Tatort am Sonntag

"Tatort": Rita im Rausch

25.01.2015, 15.48 Uhr
von Detlef Hartlap
Rita Holbeck (Elisa Schlott) und Mike Nickel (Joel Basman) im "Tatort: Borowski und der Himmer über Kiel".
BILDERGALERIE
Rita Holbeck (Elisa Schlott) und Mike Nickel (Joel Basman) im "Tatort: Borowski und der Himmer über Kiel".  Fotoquelle: NDR/Christine Schröder

Die Infusion von Crystal Meth in das deutsche Tatortgeschehen erfolgt an einem denkbar unwahrscheinlichen Schauplatz und gerät in die Hände eines Kommissars, der dafür weder geeignet noch zuständig ist.

Ob der Borowski-Tatort vom Sonntag hart an der Crystal-Meth-Realität angesiedelt ist, die angeblich auch weite Teile Deutschlands erfasst hat, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass der Film von Christian Schwochow (Regie) und Rolf Basedow (Buch) wie noch selten ein Tatort zuvor auf Reaktionen bei Facebook und Twitter schielt.

Schade eigentlich, man hätte auch einen Krimi daraus machen können. Das Thema ist ernst und verbrecherisch genug.

Die Facebookler und Twitteristen werden sich vor allem auf Rita (Elisa Schlott) stürzen, die sich unter dem Einfluss der Droge von einer Vorstadtgöre in eine Tanz- und Sexmaschine verwandelt, aufgepumpt mit Energie und im wahrsten Sinne des Wortes: außer sich.

An der schauspielerischen Leistung von Elisa Schlott gibt es nichts zu deuteln. Es gibt Momente, da ist sie derart high oder derart down, dass es dem Zuschauer wehtut, und das ist ein Zeichen von Qualität.

Animierend im Hinblick auf das Spritzen von Crystal Meth

Und natürlich wirkt dieser Film überaus animierend im Hinblick auf das Spritzen von Crystal Meth, auch wenn der in Sachen Tatort wie immer ziemlich falsch gepolte Christian Buß bei "Spiegel online" das Gegenteil behauptet. Nicht nur Mauerblümchen und sexuell zu kurz Gekommene sehen sich das an und geraten ins Träumen: So möchte ich auch mal vögeln! Stundenlang, tagelang! In besser bezahlten Businesskreisen soll Crystal Meth, wie man hört, die alte Powerquelle Kokain weitgehend verdrängt haben.

Die nachteiligen Folgen – Spießers Rache sozusagen – werden im Angesicht der Möglichkeiten, die sich da auftun und die dieser Film in ein ekstatisches Licht taucht, ausgeblendet.

Facebookler und Twitteristen werden sich zweitens darüber beömmeln, dass Mundsforde nicht nur ein Dorf "hoch oben im Norden", sondern auch völlig high ist. Die einem Detlev-Buck-Film entsprungenen und zum Kotzen klischeehaft vorgestellten Mundsforder produzieren, bunkern und konsumieren das Teufelszeug nicht nur, sie lassen auch zufällig vorbeischauende Kieler Kommissare (in der Gegend wurde ein herrenloser menschlicher Kopf gefunden) wissen, dass sie ziemlich hinüber sind und das nicht nur, weil ihre Bierpullen ein paarmal zu oft "fump" gemacht haben.

Völlig losgelöste Trecker

Trecker fahren völlig losgelöst im Kreise, das Landei von einem Dorfpolizisten weiß sich nicht anders zu helfen als beim Drogenspiel mitzumachen, ein Bauer nutzt die Hauptstraße als Cross-Country-Strecke, Sturz inbegriffen, und selbst wer nur bei dröhnender Beschallung im Stall vor sich hin werkelt, kriegt plötzlich den Rappel, weil er den Kopp voller Crystal Meth hat.

Für einen Film, der hart an der Wirklichkeit gebaut zu haben vorgibt, ist das ein bisschen viel Landlust auf einen Streich.

Und nicht nur das. Die Figur des Kommissar Borowski (Axel Milberg) bleibt in Kritiken erstaunlich unhinterfragt. Der Typ ist eine Zumutung. Von Internet und anderen Ermittlungshilfen des 21. Jahrhunderts hat er keine Ahnung; Filmaufnahmen einer dänischen Kollegin muss er sich in Dänemark persönlich abholen, denn vor Borowski versagt jede zeitgemäße Nachrichtenübermittlung.

Die Basisarbeit erledigt stets seine emsige Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), die dem Meister nachsichtig die Bälle zuwirft und sich beschimpfen lassen muss, wenn sie seiner Meinung nach etwas falsch gemacht hat und zum Beispiel beim Observieren von Dealern ("Stoßstangenobservation" heißt das, wie wir erfahren) zu schnell vorgeprescht ist.

Borowskis Schusseligkeit zeugt von Mangel an Drehbuch-Fantasie

Wäre das alles nur Schrulligkeit eines aus der Zeit gefallenen Kripobeamten und konsequent als solche inszeniert, es ginge vielleicht in Ordnung. Aber Borowskis Defizite dienen vor allem einer künstlichen Spannungssteigerung. Sie geben ihm Anlass, auf Sarah Brandt loszupoltern oder mutterseelenallein durch nächtliches Sumpfland zu stolpern, wo selbst ein Einzelgänger wie Maigret die Kollegen angefordert hätte. Borowskis Schusseligkeit zeugt von Mangel an Drehbuch-Fantasie, sie macht aus einer Story, die Besseres verdient hätte, einen Fall für Kommissar Zufall.

Die beiden Dealer, die dem Kieler Jungvolk auf die Sprünge helfen (über eine nennenswerte Drogenfahndung scheint man dort nicht zu verfügen, andernfalls wäre Borowski auch nicht so oft im Bild) schnappen sich Rita, weil sie mit der Polizei kooperiert, auf offener Straße, fahren mit ihr ans Meer und machen sich nacheinander über sie her. Wie gesagt, dieser Film schielt auf Facebook und Twitter und lässt auch Otto Normalzuschauer mit Szenen, die über die gebotene Andeutung hinausgehen, nicht unversorgt.

Rita kann trotzdem nicht lassen von dem Zeug. Als sie eines Morgens nach durchtanzter Nacht und noch meilenweit oben im Kieler Himmel ihrer Schwester zu Hause um den Hals fällt, sieht man für einen Moment das Elend der verzweifelten Schwester, die wohl nicht zum ersten Mal um eine Hoffnung ärmer geworden ist.

Hochspekulativ und teils schlampig

Es ist dies die ehrlichste Szene in einem Film, der das Siegel guter Recherche trägt und doch hochspekulativ und teils schlampig wirkt. Bestes Futter also für Facebook und Twitter.

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