Don't believe the hype

Diese Serien sollte man wirklich gesehen haben

von Frank Rauscher

Um viele Serien gibt es einen großen Hype, doch nicht immer ist der berechtigt. Wir haben fünf Serien-Tipps für Sie, die Sie vielleicht noch nicht auf dem Schirm hatten.

2021 ist nun auch schon wieder bald vier Monate alt – und ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Alles schon lange nicht mehr lustig. Immerhin gibt es Netflix und Co. Die Streamingdienste bieten ihren Lockdown-geplagten Usern weiterhin unermüdlich Gelegenheit zur Realitätsflucht. Wobei es sich längst herumgesprochen hat, dass auch dort nicht jeder Hype hält, was das PR-Tamtam verspricht und nicht direkt erlesene Qualität zu attestieren ist, wenn sich auffällig viele Leute nackig machen oder hippe Jungstars in hippen Frisuren in fragwürdigen historischen oder dystopischen Szenerien auftauchen. Gemessen am veranstalteten Medienwirbel, gab es gefühlt schon mindestens 20 "Hammer-Serien" in diesem noch recht jungen Jahr – doch oftmals musste man zerknirscht konstatieren: viel Wirbel um nichts.

Die Geschichte des bisherigen Streamingjahres, sie ist für die Kundschaft eben auch eine Geschichte von "trial and error": Man versucht es immer wieder, aber nach ein, zwei Folgen hat man die Lust verloren, steigt wieder aus und fragt sich: Was nun?!

Also: Was war im ersten Quartal wirklich sehenswert? Was müssen Sie unbedingt noch nachholen, falls sie es verpasst haben? Wir stellen fünf Serien vor, die nicht jeder auf dem Zettel hat: Nicht die üblichen Verdächtigen, sondern Produktionen, die weniger brachial beworben wurden, die aber zumindest unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen haben.

Beforeigners – Mörderische Zeiten (ARD Mediathek)

Hierzu ließe sich flott etwas Knalliges wie "Vikings' meets 'Lilyhammer" zurechtformulieren – schließlich stecken die "Lilyhammer"-Macher tatsächlich hinter dem Projekt. Aber weil so ein Teaser per se alle verschrecken würde, die mit epischen Fantasy-Serien oder düsteren Mafia-Stoffen nichts anfangen können, sollte man sich dieser gar nicht mal so leicht einzuordnenden norwegischen HBO-Produktion subtiler nähern. "Beforeigners" ist, was heutzutage trotz der enormen Quantität an neuen Produktionen selten ist, alles auf einmal: spannend, klug und sehr unterhaltsam. Statt von Flüchtlingen wird hier die Welt von unfreiwillig Zeitreisenden "überschwemmt": Wikinger, Steinzeitmenschen und Bürgerliche aus dem 19. Jahrhundert werden auf einmal aus dem Wasser gefischt. Warum, das weiß erst mal keiner so genau.

In dem Multi-Kulti-Clash geht es in erster Linie ums Zwischenmenschliche, um zwei Osloer Cops, die ungleicher nicht sein könnten: Das "multitemporale" Duo Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch) und seine Wikinger-Kollegin Alfhildr (Krista Kosonen), sie ist in ihren besten Jahren als schlagkräftige "Schildmaid" nicht überall angenehm aufgefallen, ermitteln in einem Mordfall, der peu à peu immer undurchsichtiger wird und immer neue Perspektiven auf das mysteriöse Phänomen der Zeitreisen offenbart.

Versprochen: Das alles klingt viel skurriler als es ist. Vor allem die Bezüge zur Flüchtlingskrise mit Auffanglagern, Traumabewältigung und Anpassungsschwierigkeiten im Alltag verarbeitet das norwegische Serien-Kleinod auf äußerst intelligente Weise und doch immer mit leichter Hand. Hier werden die großen Fragen unserer Zeit wie nebenbei mitverhandelt: Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn sich plötzlich alles ändert, wenn etwas Brachiales passiert, womit keiner gerechnet hat? – Das einzige "Problem" der Serie: Sie geht viel zu schnell zu Ende. Man möchte viel mehr von diesem sexy Cop-Duo sehen, die wissenschaftlichen Ansätze hinter diesen merkwürdigen Zeitreisen ausgelotet bekommen. Immerhin bieten die Rückblenden in die vergangenen Jahrhunderte unendliches Potenzial. Die gute Nachricht daher zum Schluss: Im Oktober 2020 begannen die Dreharbeiten zu Staffel zwei.

