Die junge Physikerin Gwen und der Luftikus Adam sind ein ungleiches Paar, doch sie lieben sich. Als Adam eine offene Beziehung vorschlägt, lässt sich Gwen darauf ein. Schon bald finden sich beide in einem ungeahnten Gefühlschaos wieder, das ihnen einiges über sich, ihre Beziehung und ihre Bedürfnisse offenbart.
Im vergangenen Jahr feierte die ZDF-Sendereihe "Das kleine Fernsehspiel" ihren 60. Geburtstag. Seit jeher ist es ihr Ziel, Nachwuchs-Regisseure, -Schauspieler, -Drehbuchautoren und -Produzenten zu fördern. Eine der jüngsten Produktionen ist nun zur späteren Primetime beim koproduzierenden Sender ARTE als TV-Premiere zu sehen: "Was du von mir sehen kannst" ist das Spielfilmdebüt der 31-jährigen Drehbuchautorin und Regisseurin Isabelle Caps-Kuhn und gleichzeitig ihr Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg.
Im Zentrum des Dramas steht das junge Paar Gwen (Sina Genschel) und Adam (Julius Nitschkoff, "Gestern waren wir noch Kinder"). Im Gegensatz zu ihrem Freund hat Gwen ein festes Ziel vor Augen: Sie hat kürzlich in Sydney, wo sie und der weltreisende Adam sich kennenlernten, ihr Studium in Astrophysik abgeschlossen und wartet nun auf die Zulassung zum Promotionsstudium in Paris. Adam würde dort gerne Fotografie studieren, doch der Luftikus hat schon diverse Ausbildungen abgebrochen, wer weiß also, was kommt. Im Moment jedenfalls hängen er und Gwen in Adams Heimatstädtchen fest, wo sie bei seinem Bruder Paul (Jannik Mühlenweg) und dessen Freundin Nina (Iman Tekle) unterkommen, die in einer offenen Beziehung leben.
"Jeder Mensch, dem wir nahe kommen, hat eine andere Perspektive auf uns. Und durch diese neuen Perspektive können wir uns selbst auch wieder neu entdecken", erklärt Nina Gwen. "Ich liebe Paul, und er weiß das, und er liebt mich, und ich weiß es. Also warum sollen wir uns nicht mal die Möglichkeit geben, auch mal anderen Menschen nahe zu sein?", fragt sie. "Ja, stimmt", erwidert Gwen, doch so sicher scheint sie sich nicht zu sein. Sie sucht das Gespräch mit Adam, der vorschlägt, es vielleicht einfach mal selbst auszuprobieren, um sich ein Urteil erlauben zu können. Man müsse es ja nicht darauf anlegen, aber "wenn sich's halt mal ergeben sollte, dann wär's halt auch okay, wenn wir mal was mit jemand anderem haben", schlägt Adam vor. "Das würde doch nichts ändern, oder?"
Überzeugt klingt Gwen nicht, als sie einwilligt. Doch sie nimmt sich vor, nicht eifersüchtig zu sein. Aber kann man Gefühle einfach so rational an- und abschalten? Natürlich nicht. Sind die Liebe, die noch frische Beziehung und das Vertrauen des Paares stark für das Experiment? Das zeigt sich schnell. Denn als Adam eine Affäre mit der Französin Hélène (Ness Kalfon) beginnt, nimmt Gwens Gefühlschaos seinen Lauf, die Eifersucht quält sie. Verletzt lässt auch sie sich auf eine Bettgeschichte mit dem Studenten Sebastian (Paul Ahrens) ein.
Als Adam das erfährt, droht die große Liebe des Paares zu zerbrechen. Auch er ist wohl nicht so offen für das Offene, wie gedacht. Erst jetzt merken beide, was sie in ihrer Beziehung brauchen und sich wünschen. Und Gwen, die, anders als Adam, keine liebende Familie im Rücken hat, muss sich fragen: War es überhaupt Eifersucht, die sie wegen Adams Affäre so quälte?
Die Geschichte von Gwen und Adam erinnert an die von Freddy und Zeno in der Serie "30 Tage Lust", die seit Ende Oktober in der ARD Mediathek abrufbar ist. Da wagt ebenfalls ein junges Paar das Experiment "Offene Beziehung". Im Gegensatz zu der teils schnellen, bunten Dramedy schrieb und inszenierte Isabelle Caps-Kuhn ihren ersten Spielfilm "Was du von mir sehen kannst" sehr ruhig, mit Bedacht und viel Sympathie insbesondere für ihre Protagonistin Gwen, deren innere und äußere Konflikte Sina Genschel ausdrucksstark und überzeugend transportiert.
Dass die Autorin und Regisseurin auch schriller und lauter kann, lässt sich in der ZDF-Weihnachtskomödie "Zitronenherzen" erleben, an der Isabelle Caps-Kuhn als Ko-Autorin beteiligt war. Darin landet die Protagonistin, eine ausgemachte Realistin, unfreiwillig in der Handlung eines kitschigen Groschenromans. Der witzige Film mit Paula Kalenberg, Diana Amft und Leslie Malton war am Montagabend zur Primetime im Zweiten zu sehen (auch in der Mediathek).
"Was du von mir sehen kannst" – Do. 19.12. – ARTE: 21.35 Uhr