ZDF-Film

"Du sollst hören": angemessene Vorsicht oder Kindeswohlgefährdung?

19.09.2022, 08.39 Uhr
von Franziska Wenzlick

Die Eltern eines gehörlosen Mädchen weigern sich, dem Kind ein Cochlea-Implantat einsetzen zu lassen. Der Arzt zieht daraufhin in diesem ZDF-Film sogar vor Gericht.

ZDF
"Du sollst hören"
Drama • 19.09.2022 • 20:15 Uhr

Von einem "medizinischen Wunder" war vielerorts die Rede, als der Physiker André Djourno und der Otologe Charles Eyriès 1957 das erste funktionierende Cochlea-Implantat entwickelten. Bei besagtem "Wunder" handelt es sich um ein künstliches Sinnesorgan, mit dem taube Menschen wieder hören können. Die Prothese überbrückt das geschädigte Innenohr und leitet Signale an den intakten Hörnerv weiter.

65 Jahre später werden hierzulande – inoffiziellen Schätzungen des Deutschen Schwerhörigenbunds zufolge – jährlich rund 5.000 Cochlea-Implantate eingesetzt. Nichtsdestotrotz, wie nun auch das ZDF-Drama "Du sollst hören" zur Primetime erzählt, gelten die Prothesen bis heute als umstritten. Der Eingriff ist risikoreich; unter anderem kann es zu einem Tinnitus oder Gesichtslähmungen kommen. Darüber hinaus möchten manche Patientinnen und Patienten das Implantat irgendwann wieder herausnehmen. Da der oft noch intakte Hörnerv bei der Operation allerdings vollständig zerstört wird, ist die Benutzung eines Hörgeräts anschließend unmöglich.

Auch die Protagonisten des "Fernsehfilms der Woche", Conny (Anne Zander) und Simon Ebert (Benjamin Piwko), sind sich der möglichen Gefahren beim Einsetzen des Implantats bewusst. Wie ihre Kinder Mats (Leif-Eric Werk) und Mila (Delia Pfeffer) sind Conny und Simon gehörlos. Als ein Arzt feststellt, dass die zweijährige Mila mithilfe eines Cochlea-Implantats hören lernen könnte, ist für das Ehepaar klar: Ein Eingriff kommt nicht infrage.

Der Arzt schaltet das Jugendamt ein

"Das ist Kindeswohlgefährdung", ist sich Theo Rotschild (Kai Wiesinger) sicher. Dass Eltern ihrem Nachwuchs verwehren, "normal aufzuwachsen", ist für den HNO-Arzt unbegreiflich. Kurzerhand schaltet der Mediziner das Jugendamt ein – und der Fall landet vor Gericht. Dort muss ausgerechnet Theos Ex-Frau, die überforderte Richterin Jolanda Helbig (Claudia Michelsen), darüber entscheiden, ob die Eberts eine Operation ihrer Tochter kategorisch ausschließen dürfen.

Der Perspektivwechsel, den Petra K. Wagner (Regie) und Katrin Bühlig (Buch) in ihrem 90-Minüter wagen, ist im deutschen Fernsehen längst überfällig. Auch, dass der Film – für alle Zuschauerinnen und Zuschauer – in einer untertitelten Fassung für Gehörlose zu sehen ist, regt zum Nachdenken an: Was ist schon "normal"? Und warum wird von tauben Personen erwartet, Lippenlesen und Sprechen zu lernen, während nahezu kein hörender Mensch Gebärdensprache beherrscht?

Angesichts derart aufgeladener Fragen ist es fast schon tragisch, dass "Du sollst hören" nicht ohne eine gehörige Portion Betroffenheits-Kitsch auskommt. Den Macherinnen des Films gelingt es leider über weite Strecken nicht, den richtigen Ton für ihre Geschichte zu treffen. Seien es die hochtragische und gleichzeitig gnadenlos überzogene Hintergrundgeschichte der Richterin, die trotz vermeintlicher Relevanz schlichtweg deplatziert wirkt, oder die Poesiealbum-Dialoge, die selbst von überzeugenden Darsteller wie Claudia Michelsen oder Benjamin Piwko nicht aus der Belanglosigkeit gerettet werden können: "Du sollst hören" bleibt weit hinter seinem Potenzial zurück. Die eigentlich so interessante Handlung rückt angesichts der schwachen Umsetzung in den Hintergrund. Schade!

Wer sich trotzdem über das Thema informieren möchte, ist deshalb wohl mit der "37°"-Reportage "Du sollst hören! – Taub zwischen zwei Welten" besser beraten, die das ZDF am darauffolgenden Abend (Dienstag, 20. September, 22.15 Uhr) zeigt.

"Du sollst hören" – Mo. 19.09. – ZDF: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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