"Beckenbauer – Der letzte Kaiser": Der Fußball-Kaiser und sein Land
MagentaTV zeigt die dreiteilige Dokumentation "Beckenbauer – Der letzte Kaiser". Zahlreiche Prominente erinnern sich darin an den Kaiser und das Land, in dem er regierte.
Beckenbauer. Immer wieder Beckenbauer. Der Kaiser. Eine Lichtgestalt. Aber Genie und Mensch zugleich. Erst Vergötterter, dann Gestürzter. Irgendwann kam es im Fernsehen in Mode, seine urdeutsche Geschichte zu erzählen, und so wurden dem ernsthaften Fußballfan inzwischen eine Unzahl von Dokumentation, Filmen und Serien über Franz Beckenbauer vorgesetzt. Zuletzt etwa die sehr gelungene RTL-Serie "Gute Freunde", die auf der Grundlage des brillanten gleichnamigen Buches von Thomas Huetlin entstand. Oder das Biopic "Der Kaiser" bei Sky, das etwas glatt, aber detailreich geriet. Dazu Dokus wie Uli Weidenbachs "Mensch Beckenbauer! Schau'n mer mal", Thomas Klingers "Der Ball war mein Freund" und viele, viele andere.
So viele porträtierten Beckenbauer, immer auch mit der hör-, sicht- und spürbaren Hoffnung, darüber auch selbst ein bisschen von dem Glanz des Kaisers abzubekommen. "Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch." Man kann diesen abgenudelten Werbespot eigentlich nicht mehr hören. Und man mag den Kaiser auch nicht mehr sehen, wie er zwischen strahlend weißen Kaffeetassen und ein paar schweigsamen Herren in Schwarzweiß mit todernster Miene "Gute Freunde kann niemand trennen" singt. Beides Bilder, die, wenn man sie heute nutzt, immer auch etwas Verächtliches in sich tragen, die die vermeintliche Absurdität der alten Zeiten belächeln und sich aus einer ach so wunderbaren Moderne heraus über die Bräsigkeit und Spießigkeit von gestern lustig machen: "Die haben gesungen? Wie konnten sie nur ...? Und schau, diese Frisuren!"
Jetzt also eine neue Dokumentation. Dreiteilig gar noch. Und ja – es ist wieder mal alles drin. Die Nudeln und die Singerei natürlich auch. Die Kindheit in Giesing und die Pein des Alters. Man könnte zur Annahme kommen, dass eben schon alles gesagt ist über den Kaiser, nur eben noch nicht von jedem. Genau daraus aber zieht der Film von Torsten Körner seine Klasse. Körner hat wie kaum ein Zweiter ein Recht darauf, seine Version des Kaisers zu erzählen. Und er lässt dafür viele, viele Prominente reden.
"Ja gut, äääh, sicherlich ..."
Der Journalist und Autor, 20 Jahre und zehn Tage nach Franz Beckenbauer im Spätsommer 1965 geboren, schrieb vor 20 Jahren eine Biografie über Deutschland namhaftesten Fußballer ("Der freie Mann") und traf ihn sowie seine Weggefährten und -gefährtinnen dafür unzählige Male. "Beckenbauer – Der letzte Kaiser" heißt nun sein Film (Produktion: Leopold Hoesch). Der erste Teil ist ab Donnerstag, 31. Oktober, zunächst exklusiv bei MagentaTV verfügbar. Am 7. und 14. November folgen Teil zwei und drei. Im Januar 2025 ist "Der letzte Kaiser" bei ARTE und im ZDF als Director's Cut zu sehen.
Körner nimmt sich in Summe mehr als zwei Stunden Zeit, das Publikum in eine Zeitreise zu entführen, beginnend im Nachkriegs-Giesing nach 1945 bis hin zum Heute. Wie fast alle modernen Dokumentaristen verzichtet er auf einen Erzähler, sondern lässt die Bilder und Worte anderer für sich sprechen. Da ist zunächst natürlich Franz Beckenbauer selbst, der in zahllosen Originaltönen zu hören ist, die über die dahinter laufenden Bewegtbilder problemlos zeitlich einzuordnen sind. Viel Ungehörtes ist da dabei, viele Schätze aus den Archiven, aber einen neuen Beckenbauer ergibt das freilich nicht. Er ist immer drin, dieser vertraute Münchnerische Ton, der später gerne von manchem Komiker karikiert wurde – "ja gut, äääh, sicherlich ..."
Die "gewisse feminine Seite" in Beckenbauer
Natürlich serviert der Film alle ja schon ikonischen Fußballbilder, die des Kaisers Leben prägten, und ein paar neue dazu. Das Wembley-Tor 1966, die Niederlage bei der WM 1974 gegen die DDR, das Finale in München und 16 Jahre später dann die WM in Italien. Das Besondere an dieser Dokumentation jedoch sind die Interviews, die Körner mit Weggefährten und Beobachtern führte. Menschen also, die Franz Beckenbauer entweder gut kannten, die mit ihm einen Teil ihres Lebensweges gingen oder für die der Libero eben durch seine fußballerischen Fähigkeiten eine besondere Rolle spielte.