Immer für dich da (Netflix)

Darf man das heute eigentlich noch sagen: "Frauenserie"? Vermutlich nicht, aber wir tun es trotzdem: "Immer für dich da" ist eine astreine Frauenserie. Aber immerhin die beste aller Zeiten. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Kristin Hannah erzählt sie von zwei Freundinnen, die seit ihrer Jugend in den 70er-Jahren unzertrennlich sind. Tully (Katherine Heigl) und Kate (Sarah Chalke) gingen stets gemeinsam durch die Höhen und Tiefen des Lebens.

Was leicht in einer fürchterlichen Kitsch-Orgie hätte enden können, geriet vor allem dank der beiden herausragend aufspielenden Hollywoodstars in den Hauptrollen zu einem über die volle Distanz ans Herz greifenden Stück Fernsehen. Heigl und Chalke gelingt eine derart tiefe, glaubwürdige Charakterzeichnung, dass man die Taschentücher lieber nicht zu weit weglegen sollte – als Zuschauer entwickelt man eine ungemeine Empathie für die Schicksale der beiden Frauen, man glaubt sie wirklich zu kennen, fiebert, jubelt und leidet mit ihnen. Und am Ende, wenn alles vorbei ist und man mit einem veritablen Cliffhanger ziemlich ratlos zurückgelassen wird, vermisst man sie schrecklich. Fast so, als wären sie Teil der eigenen Familie. Worum es eigentlich geht? Um das Leben. Die Liebe. Den Tod. Nein, kleiner haben wir es gerade nicht. "Immer für dich da" ist wohl doch eher eine "Menschenserie" als eine Frauenserie!

Your Honor (Sky)

Achtung, vor dieser Serie muss man dringend warnen – jedenfalls alle, die sich mit einem nicht ganz so resilienten Nervenkostüm herumplagen: Über "Your Honor" liegt von den ersten Sequenzen bis zum dramatischen Ende eine flirrende Spannung, die kaum zu ertragen ist. Nicht eine einzige Minute ist hier behaglich, es gibt keine Atempause. Dass man trotzdem einfach nicht davon loskommt, liegt an der dichten, packenden Story und am abermals grandiosen Auftritt von "Breaking Bad"-Star Bryan Cranston. Er ist in seiner neuen Rolle einmal mehr zu allem bereit, um seine Familie zu retten: "Your Honor" begleitet einen hehren Richter namens Michael Desiato in New Orleans auf dem Weg nach ganz unten.

Ausgelöst wird der Strudel aus Angst und Gewalt von einem schlimmen Augenblick im Leben seines Sohnes: Nachdem er bei einem Unfall einen Motorradfahrer angefahren hat, ruft Adam (Hunter Doohan) zwar noch die Notrufzentrale, macht sich dann aber aus dem Staub. Das Opfer stirbt noch am Unfallort – es ist der Sohn einer Mafiafamilie, die Rache will und dabei über Leichen geht. Richter Michael Desiato ist verzweifelt – aber nicht am Ende. Der Mann weiß sich zu helfen ...

Krimi, Thriller, Drama – hier ist alles drin. Entscheidend für die große Klasse dieser Produktion ist aber ihre psychologische Wucht: Wie schnell ist man bereit, seine Integrität aufzugeben, wenn es um seine Lieben geht und man mit dem Rücken zur Wand steht? Das Zusehen lohnt sich allerdings auch schon wegen Bryan Cranston, der den Psychotrip authentischer macht, als man es aushalten kann. "Your Honor" mit Sky Ticket schauen.

