15.04.2024 Früherer Sänger der Höhner

Henning Krautmacher: „Haben gemerkt, wie wichtig der Austausch untereinander ist“

Von Anne Richter
Henning Krautmacher setzt sich für die Organisation „yeswecan!cer“ ein.
Henning Krautmacher setzt sich für die Organisation „yeswecan!cer“ ein. Fotoquelle: IMAGO/Panama Pictures

Henning Krautmacher, früherer Frontmann der Höhner, stellt bei der „Yes!Con“ im Mai einen Song vor, mit dem er die Krebserkrankung seiner Frau Anke und ihren gemeinsamen Weg durch die Höhen und Tiefen der Krankheit und Therapie verarbeitet. Beide freuen sich auf die Gelegenheit, sich bei der Convention in Berlin mit anderen auszutauschen.

Auf einer Skala von 1 bis 11: Wie sehr vermissen Sie die Auftritte mit den Höhnern im Karneval?

Henning Krautmacher: Auf einer Skala von eins bis elf! Das finde ich gut. Wobei ich die Elf mit zwei „f“ schreiben würde. Die Bedeutung der Zahl Elf kommt ja bekanntlich aus der Zeit der französischen Besatzung im alten Coeln. „Egalité, Liberté und Fraternité“ – also Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Aber da fehlt den Kölnern natürlich noch die Fröhlichkeit – also: Egalité, Liberté, Fraternité und Festkomitee = ELFF. Insofern fehlt mir – obwohl ich nicht mehr mit den Höhnern im Karneval auftrete – nichts, denn meine Fröhlichkeit habe ich ja nicht aufgegeben. Diplomatisch geantwortet (lacht)!

Viele Fans werden sich fragen: Wie sieht Ihr Bart derzeit aus?

Der Schnäuzer ist wieder da! Ich war selber erstaunt, wie schnell mein Oberlippenbart wieder die „alte Form und Größe“ erlangt hat. Es hat nur vier Monate gedauert.

Zuletzt standen Sie gelegentlich beim Musical „Himmel und Kölle“ als Köbes auf der Bühne. Sind weitere Projekte in Planung?

Von Planung kann in meiner Situation der vergangenen 18 Monate nicht die Rede sein. Durch die Krebserkrankung meiner lieben Frau Anke konnten wir „nur auf Sichtweite fahren“ – um es bildhaft auszudrücken. Als es ihr nach abgeschlossener Chemotherapie, Bestrahlung und Reha etwas besser ging, kam die Anfrage von den Machern des Musicals. Anke hat mir dann dazu geraten, die vergleichsweise wenigen Gastauftritte im Musical anzunehmen – schließlich habe ich in den 90er-Jahren im selben Theater – nämlich in der Volksbühne am Rudolfplatz, früher Millowitsch-Theater – Hunderte von Konzerten mit den Höhnern gespielt. Es war mir also eine Ehre.

Sie sind in vielen Bereichen ehrenamtlich aktiv und setzen sich beispielsweise schon seit vielen Jahren für die DKMS ein, die sich darum bemüht, Stammzellenspender für Blutkrebspatienten zu finden. Wie kam es zu dem Engagement?

Seit dem 12. Dezember 1993, also seit mehr als dreißig Jahren, ist mir die Unterstützung der Deutschen-Knochenmark-Spenderdatei eine Herzensangelegenheit. Im Rahmen einer sogenannten Typisierungsaktion habe ich eben an diesem 12. Dezember 1993 von dem wirklich wichtigen Engagement der DKMS erfahren und habe seitdem bereits mehrere solcher Typisierungsaktionen als Schirmherr begleitet. Damals war es ein kleiner Junge, der an Leukämie erkrankt war und dringend eine sogenannte Stammzellen-Spende benötigt hat. Das Leben des Jungen konnte gerettet werden.

Ihre Frau Anke ist 2022 an Krebs erkrankt. Um für sie da zu sein, haben Sie die Höhner früher verlassen, als ursprünglich geplant. Wie geht es Ihrer Frau heute?

