Neuer Fall aus Köln

"Tatort: Vier Jahre" – Schein und Sein

von Eric Leimann

Ein TV-Star sitzt seit vier Jahren wegen Mordes in Haft, doch nun gesteht ein anderer die Tat. In einem starken Kölner "Tatort" über Schein und Sein ermitteln Ballauf und Schenk unter Schauspielern.

ARD
Tatort: Vier Jahre
Kriminalfilm • 06.02.2022 • 20:15 Uhr

Der Kölner "Tatort: Vier Jahre" erzählt von Schauspielern. Moritz Seitz (Thomas Heinze) erfreut sich als Tierdoktor ("Der Arzt, dem die Sauen vertrauen") großer Beliebtheit beim TV-Publikum. Auch seine Kollegin, langjährige Liebe und Ehefrau Carolin (Nina Kronjäger) ist in der Rolle einer Serienpolizistin gut im Geschäft. Gemeinsam mit der fast erwachsenen Tochter Lene (Sarah Buchholzer) bewohnt man eine schicke Villa mit Pool. In der Silvesternacht 2017/18 wird dort das neue Jahr mit einer wilden Party begrüßt. Unter die Gäste mischt sich auch der nicht wirklich willkommene Theaterstar Thore Bärwald (Max Hopp), der die Nacht nicht überleben wird.

Der stark angetrunkene, frühere Freund von Moritz Seitz ärgert den Gastgeber wohl so heftig, dass diesem die Sicherungen durchbrennen. Mit einem ins Pool gestürzten Filmscheinwerfer wird Provokateur Thore Bärwald "gegrillt" – und anschließend offenbar mit weiteren Mordwerkzeugen bearbeitet. Für die Tat gibt es einen Zeugen: den schwer depressiven Nachbarn Urs Keller (Manfred Böll), der schon lange von den partywütigen Schauspieler-Nachbarn genervt ist.

Vier Jahre nach der Verurteilung von Moritz Seitz erfährt der eigentlich gelöste Fall eine überraschende Wendung. Ole Stark (Martin Feifel), ebenfalls ein alter Schauspiel-Freund sowohl von Moritz Seitz wie auch des Opfers, gesteht, dass er Thore Bärwald in besagter Nacht getötet hat und der Nachbar ihn im Dunkeln wohl mit dem Hausbesitzer verwechselte. Nun will Ole wegen seiner Schuldgefühle reinen Tisch machen.

Eine Woche für die Wahrheit

Seitz wird aus der Haft entlassen und kehrt nach Hause zurück. Dort lebt seine Frau, die seit dem Mord ebenfalls keine Schauspiel-Jobs mehr bekommen hat, mittlerweile mit dem Streifenpolizisten Frank Heise (Florian Anderer) zusammen. Offiziell ermitteln dürfen die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) nicht. Staatsanwältin Novak (Renan Demirkan) gibt den Kölner Ermittlern jedoch eine Woche Zeit, um Licht in die seltsame Geschichte zu bringen. Dass viele ihrer Protagonisten Schauspielerinnen und Schauspieler sind, macht die Suche nach der Wahrheit dabei nicht einfacher.

Drehbuchautor Wolfgang Stauch ist seit Jahren ein guter Tipp, wenn es um die Chance auf herausragend geschriebene "Tatorte" geht. So war der 53-jährige Autor in den letzten Jahren unter anderem für die geniale Stuttgarter Folge "Anne und der Tod", das starke Ludwigshafener Sozialdrama "Leonessa" und zuletzt für die bislang beste Heike Makatsch-Folge "Blind Date" verantwortlich. Dass ein "Tatort" in der Schauspieler-Szene spielt, ist allein schon eine tolle Idee, doch sie hätte auch in einem überambitionierten "Meta-Projekt" enden können. Autor Stauch und Regie-Routinier Torsten C. Fischer (zuletzt verantwortlich für den starken Berliner Fall "Die Kalten und die Toten") lassen ihre Figuren hier nicht nur professioneller als "normale" Verdächtige falsche Spuren auslegen und Rollen spielen. Ihre Figuren, alle tief in ihren 50-ern, bekommen zudem auch ein gutes Stück Lebensmelancholie mit auf den Weg.

Die Freunde Moritz, Thore und Ole waren einst gemeinsam auf der Schauspielschule. Drei ambitionierte junge Kerle, denen das Leben sehr unterschiedliche Wege bescherte. Einer hat offensichtlich Erfolg in der Liebe und im Beruf, doch dafür muss er Jahr für Jahr eine öde Rolle verkörpern. Der andere und klar talentierteste der drei ist ein wenig bekanntes Theater-Genie, den das Leben bitter und zynisch gemacht hat. Der Dritte, jener spät geständige Ole, hatte nie Erfolg und ertränkt seinen Kummer schon lange im Alkohol.

Von mehreren Versionen des wohl melancholischsten Jazz-Standard "The Autumn Leaves" und toll fotografierten, spätherbstlichen Bildern von Ausnahme-Kameramann Holly Fink ("Charité") begleitet sieht man in diesem "Tatort" Menschen zu, die sich fragen, ob im Leben auch alles hätte anders kommen können. Dass sich das Thema des Films in der Analyse einer Mordnacht verdichtet, von der immer wieder neue Versionen auf den Tisch kommen, ist ein ziemlich cleverer Schachzug.

Nina Kronjäger und Thomas Heinze waren im echten Leben ein Paar

Ebenso clever sind im "Tatort: Vier Jahre" die Rollen und ihre Besetzung. Nina Kronjäger und Thomas Heinze, die im Film ein exzentrisches, aber eben schon lange gemeinsam das Leben bestreitende Schauspieler-Ehepaar spielen, waren auch im wirklichen Leben längere Zeit ein Paar – doch heute eben nicht mehr. Dass Kronjäger eine Schauspielerin verkörpert, deren Paraderolle eine Fernseh-Kommissarin ist, die nun von den "echten" Fernsehkommissaren Ballauf und Schenk in Sachen Wahrheit verhört wird, ist fantastisch ausgedacht – und ebenso klug wie die Besetzung der Rollen mit Thomas Heinze, dem 90-er Jahre Kinostar, der zwischendurch eine lange Durststrecke erlebte oder Martin Feifel als verzweifelt Erfolglosem, weil der Münchener Charakterdarsteller Feifel tatsächlich immer wesentlich mehr Kritikerlob als wirklich große Rollen bekommen hat.

Ein Film-im-Film oder Meta-"Tatort" ist "Vier Jahre" dennoch nicht. Dafür ist die Geschichte als Krimi zu clever ausgedacht und überzeugt zudem als Charakterstudie rund um verblassten Ruhm und die Bedeutung falscher Lebensentscheidungen. Als optisches Zentrum der Handlung sorgt die stimmungsvolle Villa des Ehepaares Seitz mit ihrem winterlichen Pool samt Leiche und Herbstlaub für einige der schönsten "Tatort"-Bilder, die man seit langem aus Köln zu sehen bekam. Nach längerer Zeit mal wieder ein richtig poetischer Fall für die alten Fahrensmänner Max Ballauf und Freddy Schenk.

Tatort: Vier Jahre – So. 06.02. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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