Die Schlange (Netflix)

Es ist nicht zu fassen, aber es stimmt: Die Netflix-Serie "Die Schlange" beruht auf wahren Begebenheiten. Ein Hinweis, der schon deshalb wichtig ist, weil man diese abenteuerliche Story sonst vorschnell als fiktive Räuberpistole abtun würde. Erzählt wird von einer grausamen Serie von Morden und anderen Verbrechen in der von Drogen, Sex und jeder Menge Naivität geprägten Backpacking-Touristen-Szene der 70er-Jahre. Auf dem "Hippie Trail" lauert nicht nur jede Menge pralles Leben, sondern auch die Gefahr – personifiziert durch Charles Sobhraj, der insgesamt 24 Menschen ermordet haben soll und seit Anfang der 2000er-Jahre lebenslang in Nepal einsitzt.

In der BBC-Koproduktion wird er als kaltblütiger und narzisstischer Manipulator herausragend von Tahar Rahim ("Ein Prophet") verkörpert. Jenna Coleman ("Victoria") spielt seine Partnerin Marie-Andrée Leclerc, die schrittweise zur Gangsterbraut mutiert. Ein faszinierendes, hochattraktives Paar, das sein Leben auf Betrug, Raub und Mord aufbaut. Gut, dass es den beharrlichen Gegenspieler gibt: Herman Knippenberg (Billy Howle, "Am Strand") kommt als Mitarbeiter der belgischen Botschaft in Bangkok zunächst unfreiwillig in die Rolle des Verbrecher-Jägers ... Schauspielerische Leistung, authentische Ausstattung, packende Story: Hier stimmt einfach alles. Und wer gerade nach einer neuen Sonnenbrille sucht: Was Jenna Coleman da alles auf der hübschen Nase trägt, bietet genug Inspiration, um bald viel, viel Geld auszugeben.

The One – Finde dein perfektes Match (Netflix)

Vielleicht rümpfen spätestens jetzt einige die Nase – und sie haben recht: Diese Serie hat über weite Strecken den Charme eines B-Movies und kann den anderen Produktionen, was Charakterzeichnung und schauspielerische Leistungen angeht, nicht wirklich das Wasser reichen. Aber dafür ist das Thema, das hier verhandelt wird, umso faszinierender. Die auf dem Roman von John Marrs basierende Serie spielt in einer Zukunft, in der das Prinzip Online-Dating eine ganz neue Entwicklungsstufe erreicht hat: Per DNA-Test wird der perfekte Partner ermittelt – die eine große Liebe. Doch was klingt, wie der Schritt in eine ideale Welt, ist, man ahnt es, alsbald zum Gruseln.

Zunächst taucht man ein in die Welt eines hippen Start-Ups: Die Firma von CEO Rebecca Webb (Hannah Ware), eigentlich Wissenschaftlerin, die mit der Methode bereits die ersten Millionen scheffelt, nennt sich "The One". Man feiert sich, man ist schön, man ist cool, und das Silicon Valley ist ein Dreck dagegen. Doch hier ist nichts so, wie es scheint, und sehr wenig kommt so, wie erhofft: Die Liebe, gerade in ihrer ultimativen Form, hat nun mal auch eine gewaltige zerstörerische Kraft.

Als Zuschauer kommt man schnell ins Grübeln: Würde ich es ausprobieren – und mir für viel Geld die DNA-Datenbanken in der ganzen Welt scannen lassen, um den einen oder die eine, der oder die zu mir passt, herausfiltern zu lassen? Warum nicht, denkt man vermutlich, wenn man gerade Single ist. Aber was ist, wenn man beispielsweise glücklich liiert ist, vielleicht sogar Familie hat? – Nicht gut. So viel sei verraten. Es zieht einen immer tiefer rein in die Welt von "The One", und so sehr man sich anfangs gegen die durchaus unsympathische Rebecca Webb sträubt, sie und ihre Geschichte wird von Folge zu Folge fesselnder ...

Das alles funktioniert auch deshalb so gut, weil hier nichts nach Science-Fiction aussieht. Das Setting ist alltäglich und realistisch, niemand ist, von Rebecca vielleicht abgesehen, herausragend, nichts ist überinszeniert, sondern hier sieht man nur authentische Menschen mit einem echten Leben in einem surrealen Szenario. Doch genau genommen ist dieses Szenario wohl gar nicht so surreal ... Perfide!


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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