Krimi im Ersten

Tatort Dortmund: Die Liebe zwischen Arbeit und Arbeit

16.10.2015, 14.45 Uhr
von Detlef Hartlap
Kommissarin in Not - Martina Bönisch (Anja Schudt) verliert die Kontrolle.
BILDERGALERIE
Kommissarin in Not - Martina Bönisch (Anja Schudt) verliert die Kontrolle.  Fotoquelle: WDR/Markus Tedeskino

Eine Frau zwischen Job und Familie. Martina Bönisch, die Dortmunder Tatort-Kommissarin, ist die umstrittenste weibliche Figur in den weitläufigen Kriminalgefilden des deutschen Fernsehens.

Das liegt nicht an ihrer Darstellerin Anna Schudt. Sie macht ihre Sache gut, wirkt nach außen hin bodenständiger als sie ist. Mitten im Leben, scheinbar gefestigt. In einer der vielen altvorderen Krimiserien, wie sie bei ARD, ZDF, RTL und SAT.1 besonders am Vorabend laufen, würde Anna Schudt als Mutter der Kompanie besetzt.

Zwischen Job und Familie

Wir sind aber in Dortmund. An einem der zwei aktuell besten Tatortschauplätze (der andere ist Berlin). Und wir können mit ansehen, wie Martina Bönisch die Felle davonschwimmen. Es ist nicht so, dass sie sich zwischen Job und Familie aufreiben würde. Das hat sie vielleicht früher mal getan. Inzwischen ist der Fall entschieden. Der Job ist Beruf, der Beruf fordert sie ganz.

Die Familie bleibt als Rest. Ein nörgeliger Ehemann, offenbar arbeitslos, am Telefon. Zwei Söhne, von denen sie annimmt, dass sie doch zu ihr halten. Zu ihr der ständig arbeitenden Mutter. Es gibt eine Szene in diesem Dortmunder Tatort, der den Titel "Kollaps" trägt, da möchte Martina Bönisch einen ihrer Söhne am Schulhoftor abpassen. Mit ihm reden. Ihn zur Rede stellen. Aber dann kommt ein Anruf von Faber, dem Kollegen, sie muss zu einem neuen Tatort. Muss sie? Ist der Sohn nicht wichtiger? Nach einem Hauch von Zögern strafft sie die Schultern und entscheidet sich für den Job. Das Sorgerecht für die beiden Söhne, lässt ihr Anwalt sie wissen, fällt dem Vater zu. Ende einer Familie.

Dass Martina Bönisch beim Fernsehvolk umstritten, in Teilen auch verhasst ist, sagt nichts über sie, aber viel über das Fernsehvolk aus. Und über all die anderen TV-Kommissarinnen, die dem Fernsehvolk nach dem Mund geschrieben werden, als ob wir uns immer noch im Jahr 1987 und im Lande Kohl befänden. Diese verdruckste Schein-Emanzipation. Das Leben nach Dienstschluss bleibt ausgespart. Oder endet im Rotweinnichts, wie lange Zeit bei Lena Odenthal und ihrem Kopper.

Martina Bönisch möchte zwischen Arbeit und Arbeit geliebt werden, wenigstens das und um es nicht krasser zu sagen. Nachdem sie mit einem bezahlten Callboy eine Pleite erlebt hat, setzt sie sich jetzt an Hotelbars und peilt ihre Chancen. Irgendwas muss der Mensch haben. Die Familie hat bei ihr ausgeschissen.

Das ist ein Zustand, den viele Frauen vor den Bildschirmen ähnlich empfinden, aber nicht auszuleben wagen. Schon gar nicht würden sie sich in Hotelbars feilbieten.

Einer durchschaut sie. Faber (Jörg Hartmann) wäre nicht der Menschenleser, der er ist, wenn er die kleinen Fluchten seiner Kollegin nicht bemerken würde. Seine Nachstellungen bleiben einstweilen noch in der Schwebe: Ist es Sorge um sie? Ist es der Mann in ihm? "Wollen wir zusammenziehen?", fragt er sie. "Da könnte ich mich ja gleich erschießen", antwortet sie.

Nach Maßstäben der verquasten alten Ruhrgebiets-Herzlichkeit, die in den Dialogen von Jürgen Werner zuweilen aufblitzt, ist das nicht einmal eine Zurückweisung.

Alles fällt zusammen

In "Kollaps" kollabiert nicht nur Bönischs Welt. Auch Daniel und Nora, das Buffo-Pärchen (Stefan Konarske, Aylin Tezel). Sie hat einen anderen, er stellt er schiefen Blickes nach. Natürlich passt der schnieke Typ mit dem dicken Auto nicht zu ihr, aber vielleicht tut er Nora gut nach den Schwangerschafts- und Abtreibungsturbulenzen, bei denen Daniel ihr keinen Halt zu geben vermochte. "Wer kommt als nächstes", raunzt er sie an, "Dieter Bohlen?"

Es kollabiert die Welt einer jungen Mutter (Alexandra Finder), die ihre kleine Tochter im Sandkasten spielen lässt und dabei unentwegt in ihr Handy quasselt. Im Grunde ein Fall von versäumter Aufsichtspflicht, denn sie achtet nur einmal auf das Kind, nämlich in dem Moment, als ihm ein schwarzer Junge im Sandkasten zu nahe rückt.

Die Frau (Victoire Laly) kommt aus dem Senegal und hat sich, um am kalten Zufluchtsort Dortmund überleben zu können auf Drogengeschäfte eingelassen. Den Stoff hat sie im Sandkasten versteckt. Nachdem sie von dort weggescheucht wird wie ein herrenloser Hund, kommt es, wie es kommen muss: Das Kind steckt die Drogen in den Mund, die Mutter telefoniert, das Kind stirbt.

Die Welt von Niara und Jamal Gomis (Warsama Guled), dem Geschwisterpaar aus dem Senegal, ist lange schon kollabiert. Sie haben eine Odyssee von Flucht hinter sich und keine Rettung in Sicht. Deutsch zu lernen wäre eine Möglichkeit, sie versuchen es, geraten aber gleichwohl in ein Betonlabyrinth aus deutscher Ablehnung und Drogendealers Brutalität. Es gibt kein Entkommen.        

Der beste Satz der Folge kommt, wie auch anders, von Kommissar Faber. Zum Chef des Drogenkartells sagt er: "Ich verspreche, ab jetzt ein guter Türke zu sein."

Gehen wir davon aus, dass Faber ihn an den Hammelbeinen kriegt. Im nächsten Dortmund-Tatort.

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