Der fünfte "Tatort" aus Weimar liefert das, was man erwarten darf: Krimi-Comedy auf gehobenen Niveau, die haarscharf am Absurden vorbeischippert. Das "freigeistige" Umfeld Psychiatrie hilft dabei.
Der wüste Gobi (Jürgen Vogel), auch als "Würger von Weimar" bekannt, hat durchaus Fans. Vor allem unter den Krankenschwestern der geschlossenen Psychiatrie, in die der dreifache Frauenmörder eingesperrt wurde. Als Gotthilf Bigamiluschvatokovtschvili, wie der Wahnsinnige in echt heißt, eine Pflegerin erdrosselt und aus der Anstalt flieht, nimmt das Kommissar-Ehepaar Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) die Verfolgung auf. Dabei ist nicht immer klar, wer in der fünften Thüringer Krimi-Comedy unter dem "Tatort"-Siegel den größten Schaden an der Waffel hat: Gobi oder seine Therapeuten? Vor allem Klinikleiter Professor Eisler (Ernst Stötzner), dessen chronisch kranke Frau zum zweiten Opfer wird, macht sich in "Tatort: Der wüste Gobi" verdächtig. Das Publikum darf sich derweil entspannen und einem Feuerwerk aus Dialogwitz und skurrilen Plot-Einfällen folgen.
Stets ist es ein Wortspiel, mit dem der Weimarer "Tatort" seine erste Pointe setzt. "Die Fette Hoppe" hieß der erste Film von 2013 – womit eine Thüringer Bratwurst gemeint war. Es folgten: "Der Irre Iwan" (2015), "Der treue Roy" (2016) sowie "Der scheidende Schupo" (2017). Geschrieben wurden alle Filme vom Duo Murmel Clausen und Andreas Pflüger. Clausen ("Jerks") kommt von der anarchisch orientierten Comedy, Pflüger fungiert als seriöses Korrektiv. Der 60-Jährige hat weit über 20 "Tatort"-Drehbücher in seiner Vita stehen. Die meisten entstanden, lange bevor das ARD-Krimi-Flaggschiff Humor als Mittel der Unterhaltung entdeckte.
Wie sein kreatives Duo, so ist auch das Produkt: Die Weimarer "Tatort"-Produkte sind stets ernsthaft genug, um noch WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborns Verdikt, die ARD werde zukünftig nur noch zwei experimentelle "Tatorte" pro Jahr produzieren, von der Schippe zu springen. In der Dichter- und Denkerstadt findet sich stets ein "echter" Fall, der sich am Ende aufklärt, der Mörder wird überführt. Was dazwischen passiert, balanciert allerdings auf einem schmalen Grat zwischen der von Krimi-Konservativen geforderten Konvention und dadaistischem Eskapismus entlang.
Dass die Krimi-Persiflage "Der wüste Gobi" ihren eigenen Irrsinn unbescholten ausleben darf, das Setting Psychiatrie hilft dabei. In einer der besten Szenen, die Weimar bislang hervorbrachte, vernimmt Kommissarin Dorn einen vermeintlichen Psychiater in dessen Klinikbüro. Um nach dramatischen Minuten voller ermittlerischer Erkenntnisse festzustellen: Der Mann ist ein Irrer im Arztgewand. Als der echte Psychiater, der natürlich wahnsinniger wirkt als sein Patient, den Irrtum aufklärt, danach aber noch einmal fast die gleiche Geschichte erzählt, hat der Zuschauer nicht nur eine toll "geplottete" Szene gesehen, sondern auch Spannung und Dialogwitz vom Feinsten erlebt.
Klar, dass der Krimi unter der Regie von Ed Herzog ("Griesnockerlaffäre") dieses Niveau nicht über 90 Minuten halten kann. Die Gespräche des sich frotzelnden Ehepaares Lessing und Dorn sind manchmal etwas zu sehr auf Pointe gebürstet, und das Ende des fünften Weimar-"Tatorts" ist eher durchschnittlich geraten. Dennoch stimmt die Gesamtbilanz. Aus Thüringen kam über vier Jahre – der erste Fall lief 2013 ebenfalls am zweiten Weihnachtsfeiertag – bislang immer eine Qualität, die sich sehen lassen konnte.
Dass im neusten Fall von Lessing und Dorn neben Psychiatrie- auch Rollenklischees des deutschen TV sanft durch den Kakao gezogen werden, dürfte vor allem Fernseh-Nerds gefallen. Jürgen Vogel ("Der freie Wille") spielt mal wieder einen brodelnden (Gewalt-)Vulkan. Ernst Stötzner, der den Medizinpionier Rudolf Virchow in "Charité" gab, verkörpert den verrückten Klinikchef und Hobbyjäger. Und Jeanette Hain? Die hat in ihrer Karriere so viele doppelbödige Frauenrollen in deutschen Krimis gespielt wie keine andere Darstellerin. Hier ist sie in einer, nun ja, extrem doppelbödigen Frauenrolle zu sehen.
An derlei Seitenhieben auf den Fernseh-Regelbetrieb nebst witziger filmischer Zitate ist "Der wüste Gobi" extrem reich. Doch keine Angst: Man muss nicht alles verstehen, um dem gelungenen Spaß folgen zu können.