"Der Preis des Lebens"

"Tatort" Stuttgart: Das Melodram siegt immer

23.10.2015, 08.25 Uhr
von Detlef Hartlap
Sebastian Bootz (Felix Klare) macht sich große Sorgen um seine Tochter, die als Geisel genommen wurde. Emilia Álvarez (Carolina Vera) versucht ihn zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass er für eigene Ermittlungen in dem Fall zu betroffen ist.
BILDERGALERIE
Sebastian Bootz (Felix Klare) macht sich große Sorgen um seine Tochter, die als Geisel genommen wurde. Emilia Álvarez (Carolina Vera) versucht ihn zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass er für eigene Ermittlungen in dem Fall zu betroffen ist.  Fotoquelle: © SWR/Stephanie Schweigert

Ist das glaubhaft: Wer den Tod der eigenen Tochter rächen will, entführt die Tochter eines anderen? Ein Fall mit Potenzial zum Klassiker wird durch billige Mätzchen verhunzt.

Eigentlich ein tolles Thema für einen Tatort: Maja (Miriam Joy Jung), die Tochter von Kommissar Bootz (Felix Klare), gerät in die Hand eines zu allem entschlossenen Gewalttäterpaars. Der Preis für Majas Verschonung besteht in der Auslieferung eines in staatlichem Gewahrsam befindlichen Mörders.

Es handelt sich also um ein Dilemma, wie es das Theater von Jean Anouilh oder Max Frisch in den 50er Jahren in immer neuen Varianten auftischte: Schicksalsfrage, schwer "klassisch". Welches von zwei Übeln ist das zur Not hinnehmbare? Wie kann ich vermeiden, dass ich so oder so schuldig werde? Schon der Titel der Folge – Der Preis des Lebens – kündet von alles oder nichts.

Dass es sich bei den beiden Gewalttätern um wohlsituierte Bürgersleute handelt, die das Recht auf ihrer Seite wähnen (der Mörder, den sie haben wollen, hatte ihre Tochter Mareike vor 15 Jahren vergewaltigt und ermordet), verschärft die Ausgangslage. Autor Holger Karsten Schmidt hat eine vielfach theaterbewährte, aber grundsätzlich spannende Story-Schablone ausgepackt, die für die Regie (Roland Suso Richter) gleichsam zum Verwandeln auf dem Elfmeterpunkt lag.

Die Sache geht nicht völlig schief, aber doch ziemlich

Um es vorwegzunehmen: Die Sache geht nicht völlig schief, aber doch ziemlich. Was der Zuschauer zu sehen bekommt: Mord, Bedrohung, Angst um ein Kind, Heimlichtuerei unter Kollegen, Zerwürfnis unter Kollegen, Verzweiflung angesichts polizeilicher Hilflosigkeit, ein Ende, das nur vage einem Happy End nahekommt.

Und dann kommt der Abspann und man zuckt mit den Schultern: War's das? Das war's. Gepackt hat es nicht. So viel Schicksalsgewese und man geht zur Talkshow über... oder ins Bett. Wie kann das sein?

Drei Gründe: a) der überstrapazierte Faktor Zufall; b) Richters Schauspielerführung; c) die Fernsehuntauglichkeit der Täter.

Der Zufall muss dem Drehbuch und damit dem Geschehen ständig auf die Sprünge helfen. Das ist ein Grundproblem vieler Tatortfolgen und vielleicht ist es grundsätzlich ein Problem des Drehbuchschreibens in Deutschland. Zufälle dürfen sein, aber doch nicht an den Haaren herbeigezogen. Tatortdrehbücher haben was vom Schummeln beim Kreuzworträtsel: Mit den Einzelfragen nehmen wir es nicht so genau, Hauptsache wir schaffen das Lösungswort!

