Dem lange angekündigten Abschied der Bremer "Ermittler" Sabine Postel und Oliver Mommsen folgt der lange angekündigte Einstieg der Nachfolger Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram und "Game of Thrones"-Schauspieler Dar Salim. Deren erster Fall lässt ein ungewöhnliches Trio von der Krimi-Leine.
Dreimal ist Bremer Recht – sagt ein altes Sprichwort. Es meint, dass man in der liberalen Hansestadt schon immer stolz darauf war, den Menschen nicht nur eine zweite, sondern gar eine dritte Chance zu geben. Dass mit den jungen Schauspielerinnen Jasna Fritzi Bauer (32) und Luise Wolfram (33), sowie dem Dänen Dar Salim (43) nun gleich drei neue Ermittler in Bremen starten, soll aber hoffentlich nicht bedeuten, dass nur einer aus diesem Trio als Sympathieträger zünden soll, quasi wie bei einem Casting.
Auf die Idee, dass hier ausprobiert werden soll, könnte man fast kommen, wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich das den Ewig-Kommissaren Sabine Postel und Oliver Mommsen folgende Personal ist: Luise Wolfram wurde als leicht autistische, dem Zynismus zugetane Sonderling-Ermittlerin bereits früher eingeführt. Ihre Figur Linda Selb hatte mal was mit Vorgänger Stedefreund (Ingo Mommsen). Dazu kommen die hochengagierte Frischlings-Kommissarin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer), die sich in der ersten Folge überhaupt erst auf den neuen Job vorstellt sowie der melancholisch coole Exil-Däne Mads Andersen (Dar Salim), der sich gerade für immer nach Kopenhagen verabschieden will. Also noch einmal: Eine Ermittlerin stellt sich vor, der andere will gerade gehen und eine dritte klopft dazu zynische Sprüche. Wie sollen ausgerechnet diese drei zueinander finden?
Sie müssen, lautet die Drehbuch-Antwort, denn in Bremen ist kriminalistisch einiges los: Kurz nach der Geburt wird das Baby von Sophie Völkers (Morgane Ferru) aus der Klinik entführt. Viele Beamte sind an der Suche beteiligt, die Kapazitäten der Polizei nahezu ausgeschöpft. Gleichzeitig hat sich ein junger Mann vom Turm eines verlassenen Industriebaus in den Tod gestürzt. Er stellt sich als stadtbekannter Drogendealer heraus. Über die Clique des Opfers ergeben sich Verbindungen und Verdächtigungen in Richtung einer Bremer Sozialbau-Siedlung der Abgehängten und Enttäuschten. Darunter der trinkende Ex-Fußballprofi Rudi Stiehler (André Szymanski) und dessen Tochter Jessica (Johanna Polley), die ebenfalls gerade ein Kind bekommen hat.
Kaum jemand hat so lange und für so viele "Tatort"-Reviere Drehbücher geschrieben, wie der 1958 geborene Christian Jeltsch ("Die verlorene Tochter"). Seit 1997 denkt sich der Kölner Autor für fast alle Ermittlungs-Standorte in Deutschland Geschichten aus, auch für Bremen. Die neue Erzählung des "Tatort"-Routiniers (Regie: Barbara Kulcsar, "Tatort: Rebland") hat nun einiges leisten: Zwei Kriminalfälle sollen verfolgt, dazu drei Ermittler eingeführt werden. Vor allem sind es drei Ermittler, die von der Anlage ihrer Figuren her eigentlich nichts miteinander zu tun haben dürften. Dass ausgerechnet sie die Lösung gemeinsam finden sollen, ist ebenso unwahrscheinlich, wie der erste Fall des Bremer Trios – man kann es sich schon denken – überhaupt ein wenig konstruiert daherkommt.
Dass man der verschwurbelten Geschichte trotzdem gerne zusieht, liegt daran, wie die drei Schauspieler ihre Parts – und explizit auch ihr gemeinsames Spiel – mit Verve ausfüllen: Hier wird sowohl verbal wie auch emotional miteinander gerungen. Die Punchlines sitzen und überhaupt sind die neuen Ermittler auf fast schon anarchische Weise skurril: Moormann, die humoristisch unsichere, mit sich selbst kämpfende Kindfrau. Selb, die haarscharf an der Parodie vorbeischrammende Kriminaltechniker-Autistin. Und Andersen, der smarte Däne mit Undercover-Geheimnis. Die drei bieten so viel Geschichten-Potenzial, dass man beim neuen Bremer "Tatort"-Welt aufpassen werden muss, den Fällen selbst genug Raum zum Atmen zu lassen.
Dass man bei Radio Bremen viel Gehirnschmalz und Liebe in diese Ermittlerfiguren investiert hat, bewies schon die vorab gesendete Making-of-Mockumentary "How to Tatort", die noch in der ARD-Mediathek zu finden ist. Auch in dieser Mini-"Tatort"-Comedy da war es so, dass Charakter und Beziehung alles, die Geschichte selbst jedoch nur Vehikel war. In der Parodie ist das okay, beim "Tatort" selbst sollte es – zumindest auf Dauer – nicht so sein.
Tatort: Neugeboren – Mo. 24.05. – ARD: 20.15 Uhr