"Was ich so wahnsinnig interessant finde, ist, dass mir eigentlich niemand einfällt, dessen persönliche Entwicklung so parallel oder synchron verlief zur Entwicklung der Bundesrepublik wie die Entwicklung dieses Mannes. Wenn man wissen will, wie sich dieses Land ab den 50er-Jahren verändert hat, könnte man sich auch Jahr für Jahr ein Foto von Franz Beckenbauer ansehen." Diesen klugen Gedanken formuliert der Schauspieler Matthias Brandt (Jahrgang 1961) gleich zu Beginn des Films, und er gibt damit in gewisser Hinsicht die Tonalität vor. Es geht chronologisch durch das Leben Beckenbauers, vor allem aber eben parallel auch durch die Geschichte dieses Landes.
Es ist Fußballdokumentation zu eigen, dass sie sich im Kern eigentlich nie um den Fußball selbst drehen – vor lauter Sorge, das würde die Menschen dann doch langweilen. Ein bisschen lässt Körner diesmal hier über die Bedeutung des Außenrists philosophieren (das tun ein Lehrfilm und Michel Platini), aber auch er verzichtet darauf, die sportliche Karriere des Spielers nachzuerzählen. Es geht stattdessen um die Art, wie Beckenbauer spielte, wie er seine Rolle auf dem Platz begriff und wie er daneben mithilfe von seinem Manager Robert Schwan die Grundlagen für ein einzigartiges Geschäftsmodell legte. "In Geschäftsdingen war Franz Beckenbauer seiner Zeit voraus und hat die Zeit geprägt", sagt der Autor Friedrich Ani. Und Günther Jauch ergänzt, dass Robert Schwan ja eine Vaterfigur gewesen sei, die dem Franz klarmachte, was es alles braucht, um gut vermarktet zu werden. Das Fernsehen zum Beispiel.
Friedrich Ani und Günther Jauch, der Journalist Alfred Draxler und Michel Platini, der Regisseur Christian Petzold und Wolfgang Thierse, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages. Das sind nur einige wenige der Personen, die sich hier im üblichen Zeitzeugen-Setting erinnern an Beckenbauer oder an die Zeit, in der er groß wurde. Es sind fast ausnahmslos kluge, charmante, originelle, in jedem Fall aber einigermaßen unverbrauchte Worte, die hier gefunden werden. Marius Müller-Westernhagen will eine "gewisse feminine Seite" in Beckenbauer entdeckt haben und schickt ein "Gott sei Dank" hinterher. Jürgen Klinsmann erwähnt den "Tüftler" in ihm, Uli Hoeneß erinnert an die Tortur der WM 1990: "Sie hat ihn völlig fertig gemacht." Und Günter Netzer, der ja in all diesen Dokus immer dabei ist, weil er so klare Worte findet, erinnert sich: "Unsere Tochter ist geboren 87. Das habe ich zum Anlass genommen, den Franz zu fragen: 'Sag mal Franz, hast du deine Kinder eigentlich mitgekriegt?' Dann hat er etwas sehr Tolles, Richtiges, Aufrichtiges gesagt, eigentlich schon Entlarvendes: 'Du bist gut, ich war doch selbst noch ein Kind." Diese Aussage hat mich bis zum heutigen Tag beschäftigt."
Am wichtigsten aber ist auch diesmal die Mitwirkung von Walter Beckenbauer, dem Bruder, der womöglich als Einziger den anderen Franz kennt und auch anzusprechen wagt. Den, der in seiner Karriere menschlich auch mal vom Weg abkam.
"Wer mit dem Finger auf Beckenbauer zeigt ..."
Sie alle reden im Film über Franz Beckenbauer, auch viel über sich selbst und ihre eigene Geschichte. Über das, was Beckenbauer ihnen bedeutete. Oder gar der Fußball an sich. Warum manch einer dann doch Seeler lieber mochte, was mit dem FC Bayern ist und wie man damit umgeht, dass am Ende dieses Beckenbauerschen Weges mit dem WM 2006 der größte Triumph und die größte Niederlage in einem steht. "Ich hab's nicht ganz verstanden, dass der DFB den Beckenbauer hat im Regen stehen lassen", sagt Regisseur Christian Petzold so ein bisschen naiv mit Blick auf dubiose Millionen, die flossen.
Die erwähnte Kaiser-Biografie des Filmemachers Torsten Körner endete übrigens im Jahr 2005. Danach begann, so sagt er, "diese toxische Phase in der Biografie des Menschen Beckenbauer, die uns alle anrührte, befremdete, irritierte, die uns zu Verteidigern oder Gegnern werden ließ, die auf jeden Fall niemanden kalt ließ, der sich für den Fußball interessierte". Mit seinem Film habe er keineswegs den Schleier dieser Affäre lüften wollen, erklärt Körner. Das wird ohnehin nicht mehr gelingen. Ziel sei es vielmehr gewesen, "auf den Menschen Beckenbauer zu blicken und zu fragen, wie sehr ihn dieser Einschnitt betroffen hat und wie tief der Sturz aus dem Olymp der Götterlieblinge war". Kein einfaches Unterfangen. Und womöglich für niemanden Außenstehenden wirklich zu fassen. Aber Körner wesentliche Botschaft zum Ende führt diese Dokumentation jedem Fan vor Augen: "Wer mit dem Finger auf Beckenbauer zeigt, zeigt mindestens mit drei Fingern auf sich selbst."
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Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH