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"Machen wir unsere Demokratie kaputt?": Jessy Wellmer beleuchtet die aktuelle Lage

26.08.2024, 07.15 Uhr
von Maximilian Haase

Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen untersucht Jessy Wellmer in einer ARD-Doku, warum so viele Menschen die Demokratie kritisch sehen. Sie spricht mit Experten und Betroffenen und analysiert die Gründe für das wachsende Misstrauen in unsere Staatsform.

ARD
Machen wir unsere Demokratie kaputt?
Reportage • 26.08.2024 • 20:15 Uhr

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? 

Am Sonntag, 1. September, wird es ernst: Die ersten Landtagswahlen im Osten stehen an, bundesweit beobachtet mit einer Mischung aus Spannung und Sorge. Gewählt wird in Thüringen und Sachsen. Immer öfter stellt sich dort und im ganzen Land die Frage, warum so viele Menschen die Demokratie kritisch betrachten. Was treibt die Skeptiker an – und wonach streben sie? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Journalistin Jessy Wellmer, die seit Herbst 2023 die "Tagesthemen" moderiert und in ihrem Buch "Die neue Entfremdung" die Unterschiede zwischen Ost und West beleuchtet, begibt sich kurz vor den wichtigen Ost-Wahlen in einer ARD-Doku auf die Suche nach Antworten. Die Relevanz des Themas illustriert schon der Sendeplatz: Das Erste zeigt den Film mit dem zugespitzen Titel "Machen wir unsere Demokratie kaputt?" zur Primetime.

Gemeinsam mit Dominic Egizzi forscht Wellmer in ihrer Doku nach, wie die Menschen – insbesondere im Osten – die Demokratie wahrnehmen. Eigens für den Film wurde eine Umfrage bei Infratest Dimap in Auftrag gegeben, die Einstellungen und Meinungen der Deutschen zur Demokratie ausleuchten soll. Befragt werden außerdem Experten, wie der in Rostock geborene Soziologe Steffen Mau, der zuletzt mit seinem Buch "Ungleich vereint" für Aufsehen sorgte. Zu Wort kommen auch Kabarettist Dieter Nuhr, Aktivistin Carla Hinrichs von der "Letzten Generation" und der aus Thüringen stammende Ex-Biathlet Erik Lesser. Nicht zuletzt begibt sich die gebürtige Ostdeutsche Jessy Wellmer auch vor Ort, wo sie den polarisierenden Wahlkampf beobachtet und Betroffene wie den in Sachsen tätigen Unternehmer Serdar Kaya befragt.

Besonders in Erinnerung geblieben sei ihr ein Treffen mit dem mittelsächsischen Landrat Dirk Neubauer, wie Wellmer im Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau verrät. Der Politiker sei von seinem Amt zurückgetreten, "weil er die Bedrohungen und Anfeindungen nicht mehr erträgt, aber auch die fehlende Unterstützung von Politik und Bürgern gleichermaßen vermisst". Für die Journalistin eine bemerkenswerte Geschichte: "Sein Schmerz über sein Scheitern, wie er seinen Rückzug nennt, wirken sehr eindringlich".

"Es ist mir ganz schön viel Spaltung und Polarisierung begegnet"

"Es ist mir ganz schön viel Spaltung und Polarisierung begegnet", berichtet Wellmer von ihren Recherchen. Die Menschen, die der Demokratie skeptisch gegenüberstünden, eine "das Gefühl, es gebe sehr große Probleme, eine Bedrohung des Wohlstands und der Lebensgrundlagen – und die in Bund und Ländern regierenden Parteien finden darauf keine Antworten". Viele derjenigen, mit denen sie sprechen konnte, hätten "das Vertrauen in die Institutionen und Mechanismen der Demokratie verloren, oder es ist zumindest ganz schön angeknackst", so Wellmer. Ein Problem sei, "dass viele nur noch mit denen reden, die ihrer Meinung sind. Und dann schaukelt man sich miteinander hoch".

Ein spezifisch ostdeutsches Problem? "Dieser Vertrauensverlust begegnet mir auch in Köln, Hamburg oder Berlin", sagt die im mecklenburgischen Güstrow geborene Wellmer. Im Osten kämen aus ihrer Sicht verstärkende Faktoren hinzu: "Das ist die ostdeutsche Unsicherheitserfahrung in der Zeit nach der Wiedervereinigung, das ist die ohnehin schwächere Verankerung zivilgesellschaftlicher und demokratischer Organisationen." Zum anderen aber auch die fortgeschrittene Alterung der Gesellschaft: "Die Menschen sind vielleicht auferstanden aus Ruinen, aber sie sind weniger der Zukunft zugewandt als jüngere Gesellschaften." Gefühle der Zweitklassigkeit oder des Abgehängtseins würden im Osten oft auch an die jüngere Generation weitergereicht, erklärt die Journalistin im teleschau-Interview.

Eigentlich, so Wellmer, seien Zufriedenheit und Zuversicht auch im Osten gewachsen: "Und dann ist – durch Flüchtlingskrise, Corona und den russischen Angriff – wieder etwas aufgebrochen, was ich für geheilt hielt oder wenigstens auf dem Weg der Besserung." Welche politischen Folgen diese Entwicklung haben könnte – darüber wird man knapp eine Woche nach der Ausstrahlung der Doku mehr wissen. Dann stehen die Ergebnisse der deutschlandweit diskutierten Landtagswahlen fest.

Machen wir unsere Demokratie kaputt? – Mo. 26.08. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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