Den Höhnern bin ich sehr dankbar dafür, dass sie mich zwei Monate früher als geplant „freigestellt“ haben. Mein Nachfolger stand ja schon seit mehr als einem Jahr bereit und so konnte der Übergang von Henning zu Patrick problemlos vollzogen werden. Problematisch wäre es nämlich dann gewesen, wenn ich in den Monaten November (Karnevalsauftakt) und Dezember (24 anstehende Weihnachtskonzerte) täglich mit unzähligen Menschen in Kontakt gekommen wäre und möglicherweise Ankes ohnehin schon kritischen Zustand durch Viren oder Bakterien zusätzlich gefährdet hätte. Anke hat insgesamt 153 Tage in Krankenhäusern verbracht. Ich war jeden Tag an ihrer Seite und wir sind nach wie vor voller Hoffnung, dass sie den Krebs endgültig besiegt. Zurzeit genießen wir jeden Augenblick. Anke liebt das Leben und das ist auch meine Zuversicht.

Hat die Krankheit Krebs Ihren Blick auf das Leben verändert? Ihr Bruder ist vor einigen Jahren an Krebs gestorben.

Meine Mutter hat mir – mit Blick auf meinen unsteten Lebenswandel, nämlich „immer auf der Überholspur“ – unzählige Male dazu geraten „Maß zu halten“! Ruhiger zu werden! Auch mal Nein zu sagen! Erst jetzt – so glaube ich – hab‘ ich‘s verstanden. Meine Mutter ist inzwischen 97 Jahre alt. Das Ziel der sogenannten Bucketlist – also die Liste der persönlichen Wünsche und noch zu erfüllenden Träume – hat mein Bruder nicht mehr vollumfänglich erreicht. Das soll uns und mir so nicht ergehen.

Seit einiger Zeit engagieren Sie sich für „Yes we can!cer“, eine Organisation, die an Krebs erkrankte Menschen unterstützt und die Kommunikation untereinander fördern möchte. Können Sie uns erklären, worum es dabei geht?

Eine sehr gute Sache! Auf solch gute Ideen wird man aber oft erst dann aufmerksam, wenn man selber – als Betroffener oder Angehöriger – in eine Lebens-Situation gerät, die unzählige Fragen aufwirft. Jetzt freuen wir uns darauf, Anfang Mai erstmalig in Berlin dabei sein zu können, um uns mit Gleichgesinnten, ihren Angehörigen und mit Leuten vom Fach, also beispielsweise Medizinern und sogar Juristen, auszutauschen. Ja – richtig gelesen – auch juristische Fragen können bei Krebserkrankungen eine wichtige Rolle spielen.

Sie wollen zur „Yes!Con“ am 4. und 5. Mai nach Berlin fahren. Dort wird es verschiedene Vorträge rund um das Thema Krebs geben, es geht um Innovation, Information und Austausch – und Sie werden dort einen Song präsentieren. Worum geht es darin?

Als Musiker verarbeitet man jedes Thema oder Geschehnisse, die unser Leben – in welcher Form auch immer – positiv oder negativ beeinflussen, musikalisch. Ankes Krebserkrankung hat für Tränen gesorgt, körperliche und seelische Schmerzen verursacht – aber auch zu Momenten geführt, die uns noch stärker verbunden und stark gemacht haben. Wir beide haben es als „unseren Weg“ angesehen, den wir unbedingt zusammen gehen. Dabei führten der klare Blick und das Annehmen unseres Schicksals auch zu manch philosophischer Betrachtungsweise – zum guten Schluss aber auch zum „Prinzip Hoffnung“.

Wie wichtig ist der Austausch untereinander für an Krebs erkrankte Menschen und ihre Angehörigen Ihrer Erfahrung nach?

In der Zeit der Reha haben wir gemerkt, wie wichtig der Austausch von Betroffenen untereinander ist. Und zwar nicht zuletzt daran, wie wichtig es uns selber war, über die zurückliegenden Ängste, Schmerzen und Unsicherheiten zu berichten, um zu erfahren, wie andere damit umgegangen sind. Jedoch auch, um herauszufinden, wie die anderen in die Zukunft blicken.

Braucht man bei einer schweren Erkrankung im Familienumfeld Ablenkung, zum Beispiel durch Fußball? Oder wird alles nebensächlich?

