In München wird's besinnlich: Am zweiten Weihnachtsfeiertag bescheren die "Tatort"-Kommissare Leitmayr und Batic den Zuschauern einen nicht immer ganz friedlichen, aber herrlich harmlosen Festtagskrimi.
Gewissermaßen ist "Mord unter Misteln" ein Krimi ohne Verbrechen, ohne Leiche, ohne Täter. Was befremdlich klingt, ist bei genauer Betrachtung ein charmantes Geschenk der Macher, die dem ARD-Publikum nach dem Vorweihnachtsstress der vergangenen Wochen ein wenig Balsam für die Seele spendieren: So ungefährlich, wie der festliche Film von Robert Löhr (Buch) und Jobst Christian Oetzmann (Regie) daherkommt, war der "Tatort" wohl noch selten.
Ihren 90. Fall lösen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nämlich nicht auf den Straßen Münchens, sondern an Kallis (Ferdinand Hofer) Esstisch. "Habt ihr Fasching vorgezogen?", fragt Leitmayr völlig zu Recht, als er gemeinsam mit Batic die Küche des jungen Kommissars Hammermann betritt und dort auf sechs verkleidete Kolleginnen und Kollegen trifft. "Krimidinner!", erklärt der freudestrahlende Kalli. "Alles 'strictly British' heute Abend."
Es bedarf Überzeugungsarbeit, bis sich das Graue Herren-Duo dazu herablässt, der Runde als "Chief Inspector Lightmyer" und "Constable Partridge" beizuwohnen – vor allem, weil der Haussegen zwischen den Ermittlern mächtig schief hängt. Das liegt erstens an Batic, der sich beim Kommissariat über die bloße Eventualität des Ruhestands erkundigt hat, und zweitens an Leitmayr, der gekränkt ist, weil dies hinter seinem Rücken geschehen ist. Kurzum: Es wird gegrantelt, was das Zeug hält. Dass weder Batic noch Leitmayr in den Sinn kommt, sich tatsächlich auszusprechen ("So weit kommt's noch!"), ist der Sache freilich nicht zuträglich.
Ein Glück, dass auf Kallis Drängen hin alsbald Mr. Francis Lightmyer und Mr. Ivor Partridge an die Stelle der bayerischen Ermittler treten. Die sind sich zwar ebenfalls nicht ganz grün, haben im England der 20er-Jahre aber Besseres zu tun, als sich wegen emotionaler Befindlichkeiten zu zanken. Denn in Beckford Hall – dem prunkvollen Anwesen, das als ausgedachte Kulisse für das Krimidinner dient – hat sich ein Mord zugetragen: Arthur (Christoph Mory), der Butler, liegt tot auf dem Orientteppich. Glaubt man den Bewohnern und Besuchern des Hauses, rief er "Gift! Gift!", bevor er zusammenbrach – ein Hinweis, der den Kommissaren bei der Sichtung der Leiche Kopfzerbrechen bereitet. Denn: Arthur scheint nicht vergiftet, sondern erstickt worden zu sein.
Angesichts derart widersprüchlicher Indizien gehen Lightmyer und Partridge selbstverständlich unverzüglich zum Verhör über. Befragt werden die sechs Personen, die sich zum Zeitpunkt des Todes im Haus befanden: Lady Mona Bantam (Sunnyi Melles als Simone), ihr Sohn Charlie (Ferdinand Hofer als Kalli), Sängerin Kitty (Katharina Schlothauer als Katrin), Reverend Edgar Teal (Joshua Jaco Seelenbinder als Till), Zimmermädchen Heather (Marie Ratscheck als Heidi) und Dr. Mallard (Alexander Hörbe als Martin). Sie alle stehen unter Verdacht, den Butler um die Ecke gebracht zu haben. Motive gibt es zuhauf, alle Anwesenden könnten den Mord begangen haben.
So spannend das im besten Sinne überkandidelte Weihnachts-Whodunit auch sein mag: Es ist nicht verkehrt, dass den Zuschauerinnen und Zuschauern immer wieder eine kleine Verschnaufpause vom, Zitat Dr. Mallard, "holzgetäfelten Feudalismus-Panoptikum" gegönnt wird. Zurück im Hause Hammermann gesteht Batic, der "eigentlich keine Krimis" schaut ("höchstens mal den Tatort"), sich mittlerweile "eher wie Miss Marple statt Sherlock Holmes" zu fühlen. Leider ist es abermals nicht Leitmayr, dem Batic sein Herz ausschüttet, und so müssen die Gäste der Dinner-Runde die Feindseligkeit der Kommissare noch ein wenig länger ertragen.
Zur Versöhnung kommt es erst, als nach langem Hin und Her doch noch ein Schuldiger ausfindig gemacht werden kann. Des Rätsels Lösung liegt – ganz im Sinne der Besinnlichkeit – darin, zusammenzuarbeiten. Wen Chief Inspector Lightmyer und Constable Partridge dabei als Täter entlarven, erscheint angesichts der wiederhergestellten Harmonie beinahe nebensächlich. So entpuppt sich "Mord unter Misteln" schlussendlich als Liebesgeschichte zwischen Leitmayr und Batic, die sich einig sind, "doch nicht einfach irgendwelche Kollegen" zu sein – und sich abschließend sogar zu einem liebevollen Schulterklopfen hinreißen lassen. Ende gut, alles gut – so wie es sich zu Weihnachten gehört.
Tatort: Mord unter Misteln – Mo. 26.12. – ARD: 20.15 Uhr