Abschied von der Mittelschicht
04.02.2020 • 20:15 - 21:45 Uhr
Info, Gesellschaft + Soziales
Lesermeinung
Jarkko Karhunen (re.) hat vom Grundeinkommen profitiert und ein kleines Unternehmen gegründet. Er verkauft hochwertige Schokolade im Internetshop und an Einzelhändler in seiner Heimatstadt Oulu.
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Demonstration zum 1. Mai in Barcelona: Verschiedene Organisationen wie "No+Precariedad“" möchten auf die zunehmende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufmerksam machen.
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Tolga Atay ist ausgebildeter Fahrzeuglackierer. Geregelte Arbeitszeiten sind in der Branche selten, Leiharbeit und Nachtschicht die Regel.
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In der Generation der unter 30-Jährigen wie Nuria Soto in Spanien sind Gelegenheitsjobs und Praktika der Standard.
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Originaltitel
Abschied von der Mittelschicht - Die prekäre Gesellschaft
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2019
Info, Gesellschaft + Soziales

Sinkender Lebensstandard quer durch Europa

Von Andreas Schoettl

Diese Entwicklung ist besorgniserregend: Immer mehr Menschen kommen sogar trotz mehrerer Jobs kaum mehr über die Runden. Die wachsende Angst vor einer drohenden Armut zieht sich quer durch Europa. Es profitieren populistische Parteien.

Wie hieß es über die Generationen hinweg doch immer so schön: Eine starke Mittelschicht ist das Rückgrat einer erfolgreichen Gesellschaft. Und in der Tat wird diese lange gültige Gewissheit auch durch Statistiken belegt. Wo es der Mitte gut geht, gibt es weniger Kriminalität, ist die Zufriedenheit größer, sind die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse stabiler – das bestätigte jedenfalls die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erst im vergangenen Jahr in einer groß angelegten Studie.

Das Problem aber ist: Die vermeintlich stabile Mitte steht längst unter Druck. Und das nicht erst seit der Finanzkrise. "Diese Entwicklung zieht sich seit gut 25 Jahren hin", so Ángel Gurría, Generalsekretär der OECD. Für ihren Film über den "Abschied von der Mittelschicht" spannen die Autoren Karin de Miguel Wessendorf und Valentin Thurn ihren Bogen auch weit in die Vergangenheit. "Seit den 1980er-Jahren wurde das Arbeitsrecht, wie in Nordamerika, weiter liberalisiert. Die Jobs wurden unsicherer, der Kündigungsschutz gelockert. Zeit- und Leiharbeit konnten sich ausbreiten", etwa erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Guy Standing.

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Für seine britische Heimat macht der Ökonom die Politik Margaret Thatchers (1925 – 2013) verantwortlich für den fortschreitenden Niedergang der Mittelschicht. In Frankreich sei es François Mitterrand (1916 – 1996) gewesen. Und in Deutschland? Im Film heißt es: "Die Wahlerfolge der AfD sind letztlich auch Folgen der Arbeitsmarktreformen unter Gerhard Schröder."

Gefährlich brodelndes Gemisch

Die Autoren führen auf, wie sich quer durch Europa durch ein größer werdendes "Prekariat", das durchweg in zumindest gefühlt unsicheren Arbeitsverhältnissen lebt, ein brodelndes Gemisch zusammenbraut. Mit der selbst von "Experten" nicht erwarteten Bewegung der Gelbwesten kam es zumindest in Frankreich bereits zum Ausbruch. Es sind Menschen wie Patricia Lésage, die im Film ihrem Frust vollen Lauf lassen. Die Putzkraft verdient kaum mehr als 1.000 Euro im Monat – wenn sie in einer Stelle überhaupt über die Dauer von rund vier Wochen arbeiten darf. "Ich bin jetzt 57, sie haben das Rentenalter auf 67 angehoben. Wir werden eines Tages noch mit dem Rollator arbeiten gehen", sagt sie. Auf einen schönen Lebensabend mit ausreichender Rente setzt sie längst nicht mehr. Die Putzkraft: "Wenn ich ins Rentenalter komme, nehme ich meinen Koffer und ziehe unter die Bücke."

Auch wegen dieser Aussicht hat Lésage populistisch gewählt. Zu der ohnehin anwachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land kommt so auch eine weitere Spaltung innerhalb einer fragilen Gesellschaft hinzu. Denn: Verunsicherte Menschen sind leichter dazu verführt, Schuldige für ihre Misere zu finden. Auch im Falle der Putzkraft sind es die Migranten. "Die lässt man kommen. Und man gibt ihnen kleine Häuschen mit allem Komfort", unterstellt sie.

ARTE zeigt die vielschichtige wie alarmierende Dokumentation "Abschied von der Mittelschicht" im Rahmen eines Themenabends über modernes Leben am Rande einer würdigen Existenz. Zu dieser gehören auch ansprechende Wohnverhältnisse. Diese aber sind in vielen Städten für viele Menschen nicht mehr gegeben. Die investigative Dokumentation "Push" untersucht ab 21.50 Uhr die Mechanismen des neuen globalen Immobiliengeschäfts. Der Film folgt Leilani Farha, der UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen, wie sie die Welt bereist, um herauszufinden, wer aus der Stadt "gedrückt" wird und warum.

Schließlich richten die Regisseure Femke Wolting und Tommy Pallotta ihren Blick noch weiter in die mögliche Zukunft der Arbeit. Sie wird für sehr viele Menschen wohl keine besonders Schöne. Grundlage ihres Films "Wir sind die Roboter" ab 23.25 Uhr ist die Prognose, dass bis 2030 mehr als ein Drittel aller Arbeitsplätze durch Automatisierung wohl verloren gehen.

Abschied von der Mittelschicht – Di. 04.02. – ARTE: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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