In Köln sagt man: Jeder Jeck ist anders! Das bedeutet, dass Fußball nicht jedermanns Sache ist, Ablenkung jedoch unbedingt erforderlich ist. Anke und ich benutzen ein Wort aus dem Japanischen: Ikigai! Es bedeutet – frei übersetzt – das, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen, um sich auf alles, was da kommen mag freuen zu können. Deine Familie, die Kinder oder Enkel, Dein Beruf, Dein Hobby – einfach das, was Dir lieb ist.

[Redaktionsschluss der Ausgabe: 05. April]

Wie fühlt sich ihr Fußball-Herz in dieser Saison? Sie sind gebürtiger Leverkusener, das Team könnte in diesem Jahr endlich deutscher Meister werden – nie mehr Vizekusen. Gleichzeitig läuft die von Ihnen und den Höhnern geschaffene FC-Hymne bei jedem Heimspiel im Kölner Stadion. Der 1. FC Köln steckt tief im Abstiegskampf… 

Na das ist aber jetzt ein Quantensprung! Vom Krebs zum Virus Fußball. Aber gut – streng genommen ist das Phänomen Fußball ja ein Langzeit-Geschwür der Zeit. Millionen sind davon „infiziert“ und „leiden“ mit ihrem Verein, wenn eine Niederlage „ertragen“ werden muss, ein Gegentor zum Herzschmerz wird und die gute Laune vom Tabellenstand abhängig ist. Ich will die aktuelle Situation der 1. Liga mal kommentieren wie folgt: Gut, dass mal ein anderer Vereinsname als in den zurückliegenden Jahren die Tabelle anführt, und es wäre sehr schade, wenn eine der wenigen Millionenstädte in Deutschland im nächsten Jahr nicht mehr erstklassig spielen würde.

Im Sommer findet in Deutschland die Fußball-EM statt. Was prognostizieren Sie für den Turnierverlauf der Nationalmannschaft: Zeit für „Wenn nicht jetzt, wann dann“? Oder geht es schnell nach den Kollegen von den Bläck Fööss: „Kriesch doch nit“?

„tunica propior pallio“ – die Tunika ist mir näher als der Mantel – oder anders formuliert: Das Hemd ist mir näher als die Hose. Wir sind uns doch wohl alle einig darüber, dass eine EM im eigenen Land auch so etwas wie eine moralische Verpflichtung darstellt, jetzt wirklich alles zu geben, um den Titel zu bekommen. Also – klare Antwort: Wenn nicht jetzt? Wann dann?

Unabhängig vom Erfolg des deutschen Teams hat das Land die Chance, ein buntes, weltoffenes Fußballfest zu feiern. Das ist allerdings gar nicht so einfach in Zeiten von erstarkenden rechtsextremen Parteien, von Rassismus und Antisemitismus. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit der Rechtsruck gestoppt wird?

Es ist davon auszugehen, dass die EM ein weltoffenes, buntes und friedliches Sportfest sein wird. Das ist doch das Ziel! Der Gefahr, dass es zu terroristischen Zwischenfällen kommen könnte, ist nur entgegenzuwirken, indem die große Mehrheit geschlossen dafür einsteht, dass Gewalt, Rassismus und Antisemitismus bei uns keine Chance hat und wir uns nicht einschüchtern lassen. Wir sollten und werden wachsam bleiben.

Bei den Höhnern haben Sie sich 2021 während der Coronapandemie wegen seiner politischen Haltung von Gitarrist Joost Vergoossen getrennt. Wie sehr hat es Sie getroffen, diesen Schritt gehen zu müssen?

Die Gründe, warum es zu dieser Entwicklung gekommen ist, konnten wir mangels sachlichen Austausches zwischen der Band und ihrem damaligen Gitarristen nicht abschließend herausfinden. Fakt ist und war, dass sich die Höhner als langjährige Mitglieder der AG Arsch huh – gegen jede Form von Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus – und Kämpfer für ein friedliches Miteinander in einer demokratischen Gemeinschaft, auf gar keinen Fall auf die ideologische Seite begeben konnten, mit der wir uns damals konfrontiert gesehen haben. Wir hätten uns das – weiß Gott – anders gewünscht.

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