Doku zum Jahrestag der schrecklichen Tat

"Einzeltäter – Hanau": Vier Jahre nach dem Attentat sprechen die Angehörigen der Opfer

19.02.2024, 16.58 Uhr
von Elisa Eberle

Es passierte am Abend des 19. Februar 2020 - das Attentat von Hanau. Zum vierten Jahrestag zeigt das ZDF eine Doku und lässt die Opfer und ihre Angehörigen über das schreckliche Erlebnis sprechen. Wie nahmen sie den Anschlag, die Berichterstattung und vor allem die Aufarbeitung der Geschehnisse wahr?

Der unermüdliche Kampf der Überlebenden und Angehörigen

Die Verantwortlichen der Anschläge in München 2016, in Halle 2019 und in Hanau 2020 wurden lange Zeit als "verwirrte Einzeltäter" behandelt. Dass es sich um gezielte rechtsradikal motivierte Taten handelte, rückte erst später ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt dem unermüdlichen Kampf der Überlebenden und Angehörigen der Opfer. In der dreiteiligen Doku-Reihe "Einzeltäter" gibt Filmemacher Julian Vogel diesen Menschen viel Raum, ihre Sicht der Dinge zu schildern.

Nach den ersten beiden Filmen "München" und "Halle" 2023 ist nun der dritte Teil "Hanau" am vierten Jahrestag des Attentats am Montag, 19. Februar, um 0.30 Uhr, im ZDF zu sehen. Alle drei Filme sind zudem in der ZDFmediathek abrufbar.

Tür an Tür mit dem Vater des Täters

Es ist der Abend des 19. Februar 2020: In der Hanauer Innenstadt erschießt der Sportschütze Tobias R. drei Menschen. Ein junger Mann, Vili Viorel Păun, verfolgt den Täter mit seinem Auto. Gleichzeitig versucht er vergebens, den Notruf zu wählen. Auf dem Parkplatz eines Supermarkts wird Vili von Tobias R. erschossen. In einem nahegelegenen Kiosk mit angrenzender Sportbar folgen fünf weitere Opfer. Am Ende fährt Tobias R. in seine Wohnung im Hanauer Stadtteil Kesselstadt, wo er seine Mutter und sich selbst erschießt.

Hanau-Kesselstadt, so erzählt der Bruder des erschossenen Hamza Kurtović, sei ein "sehr gemischtes Viertel: von reich bis Armut, von den Nationalitäten ist es kunterbunt". Das sei auch der Grund, weshalb sich die Menschen hier so gut verstehen. Dass viele Angehörigen hier fast Tür an Tür mit dem Vater des Täters leben, macht die emotionale Aufarbeitung der Geschehnisse nur noch komplizierter. Ihr unermüdlicher politischer Einsatz für Aufarbeitung durch die Behörden wird im Film dokumentiert.

Warum war der Notausgang verschlossen?

Es sind unzählige Fragen, die die Hinterbliebenen beschäftigen: Warum waren die Einsatzkräfte in der Tatnacht so schwer zu erreichen? Warum wurden die Behörden nicht schon früher auf Tobias R. aufmerksam, der sein fremdenfeindliches Gedankengut immerhin in einem offen zugänglichen Online-Manifest verbreitete? Und vor allem: Warum war der Notausgang der Arena-Bar verschlossen, wo er doch die letzte Rettung für die darin befindlichen Menschen hätte sein können? Cetin Gültekin, dessen Bruder Gökhan in der Bar starb, ist sich sicher: Die Polizei selbst habe befohlen, den Notausgang verschlossen zu halten, um die regelmäßigen Razzien zu erleichtern. Vollständig geklärt wurde die Sachlage nie. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

"Einzeltäter – Hanau" ist ein bedrückender und schockierender Film. Wer Serpil Temiz Unvar, der Mutter des ermordeten Ferhat Unvar zuhört, ahnt, dass der Tod ihres Sohnes nur die Spitze all jener Diskriminierungen war, die sie in ihrem Leben erfahren mussten: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Lehrer ein Ausländerkind oft nicht akzeptieren", erzählt sie auf einer Demonstration: "Ich habe immer wieder zu ihm gesagt: Du musst mehr arbeiten als die anderen, weil du nicht die gleichen Chancen hast wie die deutschen Kinder."

Wieso war das kein deutscher christlicher Terrorist? 

 

Einer von Hamzas Freunden, der im Film zu Wort kommt, geht noch einen Schritt weiter: "Ich frage mich, warum er ein Kranker sein darf oder ist und wieso kein Terrorist? Wieso war das kein deutscher christlicher Terrorist? Wieso stellt ihr es nicht so dar, wie ihr es sonst immer mit den Muslimen und den Ausländern macht?"

Nach dem Tod ihres Sohnes gründete Serpil Temiz Unvar die Bildungsinitiative Ferhat Unvar. Sie soll junge Menschen aufklären und für den Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung sensibilisieren. Es ist eine Aufgabe, die angesichts des zunehmenden Rechtsrucks wichtiger denn je erscheint. Das Vertrauen in die Polizei haben sie wie viele andere Angehörige, die in dem Film zu Wort kommen, spätestens seit jenem Abend im Februar 2020 verloren.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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