Eckart von Hirschhausen im Interview

"Das zweite Leben beginnt, wenn man kapiert, dass man nur eines hat"

von Eric Leimann

Für eine Reportage ist Eckart von Hirschhausen ins Hospiz gezogen. Im Interview spricht er über die wichtigen Dinge des Lebens, die man von Sterbenden lernen kann. 

Eine Doku über das knapp bemessene Leben im Hospiz? Und das zur besten Sendezeit! Man muss wohl schon Eckart von Hirschhausen heißen, damit die Programmverantwortlichen der ARD einem so etwas gestatten. Dabei ist der Film "Hirschhausen im Hospiz – wie das Ende gelingen kann" (Montag, 16. September, 20.15 Uhr) tatsächlich keine Dokumentation, die einen runterzieht. Eher eine, die für die Kunst des Lebens – und eben des Sterbens – sensibilisiert. In der Folgewoche (Montag, 23. September, 20.15 Uhr) verbringt der 52-jährige Moderator, Autor, Arzt und Alleskönner noch ein paar Tage in einer Justizvollzugsanstalt ("Hirschhausen im Knast – wen wir im Leben wirklich brauchen"). Doch zuvor lebte er drei Tage in einer Villa im Ruhrgebiet, in die nur Menschen einziehen, die wissen, dass dies ihre letzte Station ist.

prisma: Die Doku "Hirschhausen im Hospiz" bringt den echten Tod in die Primetime. Mussten Sie beim Sender Überzeugungsarbeit leisten, damit man Ihnen das erlaubte?

Eckart von Hirschhausen: Die beste Überzeugungsarbeit leisteten drei Dokus dieser Art, die ich bereits für das Erste gedreht hatte. Damals war ich bei Demenzkranken im Altersheim, in einer Psychiatrie und bei den Frühchen auf einer Kinder-Intensivstation, auf der ich früher einmal als Arzt gearbeitet hatte. Die Sendung über die Demenz-Patienten erzielte an einem Montag um 20.15 Uhr zwölf Prozent Marktanteil. Das ist ein sehr guter Wert, der natürlich Rückenwind für solche Projekte gibt.

prisma: Welche Folge kam am besten an?

von Hirschhausen: Tatsächlich jene aus dem Altenheim. Die drei ersten Folgen haben sich mit dem Anfang, einer kritischen Mitte und dem Altwerden beschäftigt. Deshalb hat es mich jetzt interessiert, wie es danach weitergeht. Also – ganz am Ende des Lebens.

prisma: Das hört sich jetzt ziemlich düster an, aber Sie finden im Film über das Hospiz einen erstaunlich hellen Ton. Der Film deprimiert keineswegs. Wie schaffen Sie das?

von Hirschhausen: Das schaffe nicht ich, sondern die Leute vor der Kamera, die sich mir öffnen, erzählen und uns teilnehmen lassen. Und es gelingt auch, weil ich ein wunderbares Team habe, die sich "unsichtbar" machen können, und auch intime Gespräche und Momente sensibel einfangen ohne "draufzuhalten". Wir möchten die meist stillen Helden feiern, die an solchen Orten arbeiten. Dort, wo es keinen Blumentopf und kein Foto zu gewinnen gibt und viele nicht hinschauen möchten: Pfleger, Therapeuten, Sozialarbeiter. Viele Menschen arbeiten ehrenamtlich an solchen Orten und halten damit unsere Gesellschaft zusammen. Das wird oft vergessen. Und – bei allem Gejammer: Es gibt viele Menschen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Mediale Aufmerksamkeit bekommen oft Leute, die laut gegen etwas sind. Ich höre lieber denen zu, die wissen, wofür sie sind.

prisma: Und die Sterbenden – wie haben Sie die erlebt?

von Hirschhausen: Ich habe ja zusammen mit Tobias Esch ein Buch geschrieben, das "Die bessere Hälfte" heißt. Darin analysieren wir das Phänomen, dass die zweite Lebenshälfte für die meisten Menschen die bessere ist. Wie kann das sein, wo wir uns doch dem Tode nähern? Tatsächlich haben die meisten zwischen 45 und 75 etwa 30 gute Jahre. Trotzdem ist das Ende für die meisten hart, da will ich auch nichts beschönigen. Im Hospiz trifft man jedoch viele Menschen, die diesen schwierigen Prozess schon hinter sich haben.

prisma: Wie haben Sie sich auf Ihre Zeit im Hospiz vorbereitet?

von Hirschhausen: Ich habe mich fast gar nicht vorbereitet, aber das hat nichts mit Faulheit oder mangelndem Respekt zu tun. Es ist ein bewusster Ansatz. Ich gehe in solche Reportagen ohne Drehbuch hinein. Es gibt eine vorherige Recherche der Produktionsfirma, aber das ist nur ein Grundgerüst. Ich versuche offen und unvoreingenommen in die Drehs zu gehen, ich will den Menschen und ihrer Situation möglichst direkt und ohne Wissensfilter begegnen. Und natürlich sind diese Tage auch nicht planbar. Man weiß nicht, was binnen dreier Tage im Hospiz passiert.

prisma: Was hat Sie während der Zeit im Hospiz am meisten überrascht?

von Hirschhausen: Die Ruhe, ja zum Teil sogar eine gewisse Heiterkeit unter den Sterbenden. Am härtesten ist der Ort nicht für jene, die selbst vom Tod betroffen sind, sondern für die Angehörigen. Jene, die zurückbleiben. Ich habe aber auch ein gänzlich anderes Denken in Bezug auf Medizin und Pflege kennengelernt. Im Hospiz geht es nicht darum, auf Teufel komm raus Leben zu erhalten. Gerade für mich als Arzt, der so ausgebildet wurde, ist das eine ganz neue Erfahrung.

