
Ein höchst widersprüchlicher Film, dieser "Tatort: Im gelobten Land" aus Stuttgart. Er könnte von enormer Tragik sein, versandet aber an vielen Stellen im Lächerlichen.
Er könnte spannend sein, doch gibt es absolut keine Wendung, die überraschen würde.
Er könnte sich um ein ergreifendes Flüchtlings-Drama handeln, aber dann trauen sich Buch und Regie (Christian Jeltsch, Züli Aladag) doch nur an die Oberfläche, statt dahin zu gehen, wo's der deutschen Voreingenommenheit gegenüber Flüchtlingen (zu schweigen vom deutschen Hass) richtig wehtäte.
Der Film könnte das Mordsgeschäft der Schleuserei von Vertriebenen aus Afrika und dem Nahen Osten bloßstellen, aber er hakt sich fest bei einem Gangster am Rande des Nervenzusammenbruchs (Sascha Alexander Gersak) und seiner kaltschnäuzigen Schwester (Edita Malovcic) und lässt die Hintermänner in B-Movie-Manier aus dem Off raunen: "Was sagt Ankara?"
Tatort-Produktionen tun oft so, als gäbe es keine Historie von großartigen Gangster- und Bandenfilmen, von verzweifelten Fluchten und zerschossener Hoffnung. Tatort-Produktionen tun oft so, als sei das deutsche Publikum von der Filmgeschichte unbeleckt und müsse, wo's in der Realität hart und erbärmlich zugeht, schonend behandelt werden.
Das vorausgeschickt, gehört dieser Tatort zu den besseren, die wir in den letzten Jahren aus Stuttgart zu sehen bekommen haben. Wie gesagt, es ist ein widersprüchlicher Film.
Alle Augen auf Thorsten Lannert
Alle Augen sind auf Thorsten Lannert (Richy Müller) gerichtet. Er ist frustriert und drängt zur Tat, weil er sich bei der Observierung eines Lastwagens, in dem er einen Mörder vermutet, der Drogenfahndung unterordnen muss. Sie spekuliert auf massenweise Schmuggelware in dem Wagen und genießt offenbar das Recht des ersten Zugriffs (was denn doch fragwürdig scheint).
Wie es sich herausstellt, behält die Drogenfahndung recht, und Thorsten Lannert verpasst seinen Mörder. Aber in dem Laster wird eine andere Entdeckung gemacht: 23 Flüchtlinge, alle tot. "Wie es aussieht, sind sie wohl erstickt", gibt jemand dröge von sich.
Man kann streiten, wie dergleichen in Szene zu setzen wäre. Aber die Unfähigkeit, einem Schock Ausdruck zu geben, wie ihn Lannert und sein Kollege Bootz (Felix Klare) im Angesicht der Toten zweifellos erleiden, ist beinahe mitleiderregend - ein schauspielerisches Armutszeugnis, das allenfalls damit entschuldigt werden kann, dass die Regie zwar gern apokalyptische Zustände arrangiert (etwa in einem Flüchtlingshochhaus), in der Psychologie der Nahaufnahme aber zu ähnlich groben Rastern neigt, was völlig ungemessen ist.
Lannert als eine Art Batman
Die toten Flüchtlinge, auch das stört, sind damit abgehakt. Im Folgenden erleben wir Lannert als eine Art Batman, als Einzelkämpfer jenseits von Kollegialität, Recht und Dienstvorschriften. Wäre es nach seiner Pfeife gegangen, hätte man den Lastwagen rechtzeitig genug, um das Leben der Flüchtlinge zu retten, gestürmt. Dass er die Existenz der Flüchtlinge nicht im Entferntesten geahnt hatte, spielt für ihn keine Rolle. Lannert startet einen Rachefeldzug gegen den mutmaßlichen Mörder und mutmaßlichen Schleuser. Kostic heißt er.
Was folgt, ist von eher unfreiwilliger Komik als spannend. Lannert wird mit eigenen Handschellen an das Lenkrad seines Wagens gefesselt. Ein Flüchtlings-Früchtchen befreit ihn zwar, stiebitzt ihm aber gleichzeitig sein Handy. Überhaupt die Autos: Wenn Kostic und Lannert das besagte Flüchtlingshochhaus ansteuern, dann der Gangster im schwarzen Jeep, der Kommissar im braunen Porsche. Alles ganz selbstverständlich, auch für die Flüchtlinge.
Bald darauf werden sich beide, Lannert und Kostic, eine (gefühlte) Stunde lang mit vorgehaltenen Waffen gegenüberstehen, ohne dass einer das Patt der Knarren mit einem Schuss aufzulösen gedächte. Man muss sich ja noch mit Worten traktieren. Die Dialoge sind eines Billigkrimis würdig.
Aus dem Lannert-Krimi wird ein Bootz-Krimi
Immer nur Lannert? Nein, während er in seltener Tollpatschigkeit im Vordergrund steht, leistet der Kollege Bootz im Hintergrund solide Polizeiarbeit. So verkehren sich mit der Zeit die Verhältnisse: Aus dem Lannert-Krimi wird ein Bootz-Krimi, der, endlich einmal frei von familiären Turbulenzen, dem Versteckspiel von Kostic und seiner Schwester Mitra auf die Schliche kommt.
Edita Malovcic, die Staatsanwältin aus den Til-Schweiger-Tatorten, spielt diese Mitra mit einem überdemonstrativen Anflug von Verworfenheit. "Das sind deine Toten", hält sie Lannert vor, "die gehen auf dein Konto." Soll heißen, hätte er, was sie und ihr Bruder angerichtet haben, nicht durch rechtzeitiges Eingreifen verhindern können?
Lela (Florence Kasumba) hat in dem Laster vermutlich Mann und Sohn verloren, sie weiß es nicht. Kostic hat sie angeschossen, wahrscheinlich wird auch sie sterben. "Alle glauben, hier ist Paradies", sagt sie. "Aber is nix!" Das gelobte Land, das sie sich erhofft hatte, erweist sich als Hölle.
Natürlich war sie, sonst wäre sie wohl nicht geflohen, auch in Nigeria schon misshandelt worden. Den Behörden hat sie ihre Wunden gezeigt. Und dann? "Haben sie gesagt: Du dir das selbst gemacht, um Asyl zu bekommen."