Professor Boerne landet im neuen "Tatort" aus Müsnter in der Vorhölle, im "Limbus". Kann er von dort seinen Kollegen bei ihren Ermittlungen helfen?
Falls mal einer nach der Vorhölle fragt: Die findet man in einem Industriegebiet in Münster direkt hinter einer beschmierten Brandschutztür. "Limbus" nennt der Theologe diesen Übergangsort am äußersten Höllenkreis, und "Limbus" heißt auch der "Tatort", der Kommissar Thiel (Axel Prahl) und Professor Boerne (Jan Josef Liefers) einen Blick ins Jenseits werfen lässt. Das mit der Vorhölle ist absolut wörtlich zu verstehen in dieser Kriminalfarce, die den Boden des Weltlichen verlässt. Ein doch gewagter Ansatz, dem sich allerdings einige der schönsten surrealen Szenen der "Tatort"-Geschichte verdanken. Nun gut, besonders viele dieser Art hat es auch nicht gegeben in den bald 50 Jahren der ARD-Sonntagsreihe.
Erst in jüngster Zeit hat sich ein Trend zu teils absurder Experimentierlust Bahn gebrochen. Seither versuchen ihn die Programmchefs mühsam wieder einzuhegen. Mit überschaubarem Erfolg, wie nun das Beispiel Münster lehrt. Dabei fängt es ganz bodenständig an.
Professor Boerne teilt beim Abendessen im Gasthaus Kommissar Thiel, Staatsanwältin Klemm (Mechthild Grossmann) und seiner Assistentin Silke Haller (ChrisTine Urspruch) mit, dass er drei Monate unbezahlten Urlaub eingereicht hat. Er will in Holland ein Buch über – na klar – den Tod schreiben. Eine Vertretung für die Leitung der Rechtsmedizin ist bereits gefunden – ein Kollege mit Namen Dr. Jens Jacoby. Boerne entfleucht unter hämischen Kalauern der Runde in die Nacht, wird auf dem Weg zum Auto von einem Mann angerempelt und kommt kurz später bei Tempo 175 von einer Landstraße ab.
Wenig später ist klar: Sein schwer verletzter Körper liegt noch im Wagen, das Bewusstsein des Professors jedoch transzendiert in einer anderen Realität und bald schon im titelgebenden "Limbus", der Vorhölle, in der ihn ein Sachbearbeiter in Gestalt des Kommissars mit Formularen traktiert für den zu erwartenden Fall, dass der komatöse Boerne-Leib auf der Intensivstation alsbald und endgültig das Zeitliche segnet.
Was sich ergibt, ist eine surreale Gespensterklamotte – einerseits. Anderseits aber auch die klassische Definition von Suspense. Immer wieder entkommt Boerne der Vorhölle in die Realität, in der er nicht mehr wahrgenommen wird und folglich auch nicht sein Täterwissen an die im Trüben fischenden Ermittler vermitteln kann. Denn der Mann (Hans Löw), der Boerne in der Schicksalsnacht angerempelt hat, ist frappierenderweise derselbe, der als Dr. Jacoby seine Urlaubsvertretung in der Rechtsmedizin angetreten hat und sich auch noch zur Untermiete in des Professors Wohnung breitmacht. Ein Hochstapler? Ein Mörder? Wie kann man es dem arglosen Thiel und der trauernden Assistentin Haller begreiflich machen? Es ist zum Verrücktwerden – für den Professor gleichermaßen wie für den Zuschauer. Eine Schicksalsallianz der Machtlosigkeit.
Das ist natürlich ein ungewohntes Gefühl für die mehr als zehn Millionen Stammzuseher, die das Quotenrekordpaar Boerne und Thiel seit Jahren hat. Konnte sich der Münster-Fan in die erwartbaren Gag-Kanonaden bislang hineinlegen wie in ein Entspannungsbad, gleicht das Filmerlebnis diesmal eher einer Dusche bei Heizungsausfall – stimulierend, aber eher unbehaglich. Wird er es verzeihen? Oder die Macher (Buch: Magnus Vattrod, Regie: Max Zähle) auf direktem Weg zum Teufel wünschen? Zu bedenken allerdings ist: Ein letztes Wiedersehen mit der im Neujahrs-Impro-"Tatort" gemeuchelten Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) wäre auf dem festen Boden des "Tatort"-Realismus wohl kaum möglich gewesen.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH