In der vielleicht bittersten, tragikomischsten Szene der "Tatort"-Geschichte überbringen die Kommissare der voll Gesichts-bandagierten Bibiana Beglau nach ihrer OP eine Todesnachricht. Um ihr Schnaufen, Weinen und das Antworten auf die Fragen der Ermittler zu ermöglichen, müssen erst mal die Verbände rund um ihr schwer ramponiertes Gesicht aufgeschnitten werden. Ein Hauch von Körperhorror im "Tatort". Dazu ein großes, menschliches Drama. "Ich hab im Traum geweinet" ist ein Fernsehfilm, über den man so viel reden und streiten wird wie schon lange nicht mehr übers Fernsehen. Gut so!

Tatort: Ich hab im Traum geweinet – So. 23.02. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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