Eine Frau verschwindet, und vieles spricht dafür, dass sie Opfer eines grausamen Verbrechens wurde. Nur ihr kranker Mann und die beiden Töchter glauben, dass alles in Ordnung ist. Die Frankfurter Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) ermitteln im "Tatort" am Ostermontag.
Der "Tatort: Finsternis" am Ostermontag beginnt wie ein Horrorfilm. Ein junges Paar mit Fahrrad nimmt "die Abkürzung" von einer Tankstelle nach Hause zu ihm, durch den nächtlichen Frankfurter Stadtwald. Plötzlich hören sie Schreie und finden offenbar eine Frauenleiche in ihrem Blut – ehe sie durch einen Angreifer in die Flucht geschlagen werden. Als es wieder hell ist, ist das Pärchen noch einmal mit den Ermittelnden Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) vor Ort. Man findet zwar Spuren eines möglichen Verbrechens, aber keine Leiche. Ganz in der Nähe des Tatorts wurde jedoch während der Nacht ein im Wald geparktes Auto bemerkt, dessen Besitzerin Maria Gombrecht tatsächlich verschwunden ist. Die Mutter zweier erwachsener Töchter soll zum Fastenwandern nach Frankreich aufgebrochen sein – und könnte aus Einkehr-Gründen ihr Handy ausgeschaltet haben. Sie könnte allerdings auch auf ewige Zeiten nicht mehr erreichbar sein.
Als Janneke und Brix die Gombrecht-Familie aufsuchen, treffen sie auf den krebskranken Ehemann Ulrich (Uwe Preuss) und seine schwangere Tochter Kristina (Odine Johne). Die fürsorgliche Frau wohnt mit ihrem neuen Mann Freder (Caspar Kaeser) und dem Teeanger-Sohn aus einer früheren Beziehung genau gegenüber des Vaters. Weiter weg geschafft hat es ihre jüngere Schwester Judith (Julia Riedler), die in Berlin als Theaterregisseurin arbeitet. Nun aber ist auch sie wegen der ungeklärten Situation um Mutter Maria nach Frankfurt angereist. Janneke und Brix werden aus den Gombrechts nicht richtig schlau. Sie wirken merkwürdig zuversichtlich, was den Verbleib der Mutter angeht – obwohl viele Indizien dafür sprechen, dass Maria Gombrecht, die von Charakterdarstellerin Victoria Trauttmansdorff in kurzen Rückblenden dargestellt wird, nicht mehr lebt. Wissen die Mitglieder der Familie mehr, oder handelt es sich um einen Fall von "Es kann nicht sein, was nicht sein darf"?
Petra Lüschow ("Petting und Pershing") zeichnet sowohl für das Drehbuch wie auch die Regie des mittlerweile 15. Falles von Janneke und Brix verantwortlich. Die HR-Redaktion traut der 1966 geborenen Filmemacherin offenbar eine Menge zu, denn sie schrieb und inszenierte bereits den vorletzten Fall "Wer zögert, ist tot". Im August 2021 eröffnete er nach der Sommerpause die noch laufende "Tatort"-Saison 2021/22. Der Film war eine Entführungs-Groteske um Täter mit Hundemasken, dysfunktionale Väter und Frauen, die in einem weiblichen Kampfsport-Zentrum für Selbstermächtigung kämpften. Ein leicht überfrachteter Fall, der an einen – der wenigen – nicht ganz geglückten Coen-Brüder-Filmstoffe erinnerte. Den damaligen Vorwurf, dass Lüschow zu viele Ideen in ihre knapp 90 Minuten packte, kann man ihr bei "Finsternis" nicht machen. Personal, Motive und Handlungsstränge sind überschaubar.
Das Rätsel um eine verschwundene Frau, die sich einfach nicht melden will, von der aber einige in der Familie an das Gerücht oder die Tatsache glauben, sie habe zwischenzeitlich Lebenszeichen von sich gegeben, ist als Prämisse interessant, aber auch überschaubar. "Finsternis" ist ein in manchen Szenen fast leerer Film mit verlorenen Menschen in großen Bildräumen, in deren Tankstellen-, Hörsaal- oder Hausmotiven sich die von weitem gefilmten Charaktere fast verlieren.
Der seine "Tatorte" stets selbst produzierende Hessische Rundfunk ließ für den Film vom hauseigenen hr-Sinfonieorchester einen subtil enervierenden Soundtrack einspielen. Ein Schachzug, der zum Erzählten passt. "Einsam ist es da draußen", scheint einem der Film zurufen zu wollen – und das, obwohl eine Familie gezeigt wird, in der sich die Mitglieder umeinander zu kümmern scheinen. In dieser psychologischen Irritation liegt der größte Reiz des ziemlich leisen Ostermontag-Krimis aus Frankfurt.
Ob man den "Tatort: Finsternis" gut findet oder nicht, liegt wahrscheinlich daran, wie faszinierend man die Figuren des vom Rostocker "Polizeiruf 110"-Teamchef-Darstellers Uwe Preuss gespielten Vaters und seiner beiden Töchter findet. Die Stuttgarterin Odine Johne ("Der Palast") sowie die Salzburgerin Julia Riedler ("Goster") verkörpern zwei in jeder Beziehung ungleiche Frauen, über deren Binnenverhältnis Zuschauende genauso rätseln dürften wie über beider "Connection" zur verschwundenen Mutter wie zum Vater.
Wer aufs Ergründen merkwürdiger, ja irritierender Familien steht, ein Spiel, welches Lüschows Drehbuch allerdings auf recht zurückhaltende Weise betreibt, könnte an diesen Zuschau- und Aufpasskrimi seine Freude haben. Wobei sich das mit der Freude in Grenzen hält. "Finsternis" ist ein eher unspektakulärer, aber dafür ziemlich dunkler und nicht in jeder Erzählfaser glaubwürdiger Krimi aus dem in letzter Zeit etwas schwächelnden – gerade weil lange Zeit erzählerisch so starken – Frankfurter Revier.
Tatort: Finsternis – Mo. 18.04. – ARD: 20.15 Uhr