Star aus "Meeresleuchten"

Ulrich Tukur: "Unser Fernsehen wird zu Tode formatiert"

von Eric Leimann

    Im poetischen Fernsehfilm "Meeresleuchten" spielt Ulrich Tukur einen Manager, der nach dem Tode seiner Tochter zum Küsten-Einsiedler wird. Im Interview erklärt der Schauspieler, warum Trauern auch für ihn sehr wichtig ist und was passieren muss, damit uns Filme endlich wieder mehr überr aschen.

    Nicht jeder Fernsehzuschauer wird etwas mit dem Film "Meeresleuchten" (Mittwoch, 17. Februar, 20.15 Uhr, Das Erste) anfangen können. Ulrich Tukur spielt einen wohlhabenden Unternehmer, der nach dem plötzlichen Tod seiner Tochter ein Küstenhaus in der Nähe der Flugzeug-Absturzstelle bezieht. An der Ostsee lernt dieser Mann ein Ensemble seltsamer Menschen kennen. Im Interview zum Film spricht der 63-Jährige darüber, worüber er trauert und warum dieses Gefühl im Leben eines jeden Menschen, einer jeder Kultur so wichtig ist. Auch einen kleinen Ausblick auf die nächsten TV-Abenteuer seines "Tatort"-Kommissars Felix Murot gewährt Tukur. Inklusive klarer Worte zu "Antikünstlern" in den TV-Sendern, die versuchen, die Filmkunst kaputtzumachen.

    prisma: Herr Tukur, "Meeresleuchten" wirkt wie die Verfilmung eines poetischen Romans. Ein eher ungewöhnliches Fernsehstück. Woher stammt die Idee dazu?

    Ulrich Tukur: Es ist tatsächlich kein Roman, sondern ein Original-Drehbuch des Filmemachers Wolfgang Panzer. Der Absturz einer Swiss Air-Maschine vor der kanadischen Atlantikküste 1998 hat ihn zu der Geschichte inspiriert. Alle 229 Passagiere und Crew-Mitglieder kamen damals ums Leben. Er hatte als junger Reporter des Schweizer Fernsehens schon einmal über zwei Flugzeugabstürze berichtet, und die müssen für ihn sehr einprägsam gewesen sein.

    prisma: Welchen Aspekt eines solchen Unglücks beleuchtet der Film?

    Tukur: Es geht um Trauer, und wie wir Menschen es schaffen, aus dem Abgrund eines furchtbaren Verlusts wieder herauszufinden. Man kann sich im Schmerz verlieren oder man blickt nach einer angemessenen Zeit der Trauer – und die muss man sich nehmen – wieder aufs Leben, das ja weitergeht. Genau das schafft der erfolgreiche Unternehmer, den ich spiele. Er lernt, von sich selbst abzusehen und nimmt die Welt und die Menschen um sich herum zum ersten Mal richtig wahr. Der Schmerz erfährt eine Verwandlung und wird zur Quelle einer guten Energie. Das bedeutet für ihn die Möglichkeit eines radikalen Neuanfangs.

    prisma: Nun wird die Reise dieses Trauernden nicht unbedingt so dargestellt, wie im Fernsehen üblich. Der Mann wird zum Einsiedler nahe der Absturzstelle und trifft dort seltsame, ja fast poetisch wirkende Dorfbewohner ...

    Tukur: Ich wusste beim Drehbuchlesen auch nicht, ob das alles funktioniert – und kann es als Hauptdarsteller auch nur schwer beurteilen. Ich kannte Wolfgang Panzer von der Arbeit am Film "Der große Kater" mit Bruno Ganz vor zehn Jahren. Er ist ein sehr spezieller Geschichtenerzähler. Ein Urgestein, das schon seit 50 Jahren Filme macht. Mit "Broken Silence" drehte er Mitte der Neunziger ein kleines, sehr berührendes Meisterwerk. Ich mag Wolfgang, weil er dem Leben sehr zugewandt ist. Nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Gastronom, Gourmet, Mensch und Weinkenner. Außerdem war ich noch nie zuvor in Litauen, wo unser Film entstanden ist. Ich hatte immer eine stille Sehnsucht nach dem alten Ostpreußen. Wir drehten viel auf der kurischen Nehrung. Dort, wo das Sommerhaus von Thomas Mann stand.

    prisma: Passte der Drehort zur Story?

    Tukur: Ja, durchaus. Das fiktive Ostseedorf, in dem der Film spielt, ist kein realistischer Ort. In diesem Maalsund gehen die Uhren anders. Dort leben Menschen, die es in unserer nüchternen Welt gar nicht mehr gibt. Und Hans Peter Korff oder Carmen-Maja Antoni, die ja die Stimme des DDR-Sandmännchens war, sind originelle, ältere Schauspieler, die hier zu ganz großer Form auflaufen. Allein dafür hat sich der Film gelohnt.

    prisma: Ist es ein Warnsignal, wenn uns ein Film verwirrt, der keinem gängigem Erzählmuster entspricht?

    Tukur: Ich weiß nicht, ob ein Film, der verwirrt, uns auch noch warnen kann (lacht). Unser Fernsehen wird aber auf jeden Fall zu Tode formatiert. Und wenn dann etwas aus dem Rahmen fällt, sind Verwirrung und Misstrauen erst mal groß.

    prisma: Müsste es mehr Fernsehfilme geben, die uns nicht an bereits Bekanntes erinnern?

