In Ludwigshafen wird ein streitbarer "Rock gegen Rechts"-Konzertveranstalter erschossen. Die Neonazi-Szene hatte ihn im Visier. Kaum haben die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) mit ihren Ermittlungen begonnen, steht der Verfassungsschutz vor der Tür.
Den Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) bleibt auch keine Systemkrise erspart. Kaum haben sie in ihrer Weihnachtsfolge "Unter Wölfen" den Rechtsstaat vor der Übernahme durch die Türsteher-Szene bewahrt, kommen die Nazis in Spiel. "Revenge 88" heißt nicht nur eine belgische Punkrockband aus den 80-ern, sondern auch jene fiktive rechte Terrorzelle, deren im "Tatort" sichtbare Mitglieder das Nazi-Pärchen Ludger Reents (Daniel Noël Fleischmann) und Hedwig Jörges (Anne-Marie Lux) bilden. Sie haben es auf den langhaarig-linken Konzertveranstalter Tillmann Meinecke abgesehen. Dessen Schauspieler (Tom Sommerlatte) darf im "Tatort" konsequenterweise auch nur einen Satz von sich geben: "Hey Alingi, spiele Indie-Musik!". Adressat des Wunsches zum letzten morgendlichen Kaffee ist sein Alexa-ähnlicher Sprachassistent, der beim ARD-"Tatort" natürlich nicht Alexa heißen darf. Wenig später wird Meinecke am Rheinufer während eines Jogging-Laufs erschossen.
Als sie zum Tatort gerufen wird, macht sich Lena Odenthal schwere Vorwürfe. Meinecke hatte mehrfach um Polizeischutz gebeten, weil er von den Rechten bedroht wurde. Doch sein Begehr, das über Odenthals Schreibtisch ging, wurde abgelehnt. Als sich Meineckes Freundin, die Studentin Maria (Anna Herrmann), gerade aus dem Bett schält, ist sie verwundert über das laute Polizeisirenengeheul in der Stadt. Noch weiß sie nichts vom Tod ihres sportlichen Freundes.
Derweil läuft eine Großfahndung nach den "Revenge 88"-Terroristen – und das nervöse Pärchen Reents und Jörges geht ihr auch tatsächlich ins Netz. Allerdings erschießt Reents dabei eine Polizistin. Er wird verhaftet, während seine Freundin zu Fuß fliehen kann. Bei der Vernehmung gibt der Rechtsterrorist zu, den Mord an Meinecke für diesen Morgen geplant zu haben. Allerdings habe er den verhassten Links-Aktivisten bereits erschossen am Rheinufer vorgefunden. Der Verfassungsschutz in Person des arroganten Ermittlers Thomas Leonhardt (Oliver Stritzel) schaltet sich ein.
Seit im Rahmen der NSU-Morde unfassbare Querverbindungen zwischen Verfassungsschutzorganen, verdeckten Ermittlern und rechter Szene offenkundig wurden, beflügelt die fehlende Trennschärfe zwischen Staatsschutz und rechtem Terror auch die Fantasie von Filmschaffenden. Die ambitionierte NSU-Filmtrilogie der ARD widmete dem Thema eine Folge ("Mitten in Deutschland: NSU – Die Ermittler: Nur für den Dienstgebrauch", 2016). Arthaus-Regisseur Jan Bonny schuf 2018 den komplexen Matthias Brandt-Polizeiruf "Das Gespenst der Freiheit". Im neuen Ludwigshafener "Tatort" wird das Thema nun auf Einsteiger-Niveau heruntergebrochen – mit vielen Erklär-Bär-Drehbuchsätzen und der These, dass es die Nazis vielleicht gar nicht gewesen sind.
Letztere Möglichkeit gefällt der aufrecht linksliberalen Lena Odenthal keineswegs. Weil sie die Nazis, zumal Polizistenmörder, natürlich drankriegen will. Doch wo es Stoff für Zwiespalt und moralische Abgründe der Ermittlerin gegeben hätte, bleiben Drehbuch und Regie des Ludwigshafener Stammregisseurs Tom Bohn an der Krimi-Oberfläche. Odenthal und Stern durchleuchten den Charakter des Toten, treffen dabei dessen Ex-Partner Takke (Sebastian Fräsdorf) und dessen gut situierte Schwiegermutter in spe (Valerie Niehaus). Sogar für einen Gastauftritt (überzeugend!) des Musikers Clueso ist Zeit, schließlich spielt das Ganze in der Musikszene. Was dem arg konventionell gestrickten "Tatort" jedoch gänzlich abgeht, ist die spannende Vertiefung eines seiner Themen.
Einmal versucht es der Film, als sich die Freundin des Toten und jene des mutmaßlichen Nazi-Täters während einer durchstreunten, ruhelosen Nacht in Ludwigshafen zufällig kennenlernen – ohne die wahre Identität der anderen zu erahnen. Zwei junge Frauen in der Nacht, die das Potenzial hätten, Freundinnen zu werden. An dieser Stelle fängt der "Tatort" wenigstens ein bisschen zu träumen an, gut so.
Insgesamt bleibt nach 90 Minuten – inklusive durchschaubarer Auflösung – ein sehr schales Krimigefühl zurück. "Hetzjagd", übrigens nicht zu verwechseln mit einem WDR-"Tatort" namens "Herzjagd" von 1980 (mit dem einzigen Fall Willy Semmelrogges als Kommissar Kreutzer als Urlaubsvertretung Kommissar Haferkamps, gespielt von Hansjörg Felmy), ist leider einer der schwächsten Filme aus dem Ludwigshafener Revier der letzten Jahre. Dass Krimi hier noch eher traditionell gedacht wird, wenn nicht gerade Impro-Zeit mit Filmemacher Axel Ranisch ("Tatort: Babbeldasch") angesagt ist, sollte niemand kritisieren. Gut gemachte konventionelle Ludwigshafen-"Tatorte" mit inhaltlichen Ambitionen, wie zuletzt "Unter Wölfen", "Leonessa" oder "Maleficius", haben einen eigenen Unterhaltungswert. "Hetzjagd" ist in Sachen Plot und Charakterentwicklung allerdings ein Krimi, der das Vorabendniveau kaum übertrifft. Ob das ZDF wohl noch Platz für eine SOKO Ludwigshafen frei hätte?
Tatort: Hetzjagd – So. 14.02. – ARD: 20.15 Uhr