In einer neuen ZDF-Reihe heißt es "Film ab gegen Rechtsextremismus": Den Anfang macht "Wir sind jung. Wir sind stark.", der die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen 1992 behandelt.
Die Jahresrückblicke 2020 waren geprägt von der Corona-Pandemie. Selbst dem größten rechtsextremistischen Anschlag seit der Wiedervereinigung wurde in der Rekapitulation der Ereignisse vergleichsweise wenig Platz eingeräumt: Am 19. Februar vergangenen Jahres erschoss ein Rechtsextremist aus rassistischen Motiven neun Menschen in Hanau. Rechte Gewalt ist in Deutschland ein wiederkehrendes Übel. Die Reihe "Film ab gegen Rechtsextremismus", die das ZDF im Rahmen des "Kleinen Fernsehspiels" zeigt, ist auf traurige Weise stets aktuell. Der hervorragende Startfilm "Wir sind jung. Wir sind stark." entstand 2013, vor Hanau und dem Mord an Walter Lübcke, aber nur zwei Jahre nach der Verhaftung von NSU-Mitglied Beate Zschäpe.
Der wiederholt gezeigte Film gibt den Hass und die Ängste wieder, die im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen grassierten. Damals, wenige Jahre nach der Wende, kam es zu beschämenden Übergriffen der Einheimischen auf ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter sowie die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber. Regisseur Burhan Qurbani zeigt in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bildern beide Seiten: junge Arbeitslose, die dem Nichtstun und der daraus resultierenden Gewalt verfallen sind, und – auf der anderen Seite – eine junge Vietnamesin, die sich mit Erfolg in die Gesellschaft integriert.
Polizei überließ Bewohner dem Mob
Mehrere 100 meist rechtsextreme Randalierer waren 1992 an den Ausschreitungen beteiligt, bis zu 3.000 teils applaudierende Zuschauer behinderten den Einsatz von Feuerwehr und Polizei, als es in den oberen Stockwerken brannte. Molotowcocktails hatten das Wohnheim, in dem sich über 100 Vietnamesen, aber auch ein mutiges Fernsehteam des ZDF aufhielten, in Brand gesteckt. Der wohl größte Skandal: Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen zog sich die Polizei zurück und überließ die Eingeschlossenen dem Mob.
Diese Szenen sieht man im zweiten Teil des lange Zeit schwarz-weißen Films, der sich hier explosionsartig und in plötzlicher Farbgebung in einem erstaunlich realistischen Show-down zur beeindruckenden Dokufiction steigert. Zuvor widmet sich "Wir sind jung. Wir sind stark." sehr lange und mit sehenswerter Sorgfalt einer Gruppe Jugendlicher (hervorragend: Jonas Nay und Joel Basman), die versucht, mit Muskelspielen und neonazistischem Gehabe ihre Langeweile und ihre Unmündigkeit zu vertreiben.
Ihnen gegenüber steht die Geschichte der Vietnamesin Lien (Trang Le Hong): Sie lebt mit Bruder und Schwägerin im Asylbewerberheim, hat sich ins Berufsleben integriert und will in Deutschland bleiben. Ihr Bruder dagegen will angesichts der drohenden Gefahr zurück nach Vietnam. Als Parallelhandlung laufen die Schicksale der Migranten und der Einheimischen aufeinander zu – bis zum finalen Pogrom.
Regisseur Burhan Qurbani zeigt die allmählich anwachsende Gewalt, die Führerstrukturen, die sich innerhalb der jugendlichen Gruppe entwickeln, weil man einfach irgendwo dazugehören will. Aber auch den Hoffnungsschimmer der Liebe am Horizont. Als Sohn afghanischer Einwanderer entwickelte der Filmemacher offensichtlich eine besondere Sensibilität für die Situation der Asylbewerber. Sein Film, dessen Drehbuch er gemeinsam mit Martin Behnke schrieb, ist jedenfalls viel mehr als eine Reproduktion der schrecklichen Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen. Er zeigt meisterlich, wie leicht Gewalt aus Frustration heraus entstehen kann.
Auf den Startfilm der Reihe "Film ab gegen Rechtsextremismus" folgen mit der satirischen Liebeskomödie "Leroy" (15. Februrar, 00.40 Uhr, ZDF), der Dokumentation "Die Arier" und dem Neonazi-Drama "Die Kriegerin" mit Alina Levshin und Jella Haase folgen drei völlig unterschiedliche "kleine Fernsehspiele" zum Thema an den kommenden Montagen. Wie für "Das kleine Fernsehspiel" üblich, leider nach 0.00 Uhr im Programm versteckt.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH