Christoph Sieber

"Es bräuchte gerade jetzt viel mehr Satire und Kabarett im Programm"

von Frank Rauscher

Der neue Gastgeber der "Mitternachtsspitzen" im WDR findet, es braucht viel mehr Humor im TV. Satiriker Christoph Sieber über ein schweres Erbe und den Widerspruch von Kabarett.

Nach fünf Jahren und 41 Sendung war Schluss: Das ZDF hat 2020 für viele überraschend die Kabarettsendung "Mann, Sieber!" eingestellt. Satiriker Christoph Sieber (51), der mit seinem Kollegen Tobias Mann auf dem schwierigen Sendeplatz am späten Dienstagabend eine treue Fangemeinde bespielte, sagt, dass er gerne weitergemacht hätte. Sowieso: "Wir brauchen mehr Humor", findet er: mehr Satire und Kabarett im TV. Dennoch hat er Verständnis für die ZDF-Entscheidung, die in erster Linie in den unterm Strich mauen Quoten begründet sein dürfte. Zeit zum Schmollen hatte der an der Folkwang-Hochschule in Essen zum Pantomimen ausgebildete TV-Mann ohnehin nicht. Schließlich musste sich der aus Bahlingen stammende Wahlkölner auf seine neue Herausforderung vorbereiten: Als neuer Gastgeber der aus dem "Wartesaal am Dom" gesendeten WDR-Traditionssendung "Mitternachtsspitzen" tritt er das Erbe einer echten Fernsehlegende an – Jürgen Becker (61) führte 28 Jahre durch das Format, das heute als die am längsten existierende Kabarettsendung im deutschsprachigen Fernsehen gilt. Am Samstag, 6. Februar, 21.45 Uhr, ist Siebers Premiere im WDR-Fernsehen.

prisma: Sie wurden im Januar 2020 50 Jahre alt. War das Ihre letzte große Party, oder kam danach noch was?

Christoph Sieber: Party? Schön wär's gewesen. Weil ich lieber bei schönem Wetter feiern wollte, gab es im Januar keinerlei Festivitäten. Ich hatte stattdessen zum großen Sommerfest 2020 eingeladen. Und dann kam Corona ... War also nichts mit Feierei.

prisma: Selbst Silvester haben Sie nicht angestoßen, ließen Sie via Facebook wissen ...

Sieber: Ja, da habe ich mir ein Alkoholverbot auferlegt. Das wollte ich diesem Jahr 2020 nicht gönnen, dass es womöglich auch noch feucht und fröhlich endet (lacht).

prisma: Glauben Sie daran, Ihre Geburtstagsparty im Sommer 2021 nachholen zu können?

Sieber: Nein. Mehrere Leute zusammenzukarren, um ein Geburtstagsfest durchzuziehen, das wird auch 2021 nicht drin sein. Aber ich hoffe jetzt mal auf 2022. Das Gute ist: Solange ich den Jahrestag nicht gefeiert habe, fühle ich mich auch noch nicht wie 50. Ich bin fit wie ein 49-Jähriger!

prisma: Finden Sie, die Jahre um die 50 sind grundsätzlich eine gute Zeit?

Sieber: Ja, durchaus. Auf jeden Fall ist es die perfekte Zeit, um noch einmal etwas Neues anzufangen. Danach wird's vielleicht aus diversen Gründen eng ... – Es kommt mir gerade recht, dass ich jetzt die Nachfolge von Jürgen Becker bei den "Mitternachtsspitzen" übernehme. Ich bin bester Dinge!

prisma: Da dürften Sie aber einer der wenigen im Land sein ...

Sieber: Ach, ich lasse mich nie von irgendwelchen allgemeinen Stimmungen mitreißen. Ich bin durch und durch Optimist – auch wenn es auf der Bühne manchmal etwas anders rüberkommt. 2020 hat mich nicht kleingekriegt, 2021 wird das auch nicht schaffen.

prisma: Dabei gab es durchaus Rückschläge: Wie schwer hat es Sie getroffen, dass Ihre ZDF-Sendung "Mann, Sieber!" eingestellt wurde?

