Wir haben Brecht
22.03.2019 • 20:15 - 21:45 Uhr
Report, Themenabend
Lesermeinung
Hint
Filmreihe
Produktionsland
Deutschland
Produktionsdatum
2018
Report, Themenabend

Episches Fernsehen

Von Eric Leimann

Heinrich Breloer, Erfinder des Dokudramas, widmet sich mit 77 Jahren seinem Lieblingsdichter Bertolt Brecht. Ein grandioses Alterswerk.

Zugegeben, Bertolt Brecht ist derzeit nicht besonders "hip". Das bekam auch Heinrich Breloer zu spüren, der mit TV-Meilensteinen wie "Todesspiel" (1997) oder "Die Manns – Ein Jahrhundertroman" (2001) das Format Dokudrama erfand und perfektionierte. Mittlerweile ist Breloer 77 Jahre alt und schuftete etwa zehn Jahre an der Realisierung seines Alterswerkes. Die Finanziers, so hört man, standen nicht gerade Schlange. Trotzdem verschlägt einem der 180 Minuten lange Zweiteiler "Brecht", der bei ARTE jetzt in einem Rutsch ausgestrahlt wird (wie auch in der ARD am Mittwoch, 27. März, 20. 15 Uhr) den Atem.

In Film eins sieht man dem jungen Brecht (Tom Schilling) bei seinem Weg nach oben sowie bei zahlreichen Liebschaften zu. "Die Liebe dauert oder dauert nicht", heißt dieser virtuelle erste Teil, der im Kaiserreich und vor allem während der Jahre der Weimarer Republik spielt, in denen es Brecht aus dem heimischen Augsburg über München in die pulsierende Kulturmetropole Berlin zieht. Die Passagen dieses Erzählkapitels haben fast ein bisschen "Babylon Berlin"-Flair.

Nach einem weitgehenden Aussparen der Nazi-Zeit, die Brecht in unterschiedlichen Exilen verbrachte – unter anderem in den USA -, kehrt in Teil zwei ("Das Einfache, das schwer zu machen ist") der ältere Bertolt Brecht auf die Dokudrama-Bühne zurück, nun dargestellt von Burghart Klaußner ("Das weiße Band"). In seinem komplexen Porträt zeichnet Breloer das Bild eines widersprüchlichen Mannes. Überrascht dürften jene Zuschauer sein, die mit dem 1956 im Alter von 58 Jahren Verstorbenen nur einen "linken" Dichter mit Zigarre verbinden, dessen seltsam moralische Literatur man in der Schule studieren musste.

Breloer zeigt Brecht, mit dem er sich bereits in seiner Frühzeit als TV-Journalist beschäftigte – die Aufnahmen mit den damals noch lebenden Zeitzeugen sorgen für faszinierende Bilder -, als Frauenhelden und selbstbewussten, aber auch sensiblen Künstler mit großem Erfolgshunger. Brecht, der Polyamoröse, der mehrfach diverse Liebesbeziehungen gleichzeitig lebte, nimmt einen breiten Raum in Breloers Erzählung ein.

Meister der Montage

"Keiner beherrscht die Kunst der Schnittmontage so wie Heinrich Breloer, weil sie bei ihm eben nie rein illustrativ ist, sondern immer reflektierende Funktion hat", sagt ARD-Programmdirektor Volker Herres über die Qualität des Filmemachers Heinrich Breloers. Und tatsächlich, die Montage des Altmeisters, die Verknüpfung zwischen Inszeniertem, Dokumentarischem und Interviewpassagen mit Brecht-Kennern, weist eine Qualität auf, die man heute in den gegenüber Fiction meist kostengünstigen Dokuformaten nicht mehr kennt.

Wenn im zweiten Teil Brechts schwierige Beziehung zur jungen DDR zum wichtigen Thema wird, seziert Breloer Brecht sensibel zwischen kommunistischem Idealismus, persönlichen Eitelkeiten und Enttäuschungen sowie mit zunehmender Frustration über den ersten kommunistischen Staat auf deutschem Boden. Gerade in Hälfte zwei des epischen Fernsehstücks erfährt der Zuschauer eine Komplexitätsstufe im Zusammenspiel zwischen dem Dichter, seinen Anhängern, Geliebten und "dem System", die einen zusammen mit den hochwertig ausgestatteten Bilder (Edgar Reitz' "Heimat"-Kameramann Gernot Roll) in dieses Meisterwerk des biografischen Dokufernsehens hineinzieht.

Wem in "Brecht" zu wenig Theater vorkommt, obwohl man den Kultdichter schon des Öfteren bei der engagierten Inszenierung seiner Stücke zusehen kann, darf in der nachfolgenden Doku "Brecht und das Berliner Ensemble – Erinnerungen an einen Traum" (23.20 Uhr bei ARTE) tiefer in Genre und Machtart des von Brecht erfundenen "Epischen Theaters" einsteigen. Dieselbe Doku läuft auch am Abend der ARD-Ausstrahlung, dann allerdings erst nach den "Tagesthemen", um 23.40 Uhr.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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