"Gier und Angst"

Neuer "Tatort" aus Dortmund: Ist der Pott verrückt geworden?

von Eric Leimann

Die Dortmunder "Tatort"-Kommissare stochern nach dem Tod eines Vermögensberaters im Drogennebel und erleben Superreiche im Panikmodus. 

ARD
Tatort: Gier und Angst
Kriminalfilm • 02.01.2022 • 20:15 Uhr

Auf dem Dortmunder Hafengelände wird ein Vermögensberater erschossen aufgefunden. Claus Lembach war ein Star der Branche, der vor allem Reiche und Superreiche beriet. Gemeldet hat den Vorfall jener Mann, den der Tote zwecks geheimer Besprechung an den ungewöhnlichen Treffpunkt gelotst hatte: Manager Josef Micklitza (Stefan Rudolf), den Kommissar Faber naiv danach fragt, wie groß sein Vermögen denn ist. Darauf er: "Na ja, irgendwas zwischen zehn und 100 Millionen wird's schon sein. Aber der Beck (so lautet der Name des Partners des toten Vermögensberaters), der verwaltet Vermögen in Milliardenhöhe. Da sind meine Anteile nur Peanuts." Ob der "Peanuts-Range" von 90 Millionen Euro fällt Kommissar Faber dann aber doch die Kraft aus dem Gesicht. Selbst der Faber-übliche, zynische Spruch fällt aus. Im Anschluss bekommt es das Dortmunder "Tatort"-Team mit gleich zwei Welten zu tun, die ihnen reichlich fremd erscheinen. Ist der Pott verrückt geworden?

Es sind nicht nur hypersensible reiche Erben (Matthias Bundschuh), entrückt-zynische Anlageberater wie der angesprochene Wiglaf Beck (Heiko Pinkowski) oder sich in buddhistische Parallelwelten flüchtende Privatbankbetreiber wie Dr. Artur Mehring (Andre Jung), denen Faber und Co. im Zuge der Nachforschungen begegnen. Die Dortmunder tauchen noch in einen ganz anderen Kosmos ab: Weil Zeuge Josef Micklitza noch in der Mordnacht untertaucht, suchen die Ordnungshüter dessen Bruder Micki (Sascha Geršak) auf. Der betreibt einen Nachtclub und gibt sich kaum Mühe, den eigenen Drogenkonsum zu verbergen. Während einer Befragung im Club sieht Jan Pawlak völlig überraschend seine seit einem Jahr verschwundene Frau Ella (Anke Retzlaff) vorbeihuschen, die Mutter seiner Tochter. Heimlich versucht er, Kontakt zu ihr aufzubauen – ohne die persönliche Verstrickung in den Fall seinen Kollegen zu beichten.

"Böse Zungen behaupten, der Mensch bestehe überhaupt nur aus zwei Grundemotionen: Gier und Angst. Die Gier nach mehr, die Angst vor dem Nichts." Das sagen die "Tatort"-Macher Sönke Lars Neuwöhner (Drehbuch) und Martin Eigler (Drehbuch, Regie) über ihren neuen Dortmunder Fall, der – sagen wir es klipp und klar – sich im Laufe der Handlung als ziemliche Räuberpistole erweist. Die beiden Welten, über welche die Macher ("Morgen höre ich auf", "Wolfsland") reden, hätten auf jeden Fall auch einzeln gereicht, um einen interessanten "Tatort" zu bauen. Doch irgendwie finden Neuwöhner und Eigler kein verbindendes Element zwischen denen, die sich im Nachtclub mit Heroin abschießen und jenen, die sich der Gier nach Geld hingeben. Okay, beides kann "guter Stoff" sein, und Entzug wird in beiden Fällen mit kaltem Zittern und großer innerer Unruhe bestraft – doch erzählerisch finden die Settings Geld und Drogen hier ebenso wenig zusammen, wie der Mordfall wirklich elegant in eine der beiden Welten eingebettet wurde.

Bleibt der anrührende, wenn auch mutig ziemlich dick aufgetragene Erzählstrang um Jan Pawlaks verlorene Liebe Ella. Deren Darstellerin Anke Retzlaff dürften Krimifans als Jungpolizistin und Hauptdarstellerin der losen ARD-Krimireihe "Über die Grenze" kennen. Auf jeden Fall ist die hochbegabte 32-Jährige ein Schauspielerinnen-Gesicht, das man sich merken sollte. Im Dortmunder "Tatort"-Plot spielt sie eine jener flirrenden, unerklärbaren Femme fatale-Figuren, vor denen das deutsche Fernsehen normalerweise Angst hat. In "Gier und Angst" ist Retzlaffs und Okons verdammte Liebe das stärkste Motiv in einem "Tatort", der irgendwie sein Zentrum nicht findet.

In einer der besten Szenen besucht Kommissar Faber den Privatbankier Artur Mehring in seinem Haus. Dieser erklärt dem Polizisten, dass "man nicht reicher wird, ohne dass andere ärmer werden". Und: "Wer sein Glück im Geld sucht, der lebt falsch – denn er lebt in Angst". Schade, dass der dem Buddhismus zugetane Banker, der sich längst aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hat, den Geld-Marionetten in seinem Umfeld dieses Geheimnis nicht vermitteln konnte. Er hätte damit viel Gier, auf die immer die Angst vor Verlust folgt, verhindern können. Doch dann hätte es dieses ambitionierte, aber erzählerisch zu volle Krimistück aus Dortmund auch nicht gegeben.

Tatort: Gier und Angst – So. 02.01. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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