Sieber: Ja, das war nicht schön, aber es ging. Ich muss dazu sagen, dass sich das ZDF absolut fair verhalten hat. – Tobias Mann und ich erfuhren bereits zu Jahresbeginn 2020 in persönlichen Gesprächen, dass unsere Sendung Ende des Jahres auslaufen wird. Warum, das müssen Sie allerdings beim ZDF erfragen ...

prisma: Sie hätten lieber weitergemacht?

Sieber: Ja, wahnsinnig gerne. Aber ich kann die Entscheidung verstehen. So ein monatlich ausgestrahltes Format ist relativ teuer zu produzieren, die Quoten waren nicht phänomenal, und der Sendeplatz am späten Dienstagabend, direkt nach den oft sehr schweren "37°"-Reportagen, ist alles anderes als leicht. Es war schwierig für uns, und irgendwann kommt beim Fernsehen dann das Aus ...

prisma: Dabei möchte man meinen, dem Fernsehprogramm fehlt es gerade jetzt an Humorformaten! Es wird gefühlt kaum noch gelacht, weder im TV noch im Netz.

Sieber: Absolut, genau meine Meinung: Wir brauchen mehr Humor! Dass der Bedarf grundsätzlich da ist, sieht man auch an den gigantischen Quoten der "heute show". Es bräuchte gerade jetzt viel mehr Satire und Kabarett im Programm. Die Menschen sehnen sich in Zeiten dieser Pandemie nach der augenzwinkernden Einordnung politischer Geschehnisse. prisma: Wobei das mit dem öffentlich zur Schau gestellten Humor eine diffizile Angelegenheit geworden ist: Während die einen noch über einen Gag lachen, hassen die anderen schon den, der ihn vom Stapel gelassen hat.

prisma: Wobei das mit dem öffentlich zur Schau gestellten Humor eine diffizile Angelegenheit geworden ist: Während die einen noch über einen Gag lachen, hassen die anderen schon den, der ihn vom Stapel gelassen hat.

Sieber: Stimmt schon, da zieht sich ein Riss durch die Zielgruppe. Es gibt keinen Humorkonsens. Es gibt überhaupt keinen Konsens mehr auf gesellschaftlicher Ebene. Auf der anderen Seite ist der Konsens nicht gerade das, was ich als Satiriker suche.

prisma: Sondern?

Sieber: Mein Ziel ist das Gegenteil: in das Wespennest hineinzustechen und zu schauen, was passiert. Also: Natürlich will ich eine Reaktion haben, so verstehe ich meinen Job. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Reaktionen im Netz immer extremer und verletzender werden. Und da hört der Spaß natürlich auf.

prisma: Halten Sie die Entwicklung für gefährlich?

Sieber: Ja. Diese Wut, diese Spaltung, ist ein Problem. Sie ist einem merkwürdigen Zeitgeist geschuldet, der nicht nur das Kabarett betrifft, sondern alle Bereiche unseres Lebens. Eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Wir sehen ja in den USA, wohin die Macht der Sozialen Medien führt. Es ist ein Wahnsinn, dass der US-Präsident via Twitter die Stimmung derart anfeuern konnte, dass es letztendlich zum Sturm auf das Kapitol kam. Wenn Sie jetzt fragen, wie wir diese Entwicklung umkehren können, muss ich sagen, dass ich das auch nicht weiß. Wir haben es ja nicht wirklich mit "Sozialen" Medien zu tun, sondern mit Rendite-orientierten, kapitalistischen, weltumspannenden Großkonzernen. Es ist eine der großen Aufgaben der Legislative unserer Zeit, deren Macht zu beschränken. Das Netz darf nicht als rechtsfreier Raum wahrgenommen werden, der Rahmen des Grundgesetzes muss eingefordert werden – auch von Firmen, die ihren Sitz in den USA haben.

prisma: Sie reden über Firmen, aber geht es nicht auch um den Menschen an sich, der scheinbar gerade dabei ist, seine Empathie vollends zu verlieren ...

Sieber: Ja, es scheint fast so. Aber eigentlich ist auch das der Macht der Konzerne, ihrer Algorithmen und der daraus resultierenden Wahrnehmung geschuldet: Im Netz ist das Krasse, das Beleidigende, das Grenzverletzende erfolgreich, das Nettsein wird nicht belohnt. Ein Riesenproblem, weil man bereits sieht, wie sich diese Entwicklung aus den Sozialen Medien heraus im realen Leben fortsetzt. Etwa beim Einkaufen im Supermarkt: Wirklich nett ist niemand, aber gemotzt wird schnell. Die Empathielosigkeit und die verletzende Sprache aus dem Netz dürfen sich nicht weiter ausbreiten. Wir müssen eine klare Grenze ziehen – die Legislative ist gefragt.

prisma: Sie sind selbst sehr umtriebig in den Sozialen Medien ...

