31.05.2016 Experten-Interview

Uwe Till: "Injektionen in die Blutbahn"

Ärzte sprechen von einer regelrechten "Erschöpfungsspirale", in die immer größere Teile der Bevölkerung geraten.
Ärzte sprechen von einer regelrechten "Erschöpfungsspirale", in die immer größere Teile der Bevölkerung geraten. Fotoquelle: garagestock / Shutterstock.com

Erschöpft, ausgebrannt, reizbar und mutlos. Immer mehr Menschen fühlen sich nicht mehr wohl, nicht mehr leistungsfähig, nicht mehr im Vollbesitz von Energie und Kraft. Ärzte sprechen inzwischen von einer regelrechten "Erschöpfungsspirale", in die immer größere Teile der Bevölkerung geraten.

Wir sprachen mit dem Spezialisten für Medizinische Biochemie und Professor für Allgemeine und Klinische Pathobiochemie, Prof. Uwe Till, über diesen belastenden Abwärtstrend und über die Bedeutung eines ausgeglichenen B-Vitamin und Folsäure-Stoffwechsels, um der Spirale zu entkommen.

prisma.de: Herr Professor, wie zeigt sich ein solcher bedenklicher Kraftverlust?

Prof. U. Till: Der Beginn kann individuell unterschiedlich sein. Betroffene klagen häufig über erhöhte Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Konzentrationsschwäche. Dabei können sowohl eher psychische Symptome wie Motivationsverlust und depressive Verstimmung als auch mehr physische Erscheinungen wie Muskelschwäche oder diffuse Schmerzen in Kopf, Rücken, Knien und Hüften im Vordergrund stehen. Schlafstörungen können die nächtlichen Erholungsphasen verkürzen, was die geschilderten Symptome immer weiter verstärkt. Betroffene geraten tiefer in eine regelrechte Abwärtsspirale. Wenn sich dann noch das Verhalten ändert, wenn Menschen ständig gereizt wirken, grundlos aggressiv werden oder sich zunehmend isolieren, dann ist es höchste Zeit, diese Entwicklung zu unterbrechen und etwas dagegen zu unternehmen.

prisma.de: Gibt es dafür Möglichkeiten?

Prof. U. Till: Die geschilderten Symptome treffen nicht nur auf Zustände chronischer Erschöpfung zu, sondern auch auf Erkrankungen wie das Burnout-Syndrom oder die Fibromyalgie (chronische Muskelschmerzen). Die Ursachen für diese Erkrankungen sind sicher unterschiedlich, und damit auch die Maßnahmen zur Vermeidung. Es lassen sich aber Gemeinsamkeiten finden, die vorbeugend oder bei der Behandlung der Krankheiten genutzt werden können. So fand man im Labor schon vor etwa 15 Jahren erste Hinweise auf einen Zusammenhang dieser drei Erkrankungen mit einer Mangelversorgung bestimmter B-Vitamine. Inzwischen ist klar, dass es dabei um eine Kombination aus den Vitaminen B6, B12 und Folsäure geht. Sie sind gleichzeitig für grundlegende Stoffwechselvorgänge im Körper notwendig. Zur Vorbeugung oder Behandlung der Erkrankungen müssen sie in einem gut abgestimmten Verhältnis zugeführt werden. Eine Verabreichung per Injektion in die Blutbahn ist dabei die sicherste Form, weil mögliche Beeinträchtigungen bei der Aufnahme im Magen-Darm-Trakt vermieden werden.

prisma.de: Nun gibt es hierfür ja in Apotheken rezeptfrei eine spezielle Kombination (Medivitan, Fertigspritzen), in der alle die von Ihnen genannten Vitamine enthalten sind und die vom Arzt verabreicht wird. Wie ist die Erfahrungslage hierzu?

Prof. U. Till: Sehr gut. Es gibt sehr viele positive Erfahrungen mit dieser Aufbaukur. Dabei wird mittels einer Fertigspritze über einen Zeitraum von vier Wochen mit jeweils zwei Injektionen pro Woche die Dosis der drei Vitamine zugeführt, die für eine nachhaltige Wirkung benötigt wird. Die Wirkung wird von den Patienten als sehr gut bezeichnet. Sie ist vielfach bereits nach der ersten Spritze spürbar.

prisma.de: Gibt es zu dieser Therapie wissenschaftliche Erfolgsnachweise?

