Italienisches Antisemitismus-Drama

Geraubt im Namen des Papstes – Filmkritik zu „Die Bologna-Entführung“

23.11.2023, 10.33 Uhr
von Gregor-José Moser
Im Auftrag von Papst Pius IX. wird der junge Edgardo Mortara im Alter von 7 Jahren aus seiner Familie entführt.
Im Auftrag von Papst Pius IX. wird der junge Edgardo Mortara im Alter von 7 Jahren aus seiner Familie entführt.  Fotoquelle: Pandora Film/Anna Camerlingo

Seit dem 16. November 2023 ist in den deutschen Kinos ein Historiendrama aus Italien zu sehen. Allein schon wegen seines tragischen Hintergrunds ist „Die Bologna-Entführung“ nicht nur für Geschichtsinteressierte ein Must-See.

Es ist der wohl größte Albtraum aller Eltern, ein oder mehrere Kinder zu verlieren. Im Bologna des Jahres 1858 wird das für das jüdische Paar Girolamo und Marianna zur grausamen Realität. Eines Tages stehen Männer vor ihrer Haustür, die ihren jüngsten Sohn Edgardo mitnehmen wollen. All ihre Gegenwehr bleibt ohne Wirkung – Vater und Mutter wird der Sohn gewaltsam entrissen. Hinter der Entführung steckt niemand Geringeres als der Vatikan. Die Männer des zuständigen Kardinals lassen den gerade einmal sechs Jahre alten Edgardo nach Rom verschleppen, wo er im christlichen Glauben erzogen und ausgebildet werden soll. Damit beraubt die Kirche dem Jungen nicht nur seiner Eltern, sondern auch einem wichtigen Teil seiner Identität. Vater und Mutter setzen alles daran, Edgardo zu sich nach Hause zu holen. Doch die Zeit drängt, denn Edgardo ist eben noch ein Kleinkind – und droht seinen Eltern für immer zu entgleiten.

Ein tragischer Fall aus der jüngeren Geschichte

Der reale Entführungsfall von Edgardo Mortara – den die Eltern mithilfe von Presse und jüdischer Gemeinschaft öffentlich machten – hat Mitte des 19. Jahrhunderts einen Sturm der Empörung ausgelöst. Nicht nur in Italien, sondern auch im Rest Europas und sogar in den USA. Wegen einer angeblichen geheimen Taufe Edgardos, sah sich die katholische Kirche im Recht. Edgardos Entführung stellte zwar keinen Einzelfall dar, er war aber der erste seiner Art, der so viel Öffentlichkeit erregte. Diese dramatische Wendung in Edgardo Mortaras Leben ist wie gemacht für ein mitreißendes Historiendrama. Mit dieser vielversprechenden Grundlage wussten die Macher von „Die Bologna-Entführung“ glücklicherweise umzugehen.

Überzeugendes Schauspiel

Das stellen vor allem die schauspielerischen Leistungen unter Beweis, die vollends überzeugen können. Besonders bemerkenswert ist die Darbietung von Enea Sala, dessen Verkörperung des jungen Edgardo zugleich sein Spielfilmdebüt ist. Mal zutiefst verängstigt, mal neugierig fällt es leicht sich als Zuschauer für das Schicksal des Sechsjährigen zu erwärmen. Gleich mehrere Szenen bescheren einem mindestens einen dicken Kloß im Hals. Sogar noch überzeugender spielt Fausto Russo Alesi in der Rolle als verzweifelter Vater Girolamo, auch Momolo genannt. In seinem Bestreben danach, seinen Sohn nach Hause zu holen, legt er sich mit dem Vatikan an. Dafür stellt er auch selbst Nachforschungen an. Vor allem in seiner Mimik spiegelt sich die immer größer werdende Verzweiflung wider, wodurch ihm das tiefe Mitgefühl der Zuschauenden sicher ist.

Kritik, aber kein Schwarzweißdenken

„Die Bologna-Entführung“ prangert dieses historische Verbrechen der katholischen Kirche unverblümt an. Zugleich sieht das Drehbuch aber auch davon ab, ein simples Schwarz-Weiß-Modell zu zeichnen. So scheinen der Papst sowie die übrigen Vertreter der katholischen Kirche davon überzeugt zu sein, nur das Beste für den jungen Edgardo im Sinn zu haben – schlicht aus ihrem katholischen Glauben heraus. Passend dazu behandeln sie ihn mit Güte und Zuneigung und nicht nur mit Strenge. Beschönigt werden die Verbrechen jedoch genauso wenig wie der offensichtliche Antisemitismus, der der Entführung zugrunde liegt.

Ein Film, der aufrüttelt

Mit „Die Bologna-Entführung“ beschert uns Regisseur Marco Bellocchio ein emotional packendes Historiendrama mit überzeugenden Darstellerleistungen sowie stimmigen Sets und Kostümen. Außerdem nimmt er sich in den 135 Minuten Laufzeit eines enorm wichtigen Themas an, das allein es schon wert wäre, sich "Die Bologna-Entführung" anzusehen. Vor allem in Zeiten des weltweit wieder verstärkt aufflammenden Antisemitismus rüttelt „Die Bologna-Entführung“ auf. Es ist einer jener Filme, bei denen man mit dem ersten Wort des Abspanns sofort das Smartphone zückt, um die Hintergründe nachzulesen. Wer „die Bologna-Entführung“ gesehen hat, den wird die Geschichte von Edgardo Mortara nicht so schnell loslassen.

Das Historiendrama „Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes“ läuft seit dem 16. November in den deutschen Kinos.

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