ARD-"Tagesthemen

Ukrainische Außenminister wirbt für Nato-Beitritt: "Die Einladung wird niemanden in irgendeinen Krieg ziehen"

11.07.2023, 12.50 Uhr

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba warb im Interview mit den ARD-"Tagesthemen" um eine offizielle Einladung zur Nato. Auf den Vorschlag von "Sicherheitsgarantien" reagierte er empfindlich.

Vor dem Start des möglicherweise wegweisenden Nato-Gipfels im litauischen Vilnius (11. und 12. Juli) hat der ukrainische Außenminister in einem "Tagesthemen"-Gespräch mit Nachdruck für eine Beitrittsperspektive seines Landes geworben. Im Interview mit Moderatorin Caren Miosga erinnerte Dmytro Kuleba am Montagabend daran, dass der Ukraine schon 2008 der Beitritt zum Verteidigungsbündnis versprochen worden war, seither aber nur wenig unternommen worden sei, die Mitgliedschaft Realität werden zu lassen.

"Wir glauben, dass jetzt die beste Zeit für eine solche Entscheidung ist, um uns die Einladung auszusprechen", sagte Kuleba in der ARD. Allerdings in dem Verständnis, dass die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllt sein müssen: "Wir reden nicht über eine sofortige Mitgliedschaft, das ist ein sehr wichtiger Punkt."

Die Einladung sei vielmehr ein politisches Signal

Zuletzt hatte US-Präsident Joe Biden betont, es werde "noch lange" dauern, bis die Ukraine Nato-Mitglied werden könne, und stattdessen eine "Sicherheitspartnerschaft" nach dem Vorbild Israels in Aussicht gestellt. Auch die Bundesregierung äußerte Vorbehalte, für eine "offizielle Einladung" sei es zu früh. Offenbar, so schloss "Tagesthemen"-Moderatorin Miosga, habe man Sorge, in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen zu werden.

"Wir schätzen alles, was Deutschland und die USA für die Ukraine tun, um uns in diesem Krieg zu unterstützen", entgegnete der ukrainische Außenminister. In diesem Punkt aber komme man zu einer anderen Einschätzung als Berlin. "Wir glauben, dass die Einladung an sich niemanden in irgendeinen einen Krieg ziehen wird." Die Einladung sei vielmehr ein politisches Signal, dass der Prozess im Gange sei, der Bündnisfall nach Artikel 5 könne hingegen erst dann eintreten, wenn die Mitgliedschaft vollzogen sei.

Kuleba erinnerte an womöglich fatale Fehleinschätzungen der Vergangenheit: "Ich rufe die deutsche Regierung dazu auf, die Fehler von Bundeskanzlerin Merkel aus dem Jahr 2008 nicht zu wiederholen." Merkel hatte sich damals aus Rücksicht gegenüber Russland gegen die Integration der Ukraine in die Nato ausgesprochen. Die Folge sei laut Kuleba "ein noch aggressiveres Verhalten von Russland" gewesen, wie der Krieg in Georgien, feindliche Aktivitäten gegen den Westen und nun der Angriff auf die Ukraine zeigen würden.

"Ohne unsere Armee könnte die Ostflanke gar nicht verteidigt werden"

Kuleba bekräftigte: "Die ukrainische Nato-Mitgliedschaft ist ein Weg zum Frieden. Sobald die Ukraine der Nato beitreten kann, gibt es keine Kriege mehr in Europa. Um das geht es doch." Russland werde sich dann "nicht mehr trauen, das Bündnis anzugreifen". Auch sei Präsident Putin wegen interner Probleme "momentan gar nicht in der Lage, auf irgendeine bedeutende Weise auf eine solche Einladung zu reagieren". Zwar könne eine Nato-Mitgliedschaft den gegenwärtigen Krieg nicht stoppen, wohl aber Kriege in Zukunft vermeiden. Auf Olaf Scholz angesprochen beteuerte er: "Europäische Politiker haben überhaupt nichts zu verlieren, wenn sie diese Einladung aussprechen."

Empfindlich reagierte der Außenminister auf den Vorschlag, sich statt einer Nato-Mitgliedschaft mit Sicherheitsgarantien zufriedenzugeben, wie sie Israel durch die USA gewährt würden. "Warum will immer jeder die Ukraine in einen separaten Topf stecken?", fragte er rhetorisch. Es wiederhole sich gerade die Debatte von vergangenem Jahr, als es um eine Beitrittsperspektive zur EU ging.

Kuleba energisch: "Warum können wir nicht einfach einen ganzheitlichen Lösungsansatz für eine europäische Sicherheitsarchitektur entwickeln, in dem die Ukraine im Boot der Nato sitzt?" Die Ukraine stelle keine Belastung dar. "Die Ukraine ist ein Gewinn für die Nato. Ohne unsere Armee könnte die Ostflanke gar nicht verteidigt werden, könnten wir die Fehler Deutschlands und anderer westeuropäischer Staaten nicht korrigieren."

Sicherheitsgarantien dürften in diesem Sinne nicht als eine Alternative zur Nato-Mitgliedschaft angesehen werden, sondern als ein Mittel, die Zeit bis zum Beitritt nach Kriegsende zu überbrücken.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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