Die Russenmafia war's! – Sagt jedenfalls Frank Lorenz, der Streifenpolizist, dem eine Verkehrskontrolle so furchtbar aus dem Ruder lief, dass es einen Toten gab.
Man mag es kaum glauben, aber es gab für den Kölner Kriminalhauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) tatsächlich eine Zeit vor Max Ballauf (Klaus J. Behrendt). Einst, in den 70er-Jahren auf der Polizeischule in Düsseldorf, verband ihn eine dicke Männerfreundschaft mit einem Kollegen namens Frank Lorenz. Aber, wie das im Leben so ist, man verlor sich nach der Ausbildung irgendwann aus den Augen. Doch nun kreuzen sich auf schicksalhafte Weise die Wege der beiden noch mal. Zufall? Fügung? Was war in all den Jahren, und was wird jetzt aus der neu entflammten Kumpelseligkeit? – Sebastian Kos neuer "Tatort: Weiter, immer weiter" rückt große Fragen zwischenmenschlicher Natur in den Fokus und mit dem Polizisten Lorenz einen ausnehmend sperrigen, ungelenken Protagonisten, der dem Zuschauer über die vollen 90 Minuten einiges abverlangt.
Dass Lorenz' Story dennoch über weite Strecken fasziniert, ist vor allem dem wuchtigen Auftritt von Charakterdarsteller Roeland Wiesnekker (51) zu verdanken, der aus diesem "mickrigen Streifenhörnchen" (O-Ton Lorenz über Lorenz) eine ziemliche Nummer macht: ein menschliches Mysterium, an dem man sich leidenschaftlich abarbeiten kann.
"Das gibt's doch nicht! Lorenz?", ruft der fassungslose Schenk – "Mensch, Schenki!", jubelt der andere. Und schon fallen sich in einer nasskalten Kölner Nacht zwei gestandene Mannsbilder in die Arme. Geradezu ans Herz greifend – würde es sich beim Ort dieses Wiedersehens nicht um den Schauplatz eines grausigen Unglücks handeln: Vor wenigen Minuten hatte Lorenz bei einer Verkehrskontrolle einen jungen Mann aufgefordert, aus seinem Wagen auszusteigen. Der verhaltensauffällige Fahrer kam der Bitte zwar nach, rannte dann aber von eigenartiger Panik ergriffen direkt vor eine Straßenbahn – sofort tot.
Dass aus dem Unfallszenario ein Fall für die Mordkommission wird, hat damit zu tun, dass im Wagen größere Mengen Drogen gefunden wurden, und mit einer eigentümlichen Beobachtung: Lorenz will gesehen haben, dass direkt nach dem tragischen Ereignis ein schwarzer Jeep mit bewaffneten, auffällig tätowierten Männern vorbeigefahren ist. Ein klares Indiz für die Russenmafia. Tatsächlich führt eine Spur vom Bruder des Opfers, dem Junkie Mirko Pohl (Vincent Redetzki), in eine von russischer Hand betriebene Importfirma für Delikatessen aller Art, deren Junior-Chef Nikolaj Nikitin (Vladimir Burlakov) zumindest ein massives Aggressionsproblem zu haben scheint. Aber was hat er mit Roman Beresow (Jevgenij Sitochin) zu schaffen, einem schwerreichen Hotelier, der seit Langem in Verdacht steht, der Kopf der hiesigen Russenmafia zu sein?
Nicht verzagen, Lorenz fragen! Schenks wiedergefundener Freund, von der gnadenlosen Boulevardpresse als Brutalo-Cop gebrandmarkt, lässt sich nicht davon abbringen, die wahren Hintergründe aufklären zu wollen. Er recherchiert ungefragt fleißig mit und steigert sich immer weiter in seine Russenmafia-Theorie hinein, vermutet Maulwürfe und Intrigen – bis er nur noch aneckt und mit seinen Alleingängen das Kölner Team vor eine Zerreißprobe stellt. "Der Lorenz ist schwierig, ich weiß, aber er hat tausendmal mehr Feuer als du", schmettert Schenk(i) dem skeptischen Ballauf ins Gesicht. Lässt sich so was bei Currywurst und Bier noch kitten?
Der "Tatort" hat immer wieder traurige Gestalten, Verlierer und gebrochene Charaktere porträtiert. Aber so gut wie nie waren diese Figuren in den Reihen der Polizei zu finden. Schon deshalb ist dieser Frank Lorenz, mit dessen Existenz man sich als Zuschauer beinahe zwangsläufig auseinanderzusetzen beginnt, eine Rarität. Wie kann es sein, dass er nach 40 Jahren immer noch Streife fährt und in augenscheinlich ziemlich prekären Verhältnissen lebt? Warum ist der Mann so traurig und verbittert? Und so wütend, so aufbrausend und manchmal so schäumend, wie ein Jürgen Klopp am Spielfeldrand? Was stimmt mit ihm nicht?
Verraten sei nur so viel: "Ach, du Scheiße", stöhnt der leichenblasse Freddy Schenk, als er am Ende der Wahrheit ins Gesicht sieht. So funktioniert der "Tatort: Weiter, immer weiter" (Buch: Jan Martin Scharf und Arne Nolting) weniger als Krimi denn als hochemotionales Psychostück: "Weiter, immer weiter" beschreibt einen Menschen, der schon lange in der Sackgasse steckt, eine Ballade auf eine grandios gescheiterte Existenz. Wahrscheinlich kennen wir ja alle einen Lorenz – oder einen Freddy Schenk, je nachdem.