Obwohl im tschechischen Buchnov ein Mord passiert ist, scheint sich keiner der Einwohner für die Motive zu interessieren. Nur der Dokumentarfilmer Lukas versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Die interessante tschechische Serie läuft jetzt bei ARTE.
"Buchnov ist eine ganz normale Stadt mit ganz normalen Bürgern", behauptet die Bürgermeisterin Alena Svobodova (Barbora Sporclova Kodetova) mit voller Überzeugung in die Kamera des Dokumentarfilmers Lukas (Matej Andel). Doch normal ist in der tschechischen Kleinstadt schon lange nichts mehr. Nicht, seit vor wenigen Monaten der Zigeunerjunge Denis einem grausamen Lynchmord zum Opfer viel. Die Indizien deuteten lange auf den geistig zurückgebliebenen Jiri (Jiri Roskot) als Täter hin. Doch mangels Beweisen wurde der junge Mann freigelassen und der Fall zu den Akten gelegt. Das Städtchen hüllt sich seitdem in Schweigen über die Geschehnisse – was auch Lukas feststellen muss, der bei seinen Nachforschungen auf taube Ohren stößt. Erst nach und nach gelingt es ihm in der neuen, achtteiligen Serie "Mord im Böhmerwald", ein Puzzle zusammenzusetzen, das weit über den schrecklichen Mord hinausreicht.
Ob Marika (Natalie Topinkova) und ihr Sohn Tomas (Marsell Bendig), der Familie des Toten, oder die Leute auf der Straße – keiner will irgendwas von dem Mord mitbekommen haben. Und das, obwohl das Verbrechen mitten in Buchnov auf dem Marktplatz begangen wurde. Während der Lukas nach den Motiven für den Mord sucht, wirbelt der Kameramann mächtig Staub auf und bringt die vermeintliche Kleinstadtidylle an einigen Stellen ins Wanken. Einmal hinter die Fassade geblickt, stößt er auf einen tiefen Graben, der sich durch die nach außen hin so heile Dorfgemeinschaft zieht.
Ein Blick hinter die vermeintliche Kleinstadtharmonie
Ein Familienvater meint etwa in der ersten Folge der tschechischen Produktion, es würden "anständige Familien" in Buchnov leben und das Haus an Haus mit Zigeunern. Die Abscheu gegenüber den nicht erwünschten Sinti und Roma wird auch mehr als deutlich, wenn Tomas' Vermieterin über den Toten, seines Zeichens selbst Roma, befindet: "Der hat nur bekommen, was er verdient hat." Neben diesem Motiv der Fremdenfeindlichkeit, das Europa nicht erst seit der Flüchtlingskrise beschäftigt, eröffnen Showrunner Harold Apter und Regisseur Jan Bartek einige weitere Handlungsstränge mit viel Potenzial.
Seien es die Rückblenden, in denen sich Lukas an Kindheitserlebnisse in Buchnov zurückerinnert, die krummen Geschäfte in einer maroden Fabrik außerhalb der Kleinstadt oder die 17-jährige Helena (Stepanka Fingerhutova), die vermeintlich vom Mordopfer schwanger ist – die sechs Drehbuchautoren arbeiten zum Auftakt beinahe ausschließlich mit Andeutungen. Dabei verraten sie aber stets genau so viel, dass man als Zuschauer gebannt vor dem Fernseher sitzt und rätselt, wie die Erzählstränge miteinander zusammenhängen. Der Titel der Serie mag konventionell klingen. Und doch entfaltet sie sich zu einem faszinierenden Psychogramm einer Kleinstadt, das seine Kreise auch weit außerhalb des Mordes zieht.
ARTE zeigt die acht Episoden der tschechischen Serie an zwei Abenden. Am Donnerstag, 1. August, strahlt der Sender die ersten vier Episoden am Stück aus. Eine Woche später folgt dann ab 21 Uhr die zweite Hälfte mit ebenfalls vier Folgen.