    Tukur: Natürlich, müsste es. Schon der Filmpionier Jean Cocteau legte als Aufgabe des Films und der Kunst überhaupt fest, dass sie überraschen sollten. Das passiert aber selten, ist mein Eindruck. Vielmehr hat man das Gefühl, dass alles in ein vorgebenes, starres Schema und Format gepresst wird. Dahinter stecken Antikünstler in den TV-Anstalten, die meinen, man könne und müsse so die Einschaltquoten erhöhen. Es geht nur um Quantität, nicht um Qualität. Deshalb bin ich der Spielfilmredaktion des Hessischen Rundfunks so dankbar, weil sie bei meinen Murot-"Tatorten" vor nichts zurückschrecken, außer dem idiotischen 89 Minuten-Postulat.

    prisma: Nun gibt es aber auch eine andere Haltung. Jene Fernsehmacher, die sagen, da sind Bedürfnisse, die müssen befriedigt werden. Manche betrachten es gar als öffentlich-rechtliche Pflicht, dass das Fernsehen dies tut ...

    Tukur: Da bin ich gespaltener Meinung. Natürlich haben die Menschen ein Anrecht auf Unterhaltung, sie wollen sich vor der Kiste entspannen. Aber sie haben auch ein Recht auf Bildung und darauf, hin und wieder gefordert zu werden. Auf Überraschungen, die das Hirn lebendig halten, das Leben bereichern und die Fantasie anstacheln. Wer ständig diese beliebige und zum Teil unterirdische Kost vorgesetzt bekommt, also nur Brei frisst, dem fallen irgendwann die Zähne aus.

    prisma: Welche Pläne gibt es für die Zukunft ihres "Tatort"-Kommissars?

    Tukur: Ich drehe einen nächsten mit Emily Atef im Herbst. Eine charmante, interessante Frau, die sehr gute Filme gedreht hat. "3 Tage in Quiberon" ist einer von ihnen. Sie kam mit einer Idee, die stark ins Thrillerhafte geht. Ich freue mich jetzt aufs Drehbuch. Und mit Murot höre ich dann auf, wenn wir nicht mehr überraschen, wenn die Luft raus ist, wie man so sagt, oder ich als 98-jähriger Kommissar nicht mehr glaubhaft bin.

    prisma: Welcher Murot-"Tatort" kommt als nächster?

    Tukur: Einer, den ich mit Rainer Kaufmann gedreht habe. Das Drehbuch stammt von Martin Rauhaus, der auch "Und wer nimmt den Hund?" geschrieben hat. Ich denke, er wird irgendwann Ende 2021 zu sehen sein. Es geht um die Ermordung eines Philosophie-Professors und um dessen kaputte Familie. Er ist prominent besetzt mit wunderbaren Kollegen wie Angela Winkler oder Lars Eidinger. Es geht darin auch um Familienaufstellungen mit Puppen, die auf einmal lebendig werden. Ich nehme an, so etwas hat man in einem Fernsehkrimi auch noch nicht gesehen (lacht).

    prisma: Im letzten Fall "Die Ferien des Monsieur Murot" spielten sie sich selbst und einen Doppelgänger, der jedoch einen ganz anderen Charakter hatte. Ist der "Tatort" eine persönliche Spielweise für Sie?

    Tukur: In gewissem Sinne schon. Es heißt ja auch Schauspiel – und Spielen macht Spaß, vor allem, wenn man spielen darf. Es muss aber immer der Geschichte dienen, die erzählt wird. Im Doppelgänger-Film standen meine Figuren stark im Mittelpunkt. Beim nächsten Fall mit der Philosophen-Familie bin ich eher zurückgenommen. Und das ist gut so. Der Film ist wichtig, nicht ich.

    prisma: Lassen Sie uns noch mal über das Thema Trauer sprechen, von dem "Meeresleuchten" handelt. Sind Sie jemand, der dieses Gefühl zulässt?

    Tukur: Oh ja, ich trauere fast jeden Tag um irgendetwas. Um Musik, die keiner mehr hört, Künstler, die man vergisst, Traditionen und Lebensgefühle, die verschwinden, Freunde, die sterben. Also um Dinge von großer Strahlkraft, die einmal da waren, einen Wert besaßen und auf einmal niemanden mehr interessieren. Und schlimmer noch: die niemand mehr kennt. Wir merken gerade, wie das 20. Jahrhundert, das ja erst seit 20 Jahre Geschichte ist und in dem wir groß wurden, mit der sich exponentiell entwickelnden Technologisierung unserer Lebenswelten rasend schnell verschwindet. Je schneller das Leben läuft, desto häufiger werden auch die Abschiede. Gründe traurig zu sein, gibt es also genug.

    prisma: Leiden Sie unter dieser Trauer?

    Tukur: Wenn Trauer sich nicht wieder auflöst, mündet sie in Depression oder Melancholie. Die Depression, eher ein deutsches Phänomen, ist dem Leben abträglich. Die Melancholie, wie sie zum Beispiel die portugiesische Literatur grundiert, liebt das Leben, aber leidet leise an seiner Vergänglichkeit und an der Vergeblichkeit allen Tuns. Auch die Musik des Balkans ist voller Trauer, die unvermittelt in die Feier des Lebens übergeht. Ich leide also nicht daran. Ich brauche die Trauer, um zu überleben.


    Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

    Das könnte Sie auch interessieren