Interview

Barbara Schöneberger: Wir stecken in "großen Krisen"

11.10.2023, 08.29 Uhr
von Eric Leimann

Am 13. Oktober läuft die 1000. Folge der "NDR Talk Show". Die Moderatoren Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt haben mit uns über die Entwicklung der Sendung im Interview gesprochen.

Am 5. Oktober 1979 lief die erste "NDR Talk Show". Eine andere Fernsehzeit. Seit 15 Jahren moderieren Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt den Traditions-Talk zum Wochenende. Die 1.000. Sendung steht am Freitag, 13. Oktober, 22.00 Uhr, "live" und in Sonderlänge von 150 Minuten auf dem Programm – mit besonders prominenten Gästen: Günther Jauch, Carolin Kebekus, Florian David Fitz, Ina Müller, Tim Mälzer, Christoph Maria Herbst, Mario Barth und Lili Paul Roncalli sind eingeladen. Kurz vor dem Jubiläum plaudern Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt darüber, was letztendlich ein gutes Gespräch ausmacht und sie erklären, warum wir heute in anderen Talk-Zeiten leben als noch vor einigen Jahren.

prisma: Sie moderieren seit 15 Jahren gemeinsam. Zuletzt haben mit Corona, Ukraine-Krieg und Klimakrise massive Probleme die Welt erfasst. Merken Sie das in der Sendung?

Barbara Schöneberger: Ja, total. Es ist wie ein Unterschied "alte Welt" und "neue Welt". Früher hatten wir thematisch und von der Mischung der Gäste her einen ganz anderen Fokus. Da gab es mehr Menschen, die ihre individuelle Geschichte erzählt haben. Heute haben wir öfter Gäste, die – auf ihre Weise – mit Themen zu tun haben, die viele Menschen betreffen. Allein daran sieht man, dass wir in gemeinsamen, großen Krisen stecken.

Hubertus Meyer-Burckhardt: Hape Kerkeling hat dazu einen schönen Satz gesagt: "Ich glaube, wir stehen am Vorabend eines Tages, den ich eigentlich nicht erleben möchte." Ich teile diese Ansicht übrigens. Doch es ist historisch belegt, dass an solchen "Vorabenden" schrecklicher Tage die Unterhaltung stets durch die Decke ging. Siehe Weimarer Republik – der berühmte Tanz auf dem Vulkan. Diesen "Vorabend" merkt man auch bei uns in der Sendung, denke ich. Wir sind definitiv dazu da, zu unterhalten. Doch aus dieser Unterhaltung heraus schießen wir auch mal Pfeile, die zum Nachdenken anregen.

"Früher lebten wir alle in einer gewissen Sorglosigkeit"

prisma: Haben sich mit der "Relevanz" der Themen auch die Gäste verändert?

Barbara Schöneberger: Die Gäste sind auf jeden Fall diverser geworden. Man lädt heute Menschen ein, die früher keine Lobby im Fernsehen und erst recht nicht in der Unterhaltung hatten. Einfach, weil man weiß: Die Zuschauer wollen diese Menschen und ihre, unsere Themen sehen. Wir sehen das auch an den Quoten. Sie sind zwar nicht nach oben gegangen, aber auch nicht nach unten. Was in der heutigen Ära des Fernsehens durchaus ein Erfolg ist ...

prisma: Ist unsere Gesellschaft politischer geworden?

Meyer-Burckhardt: Ich würde eher sagen, unsere Gesellschaft ist sensibler geworden. Sie hat eine gewisse Unschuld verloren und damit auch ein bisschen die Fähigkeit, albern zu sein. Früher lebten wir alle in einer gewissen Sorglosigkeit. Viele Witze verletzten Grenzen – und man hat trotzdem einfach darüber gelacht. Das geht heute nicht mehr.

prisma: Klingt ein bisschen danach, als würden Sie die alte Zeit vermissen?

