Bei "Hart aber fair"

Anton Hofreiter wird bei Debatte über europäische Einheit emotional: "Sonst ist das ein Fest für Putin"

05.03.2024, 08.34 Uhr
von Doris Neubauer

Sollte man die Ukraine mit dem Taurus beliefert werden? Während der Bundeskanzler sich dagegen entschieden hat, plädierte Anton Hofreiter (Grüne) emotional für eine solche Lieferung und europäischen Zusammenhalt. Der Linke-Politiker Jan van Akens warnte hingegen vor dem Aufrüsten. Zudem wurde über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. 

"Man müsste eigentlich davonlaufen": Anton Hofreiter (Grüne) reagierte emotional auf den Verweis von Jan van Aken (Linkspartei), dass es schon einmal eine Bedrohung aus dem Osten gegeben und Kanzler Willy Brandt damals erfolgreich auf Entspannungspolitik gesetzt hatte. Den imperialistischen "Putin mit der alten Sowjetunion zu vergleichen [...] ist fast bizarr falsch", war Hofreiter vermutlich in Gedanken schon mit einem Fuß draußen. "Ich hoffe, Sie bleiben noch im Studio", konnte ihn Louis Klamroth halten.

Aufrüsten statt Abrüsten?

Neben Hofreiter und van Aken diskutierten am Montagabend bei "Hart aber fair" (ARD) Serap Güler (CDU), Jessica Rosenthal (SPD), der ehemalige Berufssoldat Ottogerd Karasch, Oberst André Wüstner und Daniel Untch, Referent für Friedensbildung im Zentrum Oekumene über die Frage: "Aufrüsten statt Abrüsten: Muss Deutschland wirklich kriegstüchtig werden?"

Eine Frage, die durch den aktuellen Leak, in dem deutsche Luftwaffenoffiziere über mögliche Taurus-Lieferungen sprachen, an Brisanz nur gewonnen hatte. Dass mehr Gespräche veröffentlicht werden, ließe sich laut Wüstner, dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, nicht ausschließen: "Putin weiß um Timing." So sei das Band "gezielt lanciert" worden, um dem "weichen Deutschland, das gleich Angst hat" – zitierte er einen russischen Kommentator – internationalen Schaden zuzufügen und gleichzeitig "innenpolitische Umwuchten" zu verstärken.

Wer für den Abhörskandal politisch zur Verantwortung gezogen werden müsse, darüber bestand für Güler kein Zweifel: "Der Kanzler ist ein echtes Sicherheitsrisiko für unser Land", wiederholte sie den Standpunkt der Union. Nicht nur, weil er den britischen und französischen Verbündeten "gegen das Schienbein getreten" habe. Scholz' Entscheidung gegen die Taurus-Lieferungen damit zu begründen, dass deutsche Soldaten notwendig seien und Ziele in Russland getroffen werden könnten, hatten Güler verärgert.

Hofreiter: "Aber als Kanzler kann man sich schon beim Hersteller informieren, dass das geht"

"Südkorea hat 260 Taurus und keinen einzigen Bundeswehrsoldaten im Einsatz", wies Hofreiter die Aussagen ebenfalls als falsch zurück. Zudem könne man Taurus "geo-fencen" und vor der "Auslieferung so gestalten, dass Ziele in Russland nicht anzustreben sind", erklärte er.

"Sie sagen, die Taurus sind nicht hackbar und die Soldaten dachten vermutlich auch, die Telefone sind nicht abhörbar", konterte Klamroth. "Aber als Kanzler kann man sich schon beim Hersteller informieren, dass das geht. Das ist nicht verboten", meinte Hofreiter. Dass der "Kanzler nicht vernünftig informiert ist, ist falsch", wies SPD-Politikerin Rosenthal die Kritik an ihrem Partei-Kollegen von sich. In der Sache könne man streiten, aber das "permanente Misstrauen muss enden, gerade weil wir wehrhaft sein sollten".

"Putin macht Propaganda, und alle fallen drauf rein": Jan van Aken hatte nach eigenen Angaben keine Lust, über Taurus zu sprechen, auf Klamroths Frage nach Scholz' Entscheidung, tat er es aber doch: "Er macht fast alles falsch [...], aber Taurus sollte man nicht tun." Statt dass die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann "mit widerlichem Taurus-T-Shirt" rumlaufe, hätte er lieber, "dass sich Politiker genauso intensiv darüber streiten, wen kriegen wir für diplomatische Lösungen, wie kriegen wir Putin an den Verhandlungstisch?"

Appell für mehr Zusammenarbeit

"Die Debatten um Waffenlieferungen finden deshalb statt, um die Ukraine so stark zu machen, dass auch in Putins Kopf die Nutzen-Kostenabwägung sich ändert, dass es für ihn spannender ist zu verhandeln als militärisch zu gewinnen", widersprach Hofreiter. "Kriegstüchtig bedeutet nicht kriegssüchtig", ergänzte seine Sitznachbarin Güler: "Wenn Putin gerade dabei ist, ein Drittel seines Haushalts für Verteidigung auszugeben und auf Kriegswirtschaft umzuschalten, kann es nicht so sein, dass er nur die Ukraine als Ziel hat."

In der Ukraine werde "die Freiheit Europas verteidigt", stimmte Wüstner überein. Zwar gebe es angesichts der Scholz'schen Aussage und der Diskussion um einen Einsatz von Nato-Bodentruppen "Irritationen", diese könne man aber wieder kitten: "Man muss das auch, denn Zusammenhalt Europas gegen Putin ist elementar", betonte er, und Hofreiter appellierte ebenfalls "an alle Beteiligten, dass sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien – im Idealfall mit Polen – zusammenraufen und deutlich machen, wo die Position von Europa ist. [...] Sonst ist das ein Fest für Putin."

Van Aken: "Als Klempner werde ich im Zweifelsfall nicht erschossen"

Zusätzlich müsse Deutschland laut Wüstner mehr in die Ukraine und in die eigene "Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit" investieren. Van Aken erklärte daraufhin, das Budget der Bundeswehr sei den letzten zehn Jahren um 60 Prozent aufgestockt worden – für Wüstner längst nicht genug. So bräuchte man statt aktuell etwa 180.000 Soldatinnen und Soldaten eher 210.000 plus Reserve. Allerdings habe die Politik sich um keine Modelle zum Füllen dieser Lücke bemüht, kritisierte er.

Dass die Wiederaufnahme der Wehrpflicht eine Lösung wäre, bezweifelte Untch stark: Weder die Bundeswehr noch Sozialdienste hätten Interesse daran. Es wäre vielmehr eine "Debatte, die von politischer Seite aufflammt". Die CDU etwa wünsche sich ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das – so Güler – "jungen Menschen die Chance gebe, sich für Bereiche wie Rettungsdienste, Kindergärten, Klima- und Umweltverbände" oder die Bundeswehr zu entscheiden.

Eine weitere Option sei, die Bundeswehr vermehrt an Schulen zu bringen und so die "Gesellschaft aus der Watte zu packen". Für van Aken ("Der Bundeswehrsoldat ist kein Beruf wie jeder andere. Als Klempner werde ich im Zweifelsfall nicht erschossen.") war das genauso wenig vorstellbar wie für Untch. Auch die ehemalige Lehrerin Rosenthal zeigte sich "überrascht, dass die Union das sehr klar beantwortet, dass es Minderjährige sein sollen, die im Kontakt mit der Bundeswehr treten, aber wenn es um das Wahlrecht geht" wäre man gegen eine Absenkung.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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