"In Wahrheit" beim ZDF

Christina Hecke: "Gibt keinen Täter, der nicht zuvor Opfer war"

von Eric Leimann

Christina Hecke ist das Gesicht der neuen ZDF-Krimireihe "In Wahrheit". Im Interview spricht sie über die Mär vom realistischen Krimi und erklärt, was die neue Filmreihe so stark macht.

Früher studierte Christina Hecke mal Jura. Einen Berufsweg, den die 1979 in Stuttgart geborene Schauspielerin für ihre heutige Passion aufgab. Dennoch könnte man sie sich gut in einem echten Gerichtssaal beim Plädoyer vorstellen. Die 38-Jährige weiß, was sie will – und vertritt selbstbewusst, aber mit Sensibiltät für den Gesprächspartner ihre Meinung. Eine Fähigkeit, die der Actrice aus der zweiten Star-Reihe nun einen Job als Primetime-Ermittlerin samstags im ZDF einbrachte.

Am Samstag, 18. November, 20.15 Uhr, fällt unter dem Titel "In Wahrheit: Mord am Engelsgraben" der Startschuss. Im Interview spricht sie über Methoden, wie man dem Leben in Krimis immer noch interessante Aspekte abgewinnen kann und den oft fehlenden Realismus in Polizisten-Formaten. Dass die "In Wahrheit"-Schauspielerin eventuell mehr leisten muss als andere, hat zudem einen simplen Grund: Eine gute Freundin Christina Heckes ist Kriminalkommissarin.

prisma: "In Wahrheit" ist eine weitere neue Krimireihe im ZDF. Hat man als Hauptdarstellerin nicht Angst, dass es den Leuten mit den Krimis irgendwann zuviel werden könnte?

Christina Hecke: In diesem Fall hoffe ich, dass es nicht so ist. Die Vorzeichen scheinen ganz gut zu sein. Der Film wurde bereits im Juni auf ARTE gezeigt und stieß dort mit 1,5 Millionen Zuschauern auf überragendes Interesse. Wir liegen damit auf Platz sechs der publikumsstärksten Film-Erstausstrahlungen in der Geschichte von ARTE.

prisma: Haben Sie analysiert, was die Ursache dieses Erfolges sein könnte? Ihr Krimi fällt nicht sonderlich aus der Reihe, er ist auch eher leise.

Christina Hecke: Ich habe es aufgegeben, zu analysieren, ob und warum Filme Erfolg haben oder nicht. Wenn ich darüber nachdenke, komme ich mittlerweile ganz simpel zum Konsumenten zurück – von denen ich ja selbst einer bin. Ich frage mich, was ich selbst mag. Wenn mich etwas sinnlich anspricht, dann nehme ich das. Ob es ein Restaurant, Kleidungsstück oder Film ist. Ich glaube, dass sich die Leute durch meine Spielweise angesprochen fühlen. Meine Figur hat eine große Nahbarkeit. Sie ist keine Frau im kühlen Panzer der Kommissarin, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ich persönlich schaue solchen Figuren lieber zu als Kunstfiguren.

prisma: "In Wahrheit" heißt ja auch Ihre Reihe. Ist das Geheimnis des erhofften Erfolges schlicht und einfach Authentizität?

Christina Hecke: Es ist definitiv die Basis und damit die Grundzutat von "In Wahrheit". Der Titel spielt auf eine weitere Zutat an: wahre Geschichten. So gab es die tote Prostituierte im Truckermilieu wirklich. Allerdings wurde der Fall fiktional erweitert. Im Oktober und November drehten wir den zweiten Film. Auch dessen Inhalt basiert auf einer wahren Geschichte.

prisma: Wie findet man Stoffe, die auf wahren Fällen beruhen?

Christina Hecke: Indem man Polizeiberichte als erste Inspirationsquelle benutzt. "In Wahrheit" ist nicht nur Titel dieser angedachten Reihe, sondern auch eine Art Verpflichtung.

prisma: Ihre Kommissarin führt ein eher trauriges Liebesleben. Zu Hause sitzt ihr depressiver Ehemann, der für eine bleierne Atmosphäre sorgt. Man erfährt jedoch nicht, was bei diesem Paar genau los ist ...

Christina Hecke: Genau das finde ich treffend. In wie viele Haushalte Deutschlands oder anderer Länder könnten wir einfach mal kurz mit der Kamera hineinzoomen und würden ähnliche Ehen finden? Beziehungen, die durch etwas Unausgesprochenes gekennzeichnet sind, das die Paare auseinanderdriften lässt. Wo vorwiegend Schweigen herrscht und keine Intimität mehr stattfindet. Wo man sich vielleicht sogar gegenseitig verletzt, verbal oder körperlich. So geht es auch den Figuren Judith und Niklas – obwohl sie sich noch lieben. Wir versuchen, in diesem Bereich ein bisschen genauer hinzugucken und damit mehr als nur einen Durchschnittskrimi abzuliefern.

prisma: Haben die privaten Beobachtungen mit dem Kriminalfall zu tun?