Im Stuttgarter Tatort wird der Mörder Albrecht (David Bredin) nach 15 Jahren Haft von einer falschen Bewährungshelferin abgeholt. Die richtige hat sich, wie es der Zufall will, verspätet. Bei der falschen Bewährungshelferin handelt es sich um die Mutter von Mareike, die den unnatürlich arglosen Gewalttäter mühelos in ihr Haus entführen kann, wo ihr Mann wartet, um ihn sich vorzuknöpfen.

So geht das weiter. Ein Verdächtiger taucht gleichsam unter Polizeiaufsicht in einem Wohnmobil unter und niemand kann sich erklären, wo er denn verblieben sei. Standard auch in neueren Tatortfolgen, dass Signale eines Handys verfolgt werden, das gezielt einem anderen Fahrzeug beigeschmuggelt wurde.

Bootz soll Komplizen ausliefern

Die Eltern von Mareike sind Täter. Nach neudeutschem Rechtsverständnis, das mancherorts einem Selbstermächtigungsrecht gleichkommt, müsste man Täter in Anführungszeichen setzen. Haben die Mendts, so heißen sie, nicht alles Recht der Welt, die Schandtat an ihrer Tochter zu rächen?

15 Jahre hat Albrecht gekriegt, na und? Die Mendts foltern ihn, um den Namen seines Komplizen zu erpressen. Als er tot ist, der Albrecht, wird er in den Müll entsorgt, ohne dass sie den Namen des Mittäters erfahren hätten. Deshalb muss die kleine Maja entführt werden. Bootz soll ihnen den Komplizen ausliefern.

Es gibt derzeit viele Mendts in Deutschland. Leute, die meinen, sie müssten die Dinge selbst in die Hand nehmen. Leute, die eine Oberbürgermeister-Kandidatin abstechen oder Flüchtlingsheime anzünden. Die Legitimität erfährt viele kuriose bis schmachvolle Interpretationen und steht offenbar meilenweit hinter dem gefühlt Richtigen zurück. Die Mendts hegen nicht den geringsten Zweifel, das Richtige zu tun, wenn sie foltern, entführen, morden. Mit ihnen zu verhandeln kommt einem Vernunftangebot an einen Salafisten gleich.

Ein zu unwahrscheinliches Paar

Doch das Potenzial des Unheimlichen, ja Unfassbaren, das in dieser Ausgangslage steckt, wird von Schmitz und Richter verschenkt. Robert Hunger-Bühler und Michaela Caspar (sie spielen die Mendts) entbehren jeder dämonischen Note. Sie tun, was sie meinen, tun zu müssen. Die Zeit hat in ihrem Fall nicht ansatzweise die Wunden geheilt. Ein zu unwahrscheinliches Paar, um die Tragik, die in ihrem Handeln steckt, spürbar zu machen.  

Bei der Stuttgarter Kripo herrscht unterdessen großes Wehklagen. Im Wortsinne. Die Regie liebt es larmoyant. Bootz hat den Entführungsfall zu vertuschen versucht und damit geliebäugelt, seine Tochter auf eigene Faust zu retten. Kollege Lannert (Richy Müller) ist darob schwer erbost, klar, was auch sonst. Staatsanwältin Alvarez dagegen möchte ihren Bootz vor lauter Trostverlangen knuddeln und herzen, muss ihm aber doch den Dienstausweis abnehmen.

Was oben klassisches Theater war, wird unten zum Melodram. Mit dem Wiederauftauchen von Mutter Bootz (Maja Schöne), die für einige Folgen dem Leben als Polizistenfrau entsagt hatte, wird das Geschehen noch rührseliger.

Am Ende der Folge hat der Zuschauer das ereignisvoll wirre Ende des Falles fast schon vergessen. Nur eine Frage wird ihm in Erinnerung bleiben: Kehrt jetzt Frau Bootz zu Herrn Bootz zurück? Und was wird dann aus der schönen Staatsanwältin?

Verwandelt wurde der Elfmeter jedenfalls nicht.

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