Barbara Schöneberger: Es hat zwei Seiten. Sensibilität und Respekt jedem Mitmenschen gegenüber sind wichtig, ja essenziell. Andererseits besteht Unterhaltung natürlich auch darin, mal einen unkorrekten Witz zu machen. Trotzdem wissen unsere Gäste, dass sie nichts zu befürchten haben. Das war schon immer so in dieser Show. Wir wollen niemandem wehtun, niemandem in die Enge treiben und wir sind auch nicht investigativ. Deshalb können bei uns so viele Themen nebeneinander stattfinden wie in fast keiner anderen Sendung. Jemand, der eine schwere Krankheit oder Lebenskrise hatte, kann mit jemanden reden, der mit einem neuen Comedy-Programm auf Tour geht. Und daraus erwächst ein interessantes Gespräch.

"Um 19 Uhr sind alle frischer – auch Barbara und ich"

prisma: Weil man automatisch über den Tellerrand blickt, wenn jeder in der Runde ein anderes Thema hat?

Meyer-Burckhardt: Ja, für mich geht es dabei um das Verlassen der Blase. Wir alle leben in Blasen voller Menschen, die in etwa so sind wie wir selbst. Oft ist das angenehm, es kann aber auch schrecklich lähmen und langweilen. Was wir immer wieder als positives Feedback zur Sendung hören, lautet: Toll, dass sich bei euch Menschen aus verschiedenen "Bereichen" begegnen. Im wirklichen Leben laufen diese Gruppen meist aneinander vorbei. In unserem Format sind sie dazu da, sich auszutauschen. Das ist für mich das Aufregendste an der Show.

prisma: Wäre das nicht ein schönes Modell für unsere Gesellschaft – öfter mal die eigene Blase zu verlassen?

Meyer-Burckhardt: Unbedingt, wobei es da schon regionale Unterschiede gibt. Barbara lebt in Berlin, wo ich auch öfter bin. Da verlassen die Leute – ebenso wie im Rheinland, das ich ebenfalls gut kenne – öfter mal von Haus aus ihre Blase. Dafür sind die Norddeutschen, das Kernland dieser Sendung, meist ein bisschen zu scheu. Umso schöner, dass wir diese Funktion für sie erfüllen können. Entscheidend ist außerdem, dass wir an einem Freitag senden. Da schauen Leute zu, die vielleicht gern eine Verabredung hätten, aber aktuell keine haben. Oder sie kommen nicht vor die Tür, weil sie ein bisschen krank sind oder ein kleines Kind haben. Da sitzen Menschen, die zum Einstieg ins Wochenende "entpflichtet" werden wollen. Ein etwas akademisches Wort, aber ein wahres, wie ich finde.

prisma: Die 1000. Jubiläumssendung wird "live" gesendet. Normalerweise zeichnen Sie aber bereits um 19 Uhr auf, rund drei Stunden vor der Ausstrahlung. Warum eigentlich?

Barbara Schöneberger: Das hat rein logistische Gründe. Wir verändern nichts an der Original-Sendung. Es gibt keine Schnitte, das wäre auch viel zu knapp. Der Grund ist: Heute müssen Menschen ihr Leben effizienter gestalten als früher. Wegen der früheren Aufzeichnung können die Gäste am Abend noch nach Hause reisen.

Meyer-Burckhardt: Zu Zeiten von Alida Gundlach fuhr beispielsweise kein später Zug mehr von Hamburg nach Berlin. Heute bekommen wir Gäste in die Sendung, weil wir ihnen sagen können: "Um viertel vor zehn bekommst du noch den letzten Zug zurück nach Hause." Dazu kommt, um 19 Uhr sind alle frischer – auch Barbara und ich.

"So eine Show ist Gruppendynamik pur"

prisma: Sie beide sind alte Fernsehhasen. Kennen Sie überhaupt noch so etwas wie Nervosität vor der Sendung?