Christina Hecke: Eher indirekt. Ich glaube, es gibt keinen Täter, der nicht zuvor Opfer war. Wer schwere Enttäuschungen und Gewalt erfährt, wird diese Erfahrungen mit einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit an seine Umgebung weitergeben. Unsere Geschichten wecken ein Bewusstsein für diesen Zusammenhang.

prisma: Ihre Figur wirkt privat ziemlich unentschieden. Sie leidet unter der Beziehung zu ihrem Mann, scheint ihn aber nicht aufgeben zu wollen. Gleichzeitig ist sie unsicher, ob sie sich auf die Avancen ihres Kollegen einlassen soll.

Christina Hecke: Die Beziehung nicht aufgeben zu wollen, ist Resultat der Liebe, die immer noch zwischen Judith und Niklas existiert. Zwischen meiner Figur und der ihres Kollegen herrscht hingegen ein teilweise schräger Humor, welcher der Tristesse der Ehe entgegensteht. Es ist wohl nicht Unentschlossenheit, sondern eher Leichtigkeit, die da lockt. Vielleicht ist dieser Aspekt in der finalen Schnittfassung des ersten Films nicht mehr so gut zu sehen. Eine meiner Freundinnen ist Kriminalkommissarin. Ich fragte sie mal, was sie an Fernsehkrimis am meisten stört. Sie sagte, dass der humorvolle Ton, der ihre Arbeit meist begleitet, in Filmen fast nie eingefangen wird.

prisma: Woran liegt das?

Christina Hecke: Meine Freundin ist älter als ich und hat bereits 20 Jahre Kriminal-Dauerdienst hinter sich. Sie hat sozusagen alles gesehen und sagte zu mir: Christina, der Job ist hässlich, die Leute machen schlimme Dinge. Das kann man nur mit Humor ertragen, sonst hält man das Elend nicht aus. Ich finde das sehr menschlich.

prisma: Wenn Ihre Freundin Kriminalkommissarin ist, stehen sie dann als Schauspielerin unter besonderer Beobachtung?

Christina Hecke: Ich empfinde es eher als Vorteil. Wenn ich Polizisten im Alltag treffe und sich ein Gespräch ergibt, frage ich sie häufig nach ihrer Meinung. Ich will wissen, wie sie darüber denken, wenn Dinge auf bestimmte Weise im Krimi dargestellt werden. Gefühlte 98 Prozent der Beamten klagen: Vieles ist unrealistisch!

prisma: Zum Beispiel?

Christina Hecke: Dass sich Polizisten immer mit nach oben gehaltener Waffe dem Einsatzort nähern. Das gibt es so nicht, die Waffe wird – wenn – am Körper geführt. Eine nach oben gerichtete Waffe sieht jedoch im Bild besser aus. Oder dass, wenn jemand festgenommen wird, gerne mal ein ganzes SEK ausrückt. Bevor tatsächlich ein SEK auftaucht, muss in Wahrheit (lacht) verdammt viel passieren. Ich versuche, dieses Wissen in die Arbeit einzubringen und mit den Regisseuren darüber zu reden. Andererseits muss ich natürlich zugeben: Würde man einen extrem realistischen Krimi drehen, säßen die Kommissare die meiste Zeit am Schreibtisch, und die Kamera würde sie beim Aktenlesen und Ausfüllen von Formularen filmen (lacht).

prisma: Ihr Krimi ist im Saarland angesiedelt. Konkurrieren Sie mit dem Saar-"Tatort"? Oder war dieser Landstrich in Sachen ZDF-Ermittler einfach noch frei?

Christina Hecke: Was ist Konkurrenz? Jeder Film ist ein eigenes Stück mit eigenen Qualitäten. Außerdem: jeder Fernsehzuschauer in Deutschland zahlt seine Rundfunkgebühren. Da ist es nur fair, finde ich, dass von dem Geld etwas in die Region zurückfließt. Natürlich wird überproportional in Medienstädten wie Berlin oder Hamburg gedreht. Umso wichtiger ist es, dass medial abgelegenere Orte etwas aus diesen Töpfen abbekommen. Das Saarland war filmisch bislang nicht gerade überflutet, was ungerecht ist. Der Landstrich ist wunderschön und spannend gelegen. Die Saarländer sind von ihrer Geschichte her die vielleicht europäischsten Deutschen. Sie gehörten mal zu Frankreich, mal zu Deutschland. Die Leute dort haben einen sehr offenen Horizont und eine große Herzlichkeit. Ich mag die Saarländer.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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