Sieber: Durchaus, aber ich halte mich dort nie allzu lange auf. Ich sage immer: Wenn ich schlechte Laune haben will, schau' ich mal fünf Minuten bei Facebook rein – und ich bin garantiert gefrustet. Dabei sehe ich dort nur meine Blase; ich möchte gar nicht wissen, wie schlimm es andernorts auf Facebook zu geht. Ich besitze noch nicht einmal ein internetfähiges Handy ...

prisma: Im Ernst?

Sieber: Ja, weil ich mich schützen will vor dem Suchtpotenzial, das Social Media zweifellos hat. Als echter Nachrichtenjunkie bin ich schwer gefährdet. Auf der anderen Seite hat Facebook für mich als Künstler mit Botschaft auch viel Gutes, nämlich eine enorme Reichweite. Ich erreiche User, an die ich auf der Bühne oder auch im Fernsehen schon lange nicht mehr herankomme, Leute, die in ihrer Blase leben und fürs lineare Fernsehen bereits verloren sind.

prisma: Und das hilft wirklich weiter?

Sieber: Ich bin da hin- und hergerissen. Ganz ehrlich: Manchmal nervt das Facebookgedöns nur noch. Aber ich bin grundsätzlich schon davon überzeugt, dass man den Kontakt suchen, immer wieder gegen Lügen und Hass angehen und an den guten Ton erinnern muss. Was passiert, wenn zu viele ausscheren und wenn wir diese Leute aufgeben, sehen wir in den USA. Es hilft daher auch nichts, mit dem Finger auf Menschen zu zeigen, die bei Pegida oder Querdenken mitmarschieren. Wir müssen versuchen, zu verhindern, dass sie für die Gesellschaft verlorengehen. Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn die breite Mehrheit vernünftig, empathisch und solidarisch ist – es geht uns also alle an.

prisma: Wenn wir über Spaltung reden: Ist auch fehlender Humor ein Problem?

Sieber: Ganz bestimmt. Meine Erfahrung ist: Je extremer es wird, umso weniger Humor findet man vor – egal, um welche Art Extremismus es geht. Für mich ist das immer ein Gradmesser: Spätestens dann, wenn ich merke, dass einer keinen Spaß zu verstehen scheint, schrillen alle Alarmglocken.

prisma: Was braucht es Ihrer Meinung nach für Humor?

Sieber: Gelassenheit und Selbstreflektion. Wer in der Lage ist, auch mal aus sich herauszutreten und über sein eigenes Sein, Handeln, Aussehen zu schmunzeln, hat für mich einen guten Humor. Weniger humorvoll finde ich hingegen jene, die immer nur auf sich selbst und ihre eigene Emotionalität schauen, genauso schlimm wie die, die nur über andere lachen können. Mein Humorverständnis ist geprägt von der Erkenntnis, dass wir alles nur kleine, arme Würstchen sind: Wir sind weder der Nabel der Welt, noch werden wir in der Lage sein, sie zu verändern. Also sollten wir uns auch nicht zu wichtig nehmen und uns auch mal ein bisschen zurückzunehmen, wenn es – wie gerade bei Corona – ums große Ganze geht. Solidarische Menschen sind in der Regel auch humorvolle Menschen. Egomanen eher nicht so.

prisma: Andererseits muss man dieser Tage kein Egomane sein, wenn man den Humor verliert. Dem Künstler, dem alle Auftritte wegbrechen, dem Gastronomen, der seinen Laden monatelang schließen muss, dürfte das Lachen beispielsweise längst vergangen sein.