Prof. U. Till: Ja, zum Beispiel in einer 2007 veröffentlichten Studie. Bei etwa 1.500 Patienten mit verschiedenen altersentsprechenden Erkrankungen verringerten sich die Befindlichkeitsstörungen wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Gedächtniseinbußen und Motivationsverlust um fast 70 %. Der Zustand nach der Therapie entsprach dem Durchschnittszustand einer nicht erschöpften Bevölkerung. Eine weitere aktuelle Studie wurde mit 662 Patienten in Arztpraxen durchgeführt. Alle Patienten befanden sich vor Therapiebeginn in einem unterdurchschnittlichen Gesundheitszustand. Arbeit und tägliche Aktivitäten waren durch körperliche oder psychische Probleme zum Teil erheblich beeinträchtigt. Nach Abschluss der Behandlung waren die positiven Effekte eindeutig. Die untersuchenden Ärzte beurteilten die Besserung des Gesundheitszustandes bei 86 Prozent, die Besserung des Allgemeinbefindens bei 88 Prozent und die Steigerung der Leistungsfähigkeit bei 84 Prozent der Patienten mit gut bis sehr gut. Beide Studien weisen klar aus, dass bei Personen, die besonders unter Abgeschlagenheit, Vitalitätsverlust, Antriebslosigkeit oder Schwächeperioden leiden, diese spezielle ärztliche Aufbau-Injektionstherapie erheblich zur Besserung der subjektiven Befindlichkeit beiträgt.

prisma.de: Es wurde auch über eine Schmerzreduzierung berichtet. Was hat es damit auf sich?

Prof. U. Till: Für jedes der drei Vitamine sind Wirkungen bekannt, die zur Linderung chronischer Schmerzen beitragen können: So sind Folsäure und Vitamin B12 notwendig für die Regeneration geschädigter Nerven und den fehlerfreien Aufbau der Nervenhüllen, die Nervenscheiden genannt werden. Vitamin B12 wirkt außerdem hemmend auf Stressfaktoren, die bei Entzündung und Schmerzen eine Rolle spielen. Vitamin B6 dagegen ist notwendig für die Bildung körpereigner Stoffe, die das "Schmerzgedächtnis" unterdrücken und die Schmerzschwelle anheben. Es gibt darüber hinaus Studien, in denen die Wirkung von Schmerzmitteln durch gleichzeitige Gabe der B-Vitamine deutlich verbessert werden konnte.

prisma.de: Warum kann man diese Vitamine nicht einfach als Tabletten zu sich nehmen?

Prof. U. Till: Weil ab einem gewissen Alter der Darm nicht mehr in der Lage ist, genügend Vitamine aus der Nahrung herauszulösen. Dazu kommen Aufnahmestörungen durch bestimmte Medikamente, wie die empfängnisverhütende "Pille", Medikamente gegen Sodbrennen (sogenannte Protonenpumpenhemmer oder H2-Blocker), Medikamente gegen Diabetes oder gegen Asthma. Bei direkter Einbringung in die Blutbahn werden diese Probleme vermieden.

prisma.de: Warum sind die B-Vitamine überhaupt so wichtig?

Prof. U. Till: Die eingangs genannten grundlegenden Stoffwechselvorgänge betreffen vor allem einen wichtigen Zellstoffwechsel, der "Bauteile" für die Bildung vieler lebensnotwendiger Stoffe hervorbringt. Zu diesen Stoffen zählen Eiweiße, Fette, DNA, Hormone, Überträgerstoffe und ATP, um nur einige Gruppen zu nennen. Das funktioniert allerdings nur bei Anwesenheit aller drei Vitamine B12, B6 und Folsäure, die sich gegenseitig nicht ersetzen können. So hängen zum Beispiel Energiestoffwechsel oder Zellteilung unmittelbar von ihnen ab. Eine wichtige Folge daraus ist, dass der vorbeugende und therapeutische Einsatz dieser drei Vitamine für eine entsprechende Vielzahl von Erkrankungen günstig ist.

prisma.de: Also bietet diese Aufbaukur eine wichtige Möglichkeit, die bedrohliche Erschöpfungsspirale zu durchbrechen?

Prof. U. Till: Ja, das kann man so sagen. Die Kur mit den drei Aufbaustoffen in der richtigen Dosierung und Zusammensetzung ist eine sinnvolle Therapieempfehlung bei Erschöpfung.