Barbara Schöneberger: Ich glaube, ich rede für uns beide, wenn ich sage: Wir sind gerade in der "NDR Talk Show" extrem entspannt. Wir machen ja immer eine Lichtprobe, weil das Studio für jede Show wieder neu aufgebaut wird. Es muss also neu eingeleuchtet werden, weil sich unsere Gesichter auch mal verändern und es auch da Tagesform gibt. Bei dieser Probe zeichnen wir einen kurzen Trailer auf, danach sage ich oft: "Ach, ich könnte mich jetzt noch mal hinlegen ...".

Meyer-Burckhardt: ... oder wir stellen fest, dass wir jetzt stimmungsmäßig auch zu unserem Lieblings-Italiener gehen könnten. Stattdessen führt uns der Weg aber in den Gästeraum, wo die Runde des Abends wartet und wir uns alle kurz begrüßen. Das ist schön, aber eher ein anregendes Warm-up als ein nervöses Einpeitschen. Nein, Barbara hat recht. Wir sind so entspannt, wie es auch in der Sendung den Anschein hat. Trotzdem haben wir immer Respekt vor jedem Gast. Den braucht man, sonst entsteht kein gutes Gespräch – und auch kein gutes Fernsehen.

prisma: Wie schnell wissen Sie, ob die Runde des Abends funktioniert?

Barbara Schöneberger: Nach wenigen Minuten, manchmal bereits nach Sekunden. So eine Show ist Gruppendynamik pur. Manchmal gibt es zwei Leute, die dafür sorgen, dass die Stimmung bei allen schnell von null auf 100 nach oben geht. Und manchmal müssen Hubertus und ich ein bisschen mehr arbeiten, dass so etwas wie Stimmung überhaupt entsteht.

Meyer-Burckhardt: Dann, wenn vielleicht zwei Leute in der Runde sind, die die Stimmung auf null oder noch weiter herunterdrücken (lacht). Ja, das gibt es auch. Im Fernsehen ist es übrigens wie im Sport. Du bist immer so gut wie die letzte Sendung. Wir könnten uns nicht hinstellen und sagen: "Ja, heute war die Sendung nichts – aber früher waren wir mal ziemlich gut."

"Ich würde eher alles andere aufgeben als die 'NDR Talk Show'"

prisma: Wie lange bereiten Sie sich auf einen Gast vor?

Barbara Schöneberger: Es gibt von der Redaktion ein Dossier zu jedem Gast. Das lese ich auf der Zugfahrt von Berlin nach Hamburg. Es sind etwa acht oder zehn Seiten pro Person. Anderthalb Stunden reichen mir zur Vorbereitung – was natürlich auch daran liegt, dass immer auch Gäste dabei sind, die man schon länger kennt. Wenn jemand wie Senta Berger kommt, die schon öfter bei uns war, kenne ich fast jedes Detail ihres Lebens. Ein gutes Gespräch, so wie wir es hier führen, hat meist mit Dingen zu tun, die im Moment entstehen. Man muss den Gästen das Gefühl geben, dass man sie an exakt jenem Punkt sieht und versteht, an dem sie sich gerade befinden.

prisma: Wie lange wollen Sie miteinander noch weiter moderieren?

Meyer-Burckhardt: Solange man mich lässt und sie mich nicht raustragen müssen. Mir macht es irren Spaß, gerade mit Barbara. Ich mache die Sendung mit Dankbarkeit und Demut. Ich rechne aber fast stündlich damit, dass jemand an meinem Stuhl sägt. Er würde das auch mit Recht tun.

Barbara Schöneberger: Nein, das würde er nicht! Mal ganz im Ernst: Ich würde eher alles andere aufgeben als die "NDR Talk Show" mit Hubertus Meyer-Burckhardt zu moderieren. Wenn die Tür aufgeht und er betritt den Raum, freue ich mich einfach. Das habe ich nur bei ganz wenigen Männern. Das gesamte Team, mit dem wir diese Sendung machen, ist wie eine Familie. Unsere Briefings bestehen aus einem kurzen Pflichtteil, wo es um die Gäste geht – danach unterhalten wir uns sehr viel länger über uns, unsere Familien, unser Leben. Daran sieht man, dass wir ein eingeschworenes Team und echte Freunde sind.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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