Dritte Staffel in der ARD

"Charité": Zwischen Weltgeschichte und Klinik-Soap

von Eric Leimann

In der dritten Staffel bringt die ARD-Serie "Charité" die Zuschauer zurück ins Jahr 1961, das Jahr des Mauerbaus. Nina Gummich, Nina Kunzendorf, Uwe Ochsenknecht und Philipp Hochmair spielen diesmal die Hauptrollen.

ARD
Charité
Serie • 12.01.2021 • 20:15 Uhr

Es war von Anfang an so konzipiert – noch vor dem Erfolg von Staffel eins als erfolgreichster Serie des deutschen Fernsehens seit Urzeiten: Charité sollte keine Serie werden, in denen vertraute Charaktere immer weiter erzählt werden, solange die Quoten sie eben tragen. Nein, mit jeder Staffel wird ein neues Kapitel am vielleicht berühmtesten deutschen Krankenhaus aufgeschlagen. Mit frischen Charakteren, Autoren und Regisseuren. Nachdem Staffel eins (2017) im Dreikaiserjahr 1888 spielte, hüpfte die Handlung mit Staffel zwei (2019) in die Regentschaft der Nazis und des Zweiten Weltkriegs. Nun steht wieder ein neues "System" an, mit dem sich die Mediziner und Patienten der Charité auseinandersetzen müssen. Staffel drei spielt 1961 in der DDR, die Handlung beginnt kurz vor Beginn des Mauerbaus.

Die junge Ärztin Ella Wendt (Nina Gummich) kommt aus der Provinz neu an die Charité. Das Krankenhaus steht vor großen Problemen, da es immer mehr Ärzte und Pflegepersonal kurzfristig in den Westen zieht. Ella hofft, am neuen Arbeitsplatz ihre Forschung zur Krebsfrüherkennung voranzubringen – und sucht den Kontakt zu Professor Otto Prokop (Philipp Hochmair), der einen herausragenden Ruf als Serologe genießt. Prokop jedoch interessiert sich vor allem für Gerichtsmedizin, weshalb regelmäßig DDR-Kriminaler vor seiner Tür stehen, um ihn um Hilfe bei ihren Mordfällen zu bitten. Ella kann nur nach Feierabend forschen, denn die Arbeit auf der Inneren Station fordert sie. Doch was wäre eine Klinik-Serie ohne Liebe? Ella lässt sich zunehmend auf den Chirurgen Curt Bruncken (Franz Hartwig, "Der Pass") ein, der sie mit seinem Freiheitsdrang und seiner rebellischen Art fasziniert ...

Der fiktiven Ella und dem echten Otto Prokop stehen weitere Charaktere zur Seite, die nach bekannter Charité-Manier einen MIx aus erfundenen und historisch verbürgten Charakteren darstellen. Tatsächlich am Berliner Vorzeige-Krankenhaus arbeitete beispielsweise die Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf) – eine Idealistin und überzeugte Anhängerin der sozialistischen Idee. Rapoport entwickelte als Spezialistin der Säuglingsmedizin einen visionären Ansatz, um die Sterblichkeit ihrer kleinen Patienten zu senken. Doch damit eckt sie immer wieder bei dem konservativ denkenden Gynäkologen Prof. Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) an. Auch ihn gab es wirklich.

Gleich die erste Folge macht mit einer interessanten medizinhistorischen Geschichte auf, die vielen Laien unbekannt sein dürfte: Auf die Station von Ingeborg Rapoport wird ein Junge aus dem Westsektor der Stadt mit Symptomen der Kinderlähmung eingeliefert. Die Seuche hat im Westen bereits tausende Leben gekostet, während man in der DDR mit Erfolg auf einen sowjetischen Impfstoff vertraut. Als die Lungenfunktion des Jungen kollabiert, muss Rapoport ihn in die "Eiserne Lunge" legen, in der Hoffnung, sein Leben noch retten zu können.

Die Drehbücher der sechs neuen Folgen hat Stefan Dähnert ("Tatort: Die Pfalz von oben") geschrieben, Christine Hartmann ("Club der einsamen Herzen") führte Regie. Das Erste zeigt ihre Arbeit in sechsmal 45 Minuten als Doppelfolgen immer dienstags, ab 20.15 Uhr, – oder vorab in der ARD-Mediathek ab 5. Januar. Ästhetisch kann man das Erfolgsprodukt des Ersten irgendwo zwischen klassischer Familienunterhaltung und anspruchsvollem Serienfernsehen einordnen. Erzählt wird horizontal, aber in ruhigen Bildern mit konventioneller Handlungsführung. Ein bisschen Medizingeschichte, ein paar Patienten und Ärzte, mit denen man mitleidet, dazu die Verwerfungen der sich überschlagenden Ereignisse vor den Klinikfenstern. Durch die Lage der Charité exakt im Grenzgebiet zwischen DDR und BRD gingen die neuen befestigten "Landesgrenzen" nach dem Mauerbau absurderweise für kurze Zeit durch das Klinikgelände selbst hindurch.

Zwei spannende Frauenfiguren

Während die bislang erfolgreichste Staffel eins (Regie: Sönke Wortmann) von der Pracht sowie dem noch nicht so stark gestillten Publikumsinteresse für die Kaiserzeit lebte, war Staffel zwei mit sperrigeren Hauptfiguren – unter anderem Ulrich Noethen als strittigem Starchirurgen Ferdinand Sauerbruch – immer noch sehr gut, aber nicht überragend eingeschaltet. Verständlich! Wer will schon Notoperationen im Luftschutzkeller sehen, wenn er auch unschuldige Heldinnen (Alicia von Rittberg) und drei spätere Nobelpreisträger erzählt bekommen kann, so wie in Staffel eins.

Die neuen Folgen stellen nun gleich zwei Frauen mit viel Identifikationspotenzial in den Mittelpunkt. Die aufstrebende High Energy-Schauspielerin Nina Gummich ("Bablon Berlin", "Das letzte Wort") sowie die erfahrene Nina Kunzendorf sorgen in der Serie für die präzise Darstellung zweier engagierter Medizinerinnen. Mit einem Erfolg von Staffel drei könnte die Produktion einer vierten wahrscheinlich werden. Vielleicht endet das Ganze ja über den Mauerfall irgendwann bei Christian Drosten oder sogar einer Sci-Fi-Zukunftsvision für die Charité. Ob das konservative Publikum letzteres wohl noch mitmacht?

Im Anschluss an die beiden Auftaktfolgen läuft um 21.50 Uhr die Dokumentation "Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg". Darin wird die wahre Geschichte des Krankenhauses von der Stalin-Ära über den Mauerbau und die Jahre der "Koexistenz" bis zum Mauerfall 1989 erzählt. Auch über die tatsächlichen Biografien einiger Serien-Figuren lässt sich hier einiges erfahren.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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