prisma: Können Sie den Unterschied beschreiben?

von Hirschhausen: In einem normalen Krankenhaus herrscht viel Gewusel. Alle rennen herum und versuchen, irgendetwas möglichst schnell zu tun oder jemanden zu retten. Das dreht sich an einem Ort wie dem Hospiz völlig um. Man tut ganz wenig, aber schaut ganz viel. Man begegnet Menschen in Ruhe. Unsere Hochleistungsmedizin überstrapaziert die Leute, man lässt niemanden sterben. Dabei braucht gerade das Sterben Ruhe und eine letzte, echte Begegnung. Von der Begründerin der Hospizbewegung, Cecil Saunders, stammt der Satz: "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben." Sie verstand, dass eine reine Schmerztherapie zu kurz greift, wenn sie nicht die seelischen, sozialen und spirituellen Nöte und Schmerzen mitbehandelt.

prisma: Als Gegenpol Ihres Hospiz-Besuches sieht man in Ihrem Film Reporter, die Menschen in Fußgängerzonen und anderen belebten Orten mit dem Sterben konfrontieren. Man kann in einem Sarg zur Probe liegen oder einen Letzte-Hilfe-Kurs absolvieren. Wie kam das an?

von Hirschhausen: Die Menschen waren oft irritiert, dass ihnen das Thema an ganz alltäglichen Orten begegnet. Umso komischer sind dann oft die Redaktionen. Kaum jemand von uns weiß, was am Ende des Lebens eines anderen zu tun ist. Dabei bekommen viele Sterbende noch ganz viel mit. Vor allem das Hören funktioniert oft noch erstaunlich lange, man weiß das von EEG-Ableitungen. Wie es sich anfühlt, zu sterben, weiß natürlich keiner, der noch unter uns ist. Und doch gibt es von Menschen mit Nahtod-Erfahrungen Berichte, die sich erstaunlich ähneln. Viele erzählen von einer großen Ruhe.

prisma: Haben Sie keine Verzweiflung, kein Hadern bei den Sterbenden erlebt?

von Hirschhausen: Die meisten hatten diese Phase bereits hinter sich. Wer ins Hospiz geht, weiß, dass das Kämpfen vorbei ist. Es ist natürlich ein Unterschied, ob man alt ist und sein Leben gelebt hat, oder ob man viel zu früh geht. Ich bin dort einer Frau mit einem Hirntumor begegnet, die erst Mitte 40 war. Sie sorgte sich um ihren zwölfjährigen Sohn und versuchte, für ihn noch alles zu regeln, was sie konnte. Das war natürlich extrem hart und sehr traurig. Menschen, die früh sterben müssen und dies wissen, betrauern oft das, was sie nicht erleben, was sie verpassen werden. Bei den meisten alten Hospiz-Bewohnern findet man die ein wenig absurde Situation vor, dass es die Sterbenden sind, die ihre Angehörigen trösten müssen.

prisma: Haben Ihnen die Sterbenden auch Mut für das eigene Ende gemacht?

von Hirschhausen: Ja, durchaus. Ausgerechnet die Menschen, die viel mit dem Tod zu tun haben, haben am wenigsten Angst vor ihm. Ich habe viel Liebe, Gelassenheit und Humor erlebt. Wenn mich eine Frau im Scherz hinweist, wie ich ihr zum Frühstück bitteschön ihr Brot mit aufgeschnittenen Bananen servieren möge, hat das eine Lockerheit bezüglich unserer Endlichkeit, die man in unserer Gesellschaft sonst kaum findet. Die Frage, die bleibt, lautet: Wenn das Leben endlich ist, wann fangen wir endlich an zu leben?

prisma: Haben die Sterbenden mit Ihnen eine Lebensbilanz gezogen? Gibt es dieses Bedürfnis?

von Hirschhausen: Ja, das gab es. Es ging aber weniger um eine Rückschau als um den Moment. Alle Menschen, die ich erlebt habe, waren sehr nahbar. Sie suchen den Austausch und wissen, dass sie nichts mitnehmen können. Es kommen immer dieselben Themen und Fragen hoch: Habe ich wirklich gelebt? Habe ich geliebt? Hatte ich ehrliche Beziehungen? Je mehr unerfüllte Wünsche man herumträgt, desto schwerer fällt es, zu gehen. Kein Sterbender hat gesagt: "Mensch, ich hätte mehr Zeit im Büro verbringen sollen!" Es sind immer die zwischenmenschlichen Dinge, die zählen.

prisma: Was ist den Menschen in ihrer letzten Phase wichtig?

von Hirschhausen: Auf der Top-Ten-Wunschliste der Sterbenden steht neben "keine Schmerzen"' und "'niemandem zur Last fallen"' auch immer: "Ich möchte meinen Humor nicht verlieren". Lachen gibt einem ein Gefühl von Selbstbestimmung, von Verbundenheit, von "wer zuletzt lacht".  Auch Genuss spielt eine Rolle. Wer rauchen will, darf rauchen. Es wäre ja absurd, zu sagen: "Das ist aber nicht gut für ihre Gesundheit!" Ich habe viel aus diesen Tagen mitgenommen. Woody Allen meinte: "Ich habe nichts gegen den Tod. Ich will nur nicht dabei sein, wenn es passiert." Immer ein guter Lacher. Aber inzwischen denke ich anders darüber. Jeder Mensch hat zwei Leben. Und das zweite beginnt, wenn man kapiert, dass man nur eines hat.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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