Sieber: Das ist wahr. Es ist Aufgabe der Regierung, den Ausgleich herzustellen und Härten aufzufangen. Es darf keine Ungerechtigkeiten größeren Ausmaßes geben, soziale Abstürze müssen verhindert werden. Es geht eben ums Geld: Worte und Bekundungen helfen wenig, es muss konkrete Hilfe bei den Leuten ankommen. Es gibt Ungereimtheiten und Ungleichbehandlungen, bei denen ich auch nicht mehr mitkomme. Warum sind beispielsweise die Kitas geschlossen, während es nach wie vor möglich ist, in Großraumbüros zu arbeiten? Grundsätzlich ist schon erkennbar, dass den Schwachen vieles aufgelastet wird, während man der Wirtschaft und dem Kapital eher wenig zumutet. Das muss man auch kritisieren können.

prisma: Gut, dass es Kabarettsendungen gibt, die den Finger in die Wunde legen. Wie wollen Sie Ihr "Mitternachtsspitzen"-Engagement angehen?

Sieber: Mein vornehmstes Ziel ist, dieses schöne TV-Flaggschiff als Kapitän auf einem guten Kurs zu halten. Natürlich will ich meine eigene Farbe einbringen: Ich stehe für kritisches Kabarett und trockene Satire. Ich wünsche mir Relevanz, will eine Sendung machen, die dafür bekannt ist, dass dort Leute sind, die etwas zu sagen haben. Aber natürlich will ich mit den Gästen das Publikum unterhalten – wir machen keine politische Talkshow, sondern Kabarett: Das ist Entertainment, inklusive einer Menge Humbug – nur falls da jemand Zweifel haben sollte. Ich bin schon ein bisschen stolz oder sagen wir: ehrfürchtig, dass ich nun so ein Stück TV-Geschichte mitverantworten darf.

prisma: Sie behaupteten unlängst von sich, Sie seien "Kabarettist, Zyniker, Satiriker, Misanthrop – alles in einem". Ganz schön viel auf einmal!

Sieber: Aber es stimmt. Es gibt schon ein paar Facetten!

prisma: Und mindestens einen Widerspruch: Der Misanthrop passt nicht zum Menschenfreund, der sie ja offensichtlich auch sind. Sie engagieren sich beispielsweise für die Seenotrettung und für die Flüchtlingshilfe oder für die Belange von herzkranken Kindern ...

Sieber: Ja, da mag ein gewisser Kontrast sein. Aber auch das Kabarett an sich ist ein einziger Widerspruch: Wir sind böse, wollen aber das Gute. Wir wollen die Welt verändern, obwohl wir keine Politiker sind. Wir machen Spaß, meinen es aber ernst. Wir kämpfen wie Don Quichotte permanent gegen Windmühlen, ohne jede Aussicht auf nachhaltigen Erfolg. Mir gefällt das Thema sehr, denn: Wir müssen wieder lernen, Widersprüche auszuhalten. In Zeiten von Social Media scheint es ja nur noch entweder oder zu geben, schwarz oder weiß, richtig oder falsch ... Eine fatale Entwicklung. Das Leben ist erst spannend, wenn man lernt, mit Widersprüchen umzugehen. Die Wahrheit ist nie einseitig, es gibt immer verschiedene Perspektiven. Diese eigentlich banale Erkenntnis wird in der modernen Diskussionskultur ausgeklammert. Leider.

prisma: Immerhin reden Sie noch von "Diskussionskultur" ...

Sieber: Stimmt. Mein Fehler. Was wir heute erleben, ist keine Diskussionskultur, sondern ein permanentes sich gegenseitig Vorwürfe-machen.

prisma: Besonders pauschal kriegt es das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm ab. Warum eigentlich?

Sieber: Ich kann es nicht soziologisch fundiert begründen, aber ich denke, dass sich dabei weniger die Kritik an Inhalt und Qualität äußert, als vielmehr die persönliche Unzufriedenheit eines Teils der Menschen in diesem Land. Wir haben einfach sehr viele Menschen, die sich nicht gehört, nicht gesehen und nicht mehr politisch vertreten fühlen. Und bei der Suche nach einem Blitzableiter für ihre angestauten Frustgefühle, sind sie schließlich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gelandet. Dass die Sender Fehler machen, steht außer Frage, Kritik ist also richtig und wichtig. Aber der blanke Hass, der sich in den Sozialen Medien breitmacht hat, ist völlig irrational.

prisma: Wird irgendwann alles wieder gut?

Sieber: Auf jeden Fall. Wenn man den Menschen nur endlich wieder eine Perspektive geben könnte, wäre auch wieder mehr Frieden im Land. Also, alles, was wir brauchen, ist eine Perspektive. Meine ist die große Party im Sommer 2022!


